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Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2022

Auf knapp 400 Seiten hat der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz die Extremismusbereiche beschrieben, die aktuell eine Gefahr für die Demokratie darstellen.

Minister des Innern Herbert Reul hat am Donnerstag, 13. April 2023, den Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2022 vorgestellt. Auf knapp 400 Seiten hat der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz die Extremismusbereiche beschrieben, die aktuell eine Gefahr für die Demokratie darstellen.

Minister Herbert Reul: „Gefahren für unsere Gesellschaft und für unsere Demokratie kommen mittlerweile aus allen Richtungen: von innen wie außen. Sie lauern auf den Straßen, im Cyberraum, erreichen uns digital über soziale Medien, sind politisch oder religiös motiviert, oder kommen als Desinformations- und Destabilisierungskampagnen aus dem Ausland. Diese Bedrohungen haben sich auf unserem freiheitlich demokratischen Boden heimisch gemacht – zu heimisch.“

Mit Beginn des Krieges in der Ukraine haben laut Verfassungsschutzbericht die Gefahren von außen zugenommen. Minister Reul weiter: „Spionage, Cyberangriffe sowie Desinformation und Destabilisierungskampagnen aus dem Ausland sind die großen Herausforderungen für unsere Demokratie. Auch wenn Grenzen zwischen den Extremismusbereichen an Kontur verlieren, Bedrohungen sind nicht grenzenlos und wir sind nicht hilflos. Ob links, rechts oder von außen – der Verfassungsschutz entdeckt jedes demokratische Foulspiel. Denn wir sind wehrhaft.“

Der aktuelle Verfassungsschutzbericht fasst Rechts- und Linksextremismus sowie Islamismus und Antisemitismus als weiterhin konstante Gefahren für die Gesellschaft zusammen. Genauso bedrohen Demokratiefeinde die freiheitliche demokratische Grundordnung. Die Krisen der vergangenen Jahre sind dabei Belastungsproben für die Gesellschaft. Dadurch ist auch unsere demokratische Grundordnung angreifbarer geworden. Extremisten haben es in diesen unruhigen Zeiten leichter, Menschen zu erreichen und für die eigene Sache zu gewinnen.

Der Verfassungsschutz beobachtet eine zunehmende Entgrenzung der verschiedenen Extremismusbereiche. Minister Herbert Reul: „Es lässt sich nicht mehr sauber trennen, wofür die unterschiedlichen Demokratiefeinde heute stehen. Meist liegen da nur Nuancen zwischen ihnen. Protestieren die Leute nur für das Klima oder laufen dazwischen auch Linksextremisten mit, die den Staat in Frage stellen? Wer heute noch radikal ist, kann sich morgen schon mit Extremisten verbündet haben und einen gewaltsamen Umsturz planen. Daraus ergeben sich neue Herausforderungen für unsere Verfassungsschützer. Wichtig ist, noch genauer hinzusehen: Wer läuft da mit wem aufs Spielfeld? Und wer hat das demokratische Trikot nur noch zur Tarnung an und spielt eigentlich schon in einem anderen Team mit?“

Der Minister des Innen plädiert zudem dafür, dass die Sicherheitsbehörden – auch der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz – mehr Befugnisse bekommen. Sie müssen mit den internationalen Partnern mithalten können und auch bei den gestiegenen Herausforderungen handlungsfähig bleiben. Auch Meldepflichten des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes oder die Regelungen der Vorratsdatenspeicherung bedürfen einer rechtlichen Überarbeitung. „Wir brauchen mehr Möglichkeiten und Befugnisse im Netz, um Extremisten noch früher das Handwerk zu legen“, so der Minister.

Phänomenbereiche im Überblick:

2022 gab es in Nordrhein-Westfalen insgesamt 8.948 Politisch motivierte Straftaten. Das ist im Vergleich zum Vorjahr ein Anstieg um 39,8 Prozent (2021: 6.399). Die wesentlichen Gründe für den Anstieg liegen im Bereich der PMK (Politisch Motivierte Kriminalität) – ausländische Ideologie mit einer Vielzahl an wechselseitigen Straftaten von russischen und ukrainischen Unterstützern sowie im Bereich der „PMK – nicht zuzuordnen“ mit einer Vielzahl an Verstößen gegen das Versammlungsgesetz. Insgesamt wurden 396 Gewaltdelikte mit politischer Motivation in Nordrhein-Westfalen registriert. Im Vergleich zum Vorjahr ist das eine Steigerung um 9,1 Prozent (2021: 363). 260 Gewaltdelikte konnten polizeilich aufgeklärt werden, womit die Aufklärungsquote mit 65,7 Prozent höher als im Vorjahreszeitraum (2021: 58,4 Prozent) ist.

Rechtsextremismus

In 2022 hat der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz 3.545 Rechtsextremisten (2021: 3.875) im Blick, ein Rückgang von fast neun Prozent. Die Zahl gewaltorientierter Rechtsextremisten liegt bei 1.900 Personen (2021: 2.000). Die Politisch motivierte Kriminalität im Bereich rechts ist von 3.135 Straftaten im Jahr 2021 auf 3.453 Straftaten im Jahr 2022 gestiegen. Ein Plus von rund zehn Prozent. Die verübten Gewaltdelikte sanken leicht von 121 Straftaten im Jahr 2021 auf 117 Straftaten im Jahr 2022.

„Der zahlenmäßige Rückgang im Bereich Rechtsextremismus ist aber kein Grund zur Entwarnung. Denn der Rechtsextremismus ist mit seiner menschenverachtenden Ideologie die größte extremistische Bedrohung für unsere Demokratie,“ betont Minister Reul.

Besonders im Fokus des Verfassungsschutzes ist die Reichsbürger-Szene. Und das nicht erst seit dem geplanten gewaltsamen Staatsumsturz der mutmaßlich terroristischen Vereinigung um den sogenannten „Prinz Reuß“ im Dezember vergangenen Jahres. Im Verfassungsschutzbericht des Landes wurden Reichsbürger erstmals 2016 erwähnt. Insgesamt gibt es in Nordrhein-Westfalen aktuell rund 3.400 Reichsbürger.

Linksextremismus

2022 zählte der Verfassungsschutz 2.810 Linksextremisten in Nordrhein-Westfalen. Zum Vorjahr ist das ein Anstieg um 5,2 Prozent (2021: 2.670). Das Personenpotenzial der gewaltbereiten Linksextremisten in Nordrhein-Westfalen ist mit rund 1.000 Personen seit mehreren Jahren unverändert. Die Politisch motivierte Kriminalität im Bereich links ist um 31,7 Prozent zurückgegangen: von 1.207 Straftaten im Jahr 2021 auf 824 Straftaten in 2022. Die verübten Gewaltdelikte sind von 141 Straftaten im Vorjahr auf 71 gesunken. „Auch der Linksextremismus spielt das Spiel der flexiblen Grenzen mit. Bürgerinnen und Bürger, die ein berechtigtes Anliegen wie den Klimaschutz haben, werden von linksextremistischen Straftätern instrumentalisiert. Wir haben alle noch die Bilder aus Lützerath vor Augen. Die Klimaschutzbewegung muss sich endlich laut und deutlich von Linksextremisten abgrenzen!“, appelliert Minister Reul.

Islamismus

Der Verfassungsschutz zählte im vergangenen Jahr 4.070 Islamisten in Nordrhein-Westfalen. Das ist ein Rückgang um 11,7 Prozent zum Jahr davor (2021: 4.610). Die Zahl der gewaltbereiten Islamisten sank von 780 auf 600 Personen. Die Politisch motivierten Straftaten im Bereich der Religiösen Ideologie stiegen minimal von 59 auf 60 Delikte.

Innenminister Reul warnt weiterhin: „Der zahlenmäßige Rückgang bei den Islamisten in Nordrhein-Westfalen gibt aber keinen Anlass zur Entwarnung. Wie verborgen und deshalb umso gefährlicher Islamisten in unseren Reihen sind, konnten wir bei den Festnahmen Anfang dieses Jahres in Castrop-Rauxel sehen.“

Antisemitismus

Im Bereich Antisemitismus haben die Sicherheitsbehörden im vergangenen Jahr 331 antisemitische Straftaten registriert. Das waren 106 Straftaten weniger als 2021. In den meisten Fällen ging es um Volksverhetzung, um Propagandadelikte und Sachbeschädigung.

Innenminister Reul mahnt: „Außer Frage steht, dass Antisemitismus in allen Ausprägungen auf das Schärfste zu verurteilen ist und nie wieder Platz in Deutschland haben darf. Es gab zwar insgesamt einen Rückgang, jedoch ist die Qualität der Straftaten gegen unsere jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger erschreckend, denken wir nur an die Schüsse auf die Synagoge in Essen Ende vergangenen Jahres. Und deshalb lassen wir nicht nach, Jüdinnen und Juden bestmöglich zu schützen.“

Mit diesem Verfassungsschutzbericht gibt es wieder ein eigenes Kapitel zum Thema Antisemitismus, das künftig fester Bestandteil sein wird.

Spionage und Cyberabwehr

Neben dem Rechtsextremismus stellen Spionage und Cyberangriffe eine weitere große Gefahr für unsere Demokratie dar. Die Bedrohungen erreichen Nordrhein-Westfalen hybrid als Desinformation und Propaganda, in Form von Spionage, durch Cyberangriffe auf unsere Kritische Infrastruktur, durch Staatsterrorismus und durch illegale Technologiebeschaffung. Die Nachrichtendienste aus Russland, China, dem Iran und der Türkei sind dabei die Hauptakteure. „Weil uns die Bedrohungen vielfältiger erreichen, sind diese im Zusammenspiel noch gefährlicher. Das heißt aber auch: Wenn von außen die Bedrohung immer größer wird, müssen wir innen enger zusammenrücken,“ mahnt Minister Reul. 

Der NRW-Verfassungsschutz wird die Entwicklungen in allen Extremismusbereichen weiter intensiv im Blick behalten und die Öffentlichkeit darüber aufklären.


Land NRW


Foto: Land NRW / Ralph Sondermann