Am Karfreitag (07. April) vor 20 Jahren wurde der deutsche Journalist Christian Liebig im Irak getötet. Aus diesem Anlass blickt Reporter ohne Grenzen (RSF) auf zwei besonders tödliche Jahrzehnte für Medienschaffende zurück: Seit 2003 kamen bis 7. April insgesamt 1.657 Journalistinnen und Reporter bei oder wegen ihrer Arbeit ums Leben, durch Morde oder Auftragsmorde, bei Überfällen, Angriffen in Kriegsgebieten oder nach schwersten Verletzungen. Im Schnitt sind das mehr als 80 im Jahr.
„Hinter jeder nackten Zahl steht ein unermesslicher Verlust für die Angehörigen, und ein Verlust im Kampf um die Pressefreiheit weltweit“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Für uns ist das ein Ansporn, jeden Tag weiter zu kämpfen, für besseren Schutz in Krisen- und Kriegsgebieten, für wirksamere Gesetze und gegen die Straflosigkeit. Wenn die Täterinnen und Täter straflos davonkommen, werden immer wieder Journalistinnen und Reporter sterben.“
Christian Liebig war für den Focus in den Irak gereist und begleitete dort als „embedded journalist“ eine Einheit der US-Armee. Die US-geführte Invasion im Irak hatte am 19. März begonnen. Am 7. April 2003 schlug eine Rakete im Hauptquartier der Einheit ein und tötete Liebig, seinen spanischen El-Mundo-Kollegen Julio Anguita Parrado und zwei Soldaten. Seit 2003 sind im Irak insgesamt 300 Medienschaffende ums Leben gekommen. Der Irak ist damit vor Syrien mit 280 Getöteten das gefährlichste Land für Journalistinnen und Reporter der vergangenen 20 Jahre. Auf dieser Liste folgen Afghanistan, der Jemen, die Palästinensischen Gebiete und Somalia.
Die meisten Medienschaffenden kamen 2012 ums Leben. Für die 143 getöteten Journalistinnen und Journalisten waren vor allem die verschiedenen Parteien des syrischen Bürgerkriegs verantwortlich. Ein Jahr später, 2013, starben weitere 136 Medienschaffende. In der Folge gingen die Zahlen zurück, ab 2019 verzeichnete RSF historisch niedrige Zahlen. 2021 starben weltweit 51 Journalistinnen und Reporter, im vergangenen Jahr 60.
In Europa ist Russland das Land mit den meisten getöteten Medienschaffenden
In Europa bleibt Russland das Land mit den meisten getöteten Medienschaffenden. Seit der Machtübernahme durch Wladimir Putin im Jahr 2001 hat es in Russland vermehrt systematische Angriffe auf die Pressefreiheit gegeben, darunter mindestens 37 tödliche wie den Mord an Anna Politkowskaja am 7. Oktober 2006. Der umfassende russische Angriffskrieg auf die Ukraine seit 24. Februar 2022 ist einer der Gründe für die hohen Todeszahlen in der Ukraine, die zweithöchsten in Europa. Dort wurden in den vergangenen zwei Jahrzehnten 20 Medienschaffende getötet, acht von ihnen seit der Invasion, nahezu alle anderen in den seit 2014 umkämpften Gebieten. Die Türkei steht mit neun getöteten Medienschaffenden auf Rang drei, gefolgt von Frankreich. Dort töteten Terroristen beim Terroranschlag auf das Büro der Satirezeitschrift Charlie Hebdo in Paris im Jahr 2015 acht Medienschaffende.
Dass Journalistinnen und Journalisten dort besonders gefährdet sind, wo Kriege oder bewaffnete Auseinandersetzungen stattfinden, liegt nahe. Allerdings ist die Zahl der jährlich in Kriegsgebieten getöteten Medienschaffenden zuletzt gesunken; in den vergangenen drei Jahren waren es jeweils nicht über 20. Abgesehen davon, dass die Intensität einiger Kriege abgenommen hat, spiegeln diese Zahlen auch die Wirksamkeit der von den Nachrichtenorganisationen ergriffenen Präventiv- und Schutzmaßnahmen wider.
Dennoch sind auch Länder, in denen offiziell kein Krieg stattfindet, häufig keine sicheren Orte für Journalistinnen und Journalisten. Seit 2003 sind sogar mehr Medienschaffende in offiziell friedlichen Gebieten getötet worden als bei der Kriegsberichterstattung. Vor allem Recherchen zum organisierten Verbrechen und zu Korruption sind extrem gefährlich.
Das trifft in besonderem Maße auf Mexiko zu, aber auch auf Brasilien, Kolumbien und Honduras. 2022 war der amerikanische Doppelkontinent die gefährlichste Region der Welt, dort hat Reporter ohne Grenzen 47 Prozent aller getöteten Medienschaffenden gezählt. Auch in Asien sind die Zahlen zum Teil sehr hoch: Auf den Philippinen wurden in den vergangenen 20 Jahren 107 Medienschaffende getötet, in Pakistan 94 und in Indien 59.
Auch Journalistinnen vermehrt unter den Opfern
95 Prozent aller getöteten Medienschaffenden sind Männer. Dennoch steigt auch die Zahl getöteter Journalistinnen an, in manchen Jahren sprunghaft. Im Jahr 2017 etwa kamen zehn Journalistinnen ums Leben, gegenüber 65 männlichen Journalisten. In den vergangenen 20 Jahren wurden insgesamt 79 Journalistinnen getötet, oftmals nachdem sie zu Frauenrechten recherchiert hatten.
Reporter ohne Grenzen zählt als
„getötet“ nur Medienschaffende, die unter das Mandat der Organisation
fallen. Dieses umfasst alle Personen, die regelmäßig im Haupt- oder
Nebenberuf Nachrichten, Informationen und Ideen sammeln, verarbeiten und
verbreiten, um dem öffentlichen Interesse zu dienen, wobei sie die
Grundsätze der Meinungsfreiheit und der journalistischen Ethik beachten.
Die Frage, ob eine Person unter das RSF-Mandat fällt, ist eine
Einzelfallentscheidung, die jeweils nach detaillierter Prüfung erfolgt.