Der griechische Regierungschef Kyriakos Mitsotakis hat die Angehörigen der 57 Opfer des schweren Zugunglücks in seinem Land um Verzeihung gebeten. Als Ministerpräsident sei er dies allen schuldig, erklärte Mitsotakis am Sonntag in einer Botschaft an die Nation im Onlinedienst Facebook. Unterdessen lieferten sich Demonstranten und Polizei bei einer Protestkundgebung in Athen gewaltsame Auseinandersetzungen.
Mitsotakis erklärte, insbesondere den Angehörigen der Opfer sei er es schuldig, "um Vergebung" zu bitten. "Es kann nicht sein, dass 2023 in Griechenland zwei Züge auf derselben Strecke auf einander zufahren und das von niemandem bemerkt wird", fügte er hinzu.
Auf der Strecke zwischen Athen und der Hafenstadt Thessaloniki waren am Dienstagabend kurz vor Mitternacht ein Personenzug und ein auf demselben Gleis entgegenkommender Güterzug frontal zusammengestoßen. Es war das schwerste Zugunglück in der Geschichte des Landes.
Im Anschluss an das Unglück war der Bahnhofsvorsteher der Stadt Larisa festgenommen worden. Er räumte ein, die Umleitung der Züge versäumt zu haben. Dem 59-Jährigen werden fahrlässige Tötung und fahrlässige Körperverletzung zur Last gelegt. Er erschien am Sonntag das erste Mal vor Gericht.
Einem Bericht des öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders ERT zufolge hatte der Mann den Posten erst 40 Tage inne, nachdem er zuvor ein dreimonatiges Training absolviert hatte. Nach Angaben der Tageszeitung "Kathimerini" arbeitete er bis zum Unglück offenbar vier Tage lang alleine auf dem Bahnhof, obwohl es sich um ein Feiertagswochenende mit starkem Zugverkehr handelte.
Ministerpräsident Mitsotakis betonte mit Blick auf den Bahnhofsvorsteher: "Wir können, wollen und dürfen uns nicht hinter dem menschlichen Versagen verstecken."
Die Bahngesellschaft Hellenic Train wehrte sich derweil gegen Vorwürfe, die Angehörigen der Opfer im Stich gelassen zu haben. Das Personal von Hellenic Train sei "vom ersten Augenblick an am Unfallort gewesen" und habe mit den Behörden, dem Zivilschutz und den Rettungskräften zusammengearbeitet, hieß es in einer am Samstagabend veröffentlichten Erklärung. Das Unternehmen sprach von "besonders schwierigen Tagen" und verwies darauf, dass es bei dem Zusammenstoß neun Mitarbeiter verloren habe.
Das Unglück führte zu breitem Protest in Griechenland. Am Wochenende gingen Menschen in mehreren Städten auf die Straßen. Nach Angaben der Polizei versammelten sich am Sonntagvormittag während der Anhörung des Bahnhofsvorstehers rund 12.000 Menschen vor dem Parlament in Athen zu einer Protestkundgebung. Sie ließen hunderte schwarze Ballons in den Himmel steigen, um der Toten des Unglücks zu gedenken.
Zwischenzeitlich schlugen die Proteste in der Hauptstadt Athen in Gewalt um. Einige Demonstranten setzten Mülltonnen in Brand und warfen Molotow-Cocktails, worauf die Polizei mit Tränengas und Blendgranaten reagierte, wie Reporter der Nachrichtenagentur AFP beobachteten.
Nach Angaben der Polizei wurden sieben Beamte verletzt und in ein Krankenhaus gebracht. Fünf Menschen seien festgenommen worden, nachdem sie Steine und Molotow-Cocktails auf Polizisten geworfen hätten. Zum Nachmittag beruhigte sich die Situation in Athen wieder.
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Marina RAFENBERG und Vassilis KYRIAKOULIS / © Agence France-Presse