Kinder sollen nach den Plänen von Bundesernährungsminister Cem Özdemir (Grüne) künftig keine Werbung mehr für ungesunde Lebensmittel sehen. Özdemir schlug ein weitreichendes Verbot von an Kinder gerichteter Junkfood-Werbung (Wikipedia) vor. Fachleute lobten die Pläne, der Koalitionspartner FDP kündigte Widerstand an. Lebensmittel- und Werbewirtschaft reagierten empört.
Freiwillige Selbstverpflichtungen der Werbewirtschaft hätten zu nichts geführt, sagte Özdemir am Montag in Berlin. Deshalb brauche es nun eine strikte Regelung. Er fordere kein "allgemeines Werbeverbot" - "aber die Werbung darf sich eben nicht mehr gezielt an Kinder richten".
Das Werbeverbot soll für Fernseh- und Radiosendungen sowie Onlinenetzwerke wie Youtube von 06.00 Uhr morgens bis 23.00 Uhr abends gelten. Auch Anzeigen in Presseerzeugnissen sollen unter das Verbot fallen, wenn sie sich von der Aufmachung her offensichtlich an Kinder richten. Außenwerbung für Süßigkeiten und Ähnliches soll im Hundert-Meter-Umkreis von Schulen und Einrichtungen wie etwa Schwimmbädern nicht mehr möglich sein. Neue Vorgaben sind auch für Sponsoring etwa beim Vereinssport geplant.
Die Definition von "an Kinder gerichteter Werbung" ist weit gefasst: Es reiche aus, wenn "bewusst in Kauf genommen wird, dass sie regelmäßig insbesondere auch von Kindern wahrgenommen wird beziehungsweise wahrgenommen werden kann", sagte der Minister. Kinder schauten nachweislich zwischen 06.00 und 23.00 Uhr fern oder seien im Internet unterwegs. Für die Definition ungesunder Lebensmitteln will sich Özdemir nach Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) richten.
Lob für die Pläne kam von der Vizepräsidentin der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin, Ursula Felderhoff-Müser: Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzte, wissenschaftliche Fachgesellschaften und Verbraucherorganisationen forderten eine solche Regelung bereits seit Jahren, denn die Wirksamkeit von an Kinder gerichteter Werbung sei gut belegt.
Die Deutsche Adipositasgesellschaft erklärte, Özdemir sei "ein großer Wurf gelungen". Adipositas bei Kindern stelle ein zentrales Gesundheitsproblem dar, die Werbung für Ungesundes sei dafür ein wichtiger Faktor. Die Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (Dank), Foodwatch, der Verbraucherzentrale Bundesverband und der WWF sprachen allesamt von einem "Meilenstein" im Kampf gegen Übergewicht und für die Kindergesundheit.
Wissenschaftliche Untersuchungen hätten gezeigt, dass viele der beliebtesten Sendungen bei Kindern unter 14 Jahren keine Cartoons seien, sondern Familienshows und Fußballübertragungen, erklärte Dank-Sprecherin Barbara Bitzer. "Eine Werbebeschränkung light, die nur im Umfeld klassischer Kindersendungen greift, wäre zum Scheitern verurteilt." Sie appellierte an die Koalitionspartner SPD und FDP, "diesen aus wissenschaftlicher Sicht richtigen und wichtigen Vorschlag des Ministers zu unterstützen".
Özdemir sagte, er werde nun die Ressortabstimmung einleiten und rechne durchaus mit "Widerstand". Der agrarpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Gero Hocker, kündigte umgehend an, innerhalb der Ampel werde der Grünen-Politiker "keine Mehrheit finden". Özdemir verfolge offenbar das Ziel, "aus jedem unmündigen Kind einen unmündigen Bürger werden zu lassen".
Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) erklärte auf Twitter, er stimme Özdemir "klar zu". Kinderwerbung für ungesunde Lebensmittel sollte verboten werden. SPD-Chefin Saskia Esken dagegen sagte, "Kinder vor ungesunden Lebensmitteln schützen, das müssen, glaube ich, immer noch die Eltern tun".
Die Lebensmittelindustrie kritisierte, die Kriterien der WHO seien "völlig intransparent". Es gebe keine belastbaren wissenschaftlichen Untersuchungen zur Wirksamkeit der Werbebeschränkungen auf die Gesamternährung und die Entwicklung von kindlichem Übergewicht. Der Verband verwies auf das Beispiel Großbritannien, wo es seit mehr als 15 Jahren Werbeverbote gebe und die Übergewichtsraten nicht gesunken seien.
Wenn zwischen 06.00 und 23.00 Uhr abends für den Kriterien entsprechende Lebensmittel nicht mehr geworben werden dürfe, "betrifft das mehr als 70 Prozent der Produkte". Würden die Einschränkungen auch für Sportsponsoring, Social-Media-Aktivitäten und Samstagabendshows gelten, "wird das weitreichende Folgen für die Medien-, Sport- und Kulturlandschaft haben".
Der Zentralverband der Werbewirtschaft schloss sich den Argumenten an. Auch er sieht ein "weitgehendes Totalverbot für Lebensmittel" in den Plänen Özdemirs. Das führe zu einer "massiven Überregulierung".
ilo/cfm AFP