"Das Internet ist für uns alle Neuland, und es ermöglicht auch Feinden und Gegnern unserer demokratischen Grundordnung natürlich, mit völlig neuen Möglichkeiten und völlig neuen Herangehensweisen unsere Art zu leben in Gefahr zu bringen."
Fast sieben Jahre ist es her, dass Kanzlerin Angela Merkel das Internet als "Neuland" bezeichnet hat. Merkel bezog sich damals primär auf heute tagesaktuelle Themen wie feindliche Hackerangriffe und spielte damit wohl ebenso auf das Abhören durch Freunde an.
Das Wort ist jedoch zum geflügelten Wort geworden, um Deutschlands miserables Verhältnis zum Internet zu demonstrieren. Die Bundesrepublik ist, was die Digitalisierung angeht, ein Entwicklungsland. Im internationalen Vergleich dümpeln wir irgendwo zwischen Platz 20 und 30, was die Geschwindigkeit angeht. Schnelle Verbindungen wie 4G und Glasfaser sind weit entfernt vom Standard. Auf dem Land sind sowohl Mobilfunk und Internet schlecht ausgebaut.
So ist es überhaupt nicht verwunderlich, dass man besonders in Deutschland Angst hat vor Schäden durch Elektrosmog, WLAN-Strahlen und 5G. Diese unbegründeten Ängste zeugen von einer schlechten Alphabetisierung des Internets.
In Ben Stillers 2001 Meisterwerk "Zoolander" gibt es eine Szene, die auf Stanley Kubricks "2001: Odyssee im Weltraum" anspielt. Bei Kubrick erscheint den Menschenaffen ein schwarzer Monolith, bei Stiller ein Apple iMac G3.
Kubrick lässt seine Affen den Monolithen anhimmeln, Stiller jedoch vermischt seine Szene mit einer anderen von Kubricks menschlichen Evolution. Nämlich die, in der ein Menschenaffe ein Tapirskelett mit einem Knochen zertrümmert.
Bei Kubrick wird der Knochen, der von der primitiven Kreatur in die Luft geschleudert wird zum Satelliten, das Endprodukt, was durch die menschliche Entwicklung möglich ist.
Stiller zeigt sich 33 Jahre nach Kubrick gänzlich desillusioniert und dreht diese Botschaft um. Nicht von der künstlichen Intelligenz (KI), verkörpert durch HAL 9000 oder durch den Mac, geht zukünftig die Gefahr aus, sondern vom Menschen, der die Technik nicht versteht. Bei Stiller ist der Mensch deshalb verdammt, sich zum Anfang der Evolution zurückzubegeben. Der wieder zum Affen gewordene Mensch greift zum Knochen und nicht zum Satelliten.
Während Kubrick uns die Dystopie aufzeigt, was den Übermenschen am Ende von Nietzsches Brücke erwartet, lässt Stiller den Menschen provokant über diese Brücke zurück in Richtung Affen tänzeln. Der Bezug zu Nietzsche wird dabei nicht zuletzt durch Richard Strauss' "Also Sprach Zarathustra" hergestellt.
"Der Mensch ist ein Seil, geknüpft zwischen Tier und Übermensch – ein Seil über einem Abgrunde. Ein gefährliches Hinüber, ein gefährliches Auf-dem-Wege, ein gefährliches Zurückblicken, ein gefährliches Schaudern und Stehenbleiben." (Friedrich Nietzsche. Also sprach Zarathustra. Zarathustras Vorrede.)
Kubrick und seine geistigen Erben sorgen sich um die Gefahr der KI, den Einfluss der Computer und Smartphones und die Macht der Technologie. Stiller aber weist uns mit seiner Parodie zurecht darauf hin, dass auch diejenigen eine Gefahr darstellen, welche die Technik gar nicht erst verstehen.
Denn es geht bei der Digitalisierung um weit mehr als nur um schnelles Internet.
Nach der Sendung mit Maybrit Illner über den Anschlag von Halle schrieb die Münsteranerin Marina Weisband auf Twitter:
"Ich weiß nicht mal, wie ich in Talkshows über Radikalisierung reden kann, wenn ich Memes erklären muss, wenn ich Boards erklären muss, wenn ich Streaming erklären muss. Unserer Gesellschaft fehlt das Vokabular, um über aktuellen Terror zu sprechen."
Den meisten Deutschen fehlt das Vokabular, um im 21. Jahrhundert mitreden zu können. Und gerade jetzt während der Coronakrise offenbaren sich die Abgründe, über die Deutschland in den letzten Jahren herumgetänzelt ist. Wie kann es sein, dass ein Streamer auf Twitch eine bessere Leitung hat, als das ZDF? Ein besseres Setup als RTL? Eine genauere Webcam als die ARD?
Ja, was ist überhaupt noch Fernsehen? Eine versäumte Chance für Menschen, die etwas versäumt haben. Den Anschluss an die Gesellschaft. Wie lange mussten sich junge Menschen anhören, sich abzuschotten oder weltfremd zu sein, eingesperrt in ihren Zimmern? Jetzt sehen wir doch, wie vernetzt sie in Wirklichkeit waren. Wie oft wurde über Home Office diskutiert? Sehen wir nun, welche Berufe wirklich auch von zu Hause möglich sind.
Daher gilt es inständig zu hoffen, dass sich das Technikverständnis und dadurch auch dessen Akzeptanz in Deutschland bessert. Sonst wird man immer weiter abgehängt werden. Alles, was dann nämlich bleibt, ist der Griff zum Knochen und nicht der Blick hoch zum Satelliten.