Balsam für die Seele, der Trostpreis winkt: Deutschlands Handballer haben ihren Charaktertest bei der WM nach einem unnötigen Krimi bestanden und die Chance auf den fünften Platz gewahrt. Angeführt von einem erneut überragenden Andreas Wolff besiegte das deutsche Team den Olympiavierten Ägypten am Freitag mit 35:34 (30:30, 17:14) nach Verlängerung und kämpft nun am Sonntag um einen versöhnlichen Turnierabschluss.
"Die letzte Viertelstunde war ein bisschen eine Parallele zum Frankreich-Spiel, das ist leider so", sagte Bundestrainer Alfred Gislason, nachdem Deutschland in den letzten 15 Minuten lediglich drei Tore erzielte: "Es kam sehr wenig Gefahr aus dem Rückraum, und wir haben während des ganzen Spiels viele technische Fehler und Stürmerfouls gemacht."
Kapitän Johannes Golla räumte am ARD-Mikrofon ein, dass "wir in gewisser Weise unser Ziel erreicht haben, aber so, wie der Spielverlauf war, kann man natürlich nicht zufrieden sein". Es könne sein, dass "sich einige zu sicher waren, aber das darf natürlich nicht passieren, ich hoffe, dass wir daraus lernen."
Nach einer zehnminütigen Phase ohne eigenen Treffer verlor Deutschland in der Schlussphase völlig den Faden, verspielte eine Acht-Tore-Führung nach 42 Minuten und musste in die Overtime. Zu den besten deutschen Werfern vor 1604 Zuschauern in Stockholm avancierten Golla (7 Tore), Spielmacher Juri Knorr (6) und Julian Köster (6). "Man of the Match" war einmal mehr der in Weltklasseform auftrumpfende Torhüter Andreas Wolff.
Zwei Tage nach dem Viertelfinal-Aus gegen Olympiasieger Frankreich (28:35) präsentierte sich Gislasons Mannschaft insgesamt bestens erholt und top motiviert, die Schwächephase am Ende hinterließ aber viele fragende Gesichter. Wolff rettete den knappen Sieg über die Zeit, nach 60 Minuten hatte er bärenstarke 19 Paraden auf dem Konto.
"Die Jungs sind sehr heiß darauf, nicht mit Niederlagen aus dem Turnier zu gehen, sondern das, was wir aufgebaut haben, weiterzuentwickeln", sagte Gislason vor der Ägypten-Partie im Sportschau-Interview: "Das geht nur mit zwei Siegen."
Diese neue Energie machte sich schnell bemerkbar. Gislason verteilte die Spielanteile früh auf mehrere Schultern - und sein Team dankte es ihm mit einer richtig starken Anfangsphase. Bis zur fünften Minute dauerte es bis zum ersten Gegentreffer. Und vorne lenkte Spielmacher Juri Knorr klug das Spiel.
"Booooom", schrie Wolff durch die fast menschenleere Tele2-Fußballarena, nachdem der Keeper beim Stand von 10:6 nach einer Viertelstunde bereits den sechsten ägyptischen Wurf pariert hatte. Und als der agile Kai Häfner zehn Minuten später zum 15:8 einnetzte, rief Gislason seinen Schützlingen in einer Auszeit zu: "Ihr macht das alle sehr, sehr gut."
Umso ärgerlicher, dass die deutsche Mannschaft in den letzten fünf Minuten der ersten Halbzeit noch sechs Gegentore kassierte - und der Afrikameister plötzlich wieder auf drei Treffer herankam.
Golla und Co. hielten die Konzentration im
zweiten Durchgang zunächst hoch. Hinten hielt Wolff weiter weltklasse,
vorne traf Knorr per Doppelschlag zum 24:19 (39.). "Die sind kurz davor
kaputt zu gehen. Wir sind müde, aber die sind müder", so Gislason
während eines Timeouts. Es wurde dennoch spannend: Stutzke sah nach
seiner dritten Zeitstrafe noch die Rote Karte (52.) - und Ägypten traf
in der Schlusssekunde der regulären Spielzeit die Latte.
Moritz LÖHR und Christoph STUKENBROCK /
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