Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) reist kurz vor dem ersten Jahrestag des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine zu den Vereinten Nationen nach New York. Baerbock wird am Donnerstag an einer Sondersitzung der UN-Vollversammlung teilnehmen und dort eine Rede halten, wie ein Sprecher des Auswärtigen Amtes in Berlin am Mittwoch sagte. Bei der Sitzung soll eine Resolution verabschiedet werden, in der Frieden in der Ukraine und ein Abzug der russischen Truppen aus dem Land gefordert werden.
Am Freitag, dem ersten Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine, wird sich dann der UN-Sicherheitsrat mit dem Krieg in der Ukraine befassen. Auch dort wird Baerbock eine Rede halten. Das mächtigste Gremium der Vereinten Nationen ist im Ukraine-Krieg weitgehend blockiert: Russland hat als eines der fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats ein Veto-Recht und kann damit jede völkerrechtlich bindende Resolution verhindern.
Die UN-Vollversammlung, in der Russland kein Veto-Recht hat, hat seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs eine Reihe von Resolutionen zu dem Thema beschlossen, die aber nicht völkerrechtlich bindend sind. So stimmten im März vergangenen Jahres 141 der 193 UN-Mitgliedstaaten für eine Resolution, in der Russland zum "sofortigen" Abzug aus der Ukraine aufgefordert wurde.
Im April beschloss die Vollversammlung mit einer deutlich knapperen Mehrheit von 93 Stimmen, Russlands Mitgliedschaft im UN-Menschenrechtsrat in Genf auszusetzen. Im Oktober verurteilten dann 143 Mitgliedstaaten die "illegalen Annexionen" der ukrainischen Regionen Luhansk, Donezk, Cherson und Saporischschja durch Russland.
Die Ukraine und ihre Verbündeten hoffen nun auf eine möglichst große Mehrheit für die neue UN-Resolution zum russischen Angriffskrieg. Die Debatte über den Text sollte am Mittwochnachmittag (Ortszeit) in New York beginnen.
In dem Resolutionsentwurf wird ein "umfassender, gerechter und dauerhafter Frieden in der Ukraine in Übereinstimmung mit den Prinzipien der Charta der Vereinten Nationen" gefordert. Hervorgehoben wird die Bedeutung der "Souveränität, Unabhängigkeit, Einheit und territorialen Integrität der Ukraine". Außerdem wird Russland aufgefordert, "sofort, vollständig und bedingungslos" alle seine Truppen aus der Ukraine abzuziehen.
Ein westlicher Diplomat sagte, der Text ziele darauf ab, die internationale Staatengemeinschaft zusammenzubringen und Russland klar zu machen, "dass es seine Ziele nicht mit Gewalt erreichen kann". Allerdings hat der russische Präsident Wladimir Putin zuletzt bekräftigt, den am 24. Februar 2022 gestarteten Angriffskrieg gegen das Nachbarland unvermindert fortsetzen zu wollen.
Die Hoffnungen auf eine Friedenslösung sind ein Jahr nach Beginn des Krieges deswegen gering. China hat zuletzt angekündigt, einen Vorschlag für eine "politische Lösung" des Krieges vorlegen zu wollen. Allerdings sind westliche Staaten angesichts der Nähe Chinas zu Russland diesbezüglich skeptisch.
Auch die Ukraine selbst steht Friedensinitiativen derzeit skeptisch gegenüber. "Die Ukraine ist noch nicht in der Stimmung, Gespräche zu führen, und denkt, dass ein Friedensprozess eine Falle sein könnte, weil Russland einen Waffenstillstand nutzen könnte, um seine territorialen Gewinne zu sichern", sagt Richard Gowan von der Denkfabrik International Crisis Group der Nachrichtenagentur AFP. Es bestehe deswegen die Gefahr, dass Staaten wie China, Brasilien und Südafrika die Ukraine als das "echte Hindernis für Frieden" bezeichnen könnten.
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