Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg warnt angesichts der Waffen- und Munitionslieferungen an die Ukraine vor Ausrüstungslücken bei den Mitgliedstaaten der Allianz. "Unsere Unterstützung der Ukraine hat die Bestände der Nato an Waffen und Munition immer weiter geleert", sagte er der "Welt" vom Mittwoch.
Die massive Unterstützung sei aufgrund des Bedarfs der Ukraine richtig und notwendig, sagte der Nato-Chef. "Aber natürlich müssen wir unsere eigenen Vorräte an Munition und Waffensystemen wieder auffüllen, auch um sicherzustellen, dass wir die Ukraine weiter versorgen können." Er begrüße daher Ankündigungen Deutschlands, der USA, Norwegens und weiterer Mitgliedstaaten, "die jetzt Verträge mit der Industrie unterzeichnen, um die Produktion zu erhöhen und die Bestände aufzufüllen", sagte Stoltenberg.
Der Nato-Generalsekretär warnte vor einer anhaltenden Bedrohung durch Russland. "Es gibt keine Anzeichen dafür, dass Präsident (Wladimir) Putin sein Ziel geändert hat, die Ukraine zu beherrschen. Nichts deutet darauf hin, dass er sich auf Frieden vorbereitet", sagte er. Die Nato wisse, dass Russland neue Offensiven plane, und müsse darauf vorbereitet sein: "Darum ist es so dringend, dass wir unsere Unterstützung für die Ukraine weiter verstärken."
Putin sei bereit, "zehntausende russischer Soldaten in diesem völlig ungerechtfertigten Krieg zu opfern", führte Stoltenberg aus. Der russische Staatschef habe mehr als 200.000 Soldaten mobilisiert und wolle weitere mobilisieren. Zudem arbeite Putin aktiv daran, mehr Waffen zu beschaffen "von anderen autoritären Staaten wie Iran und Nordkorea".
Er rechne damit, dass die Nato-Mitgliedstaaten das Zwei-Prozent-Ziel für Verteidigungsausgaben bei ihrem Gipfeltreffen im Juli erhöhen werden, sagte Stoltenberg. Das Ziel, die Verteidigungsausgaben auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen, sei 2014 in Reaktion auf die russische Annexion der ukrainischen Krim-Halbinsel für zunächst zehn Jahre festgelegt worden und müsse daher jetzt aktualisiert werden. Er erwarte für die Zukunft ein ehrgeizigeres Ziel, "weil jeder sieht, dass wir mehr investieren müssen".
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine angekündigt, Deutschland werde "von nun an - Jahr für Jahr - mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in unsere Verteidigung investieren". Allerdings hält Berlin die Vorgabe bislang weiterhin nicht ein. Nach einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) wird dies voraussichtlich erst 2024 und 2025 der Fall sein, weil erst dann Ausgaben aus dem 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr zu Buche schlagen.
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