Sechs Jahre später neigt sich die Ära der Kernenergie in Deutschland dem Ende zu. Die letzten drei verbliebenen Kernkraftwerke Isar 2 in Bayern, Neckarwestheim in Baden-Württemberg und Emsland in Niedersachsen werden bis spätestens Samstag um Mitternacht vom Netz genommen. FDP-Chef Christian Lindner sagt, Atomkraft-Comeback im Land sei „keine realistische Idee“
Guido Knott, Chef des Energieversorgers PreussenElektra, sagte, der Stopp der Kernenergie sei für die Arbeiter des Kraftwerks Isar 2 „sehr emotional“. Die Vorstellung, dass das System "nicht ans Netz zurückkehrt", ist für die Kollegen schwierig. Kraftwerksleiter Carsten Müller sprach vom „letzten schwierigen Schritt“, das Kraftwerk endgültig vom Netz zu nehmen.
„Wir haben in den vergangenen Wochen viel Zuspruch und Unterstützung erfahren“, sagte Müller. Er freue sich, dass sich so viele Menschen „wieder als Atomkraft-Befürworter positionieren
Die Umweltbewegung hingegen feiert das Ende der Atomkraft. Mehr als 2.300 Menschen versammelten sich laut BUND auf dem Odeonsplatz in München, dem Kernkraftwerk Neckarwestheim und dem Brennelementewerk Lingen, auch in Hamburg, Hannover und Freiburg gab es Aktionen. Die Teilnehmer wollten laut BUND auch ein „Zeichen für den späteren Atomausstieg“ setzen.
In Berlin versammelten sich laut Greenpeace 200 bis 300 Atomkraftgegner am Brandenburger Tor, wo die Gruppe eine symbolische Jagd auf den "Atomdino" veranstaltete. Martin Kaiser, Chef von Greenpeace Deutschland, feierte die Abschaltung von Deutschlands letztem Atomkraftwerk als "Riesenerfolg" der Anti-Atom-Bewegung seit 40 Jahren.
In Umfragen der vergangenen Tage spricht sich eine Mehrheit der Deutschen offen dagegen aus, zum jetzigen Zeitpunkt aufzuhören. Eigentlich hätte der Atomausstieg Anfang des Jahres erfolgen sollen. Die Bundesregierung hat beschlossen, die Abschaltung um dreieinhalb Monate zu verschieben, da sie Bedenken wegen Engpässen bei der Energieversorgung im Ukraine-Konflikt hatte..
Der FDP-Chef Lindner sagte am späten Freitag gegenüber Welt-TV, er wolle die drei Atomkraftwerke behalten, nicht abreißen. Zudem solle Deutschland „die Möglichkeit der Kernfusion (Wikipediaerklärung) erhalten, hier forschen und auch Anwendungen ermöglichen“.
Der bayerische Staatskanzler Markus Söder (CSU) bekräftigte in den ARD-"Tagesthemen" seine Forderung nach einer Rückkehr der Forschung zur Kernenergie. „Wir brauchen jede Energie.“ Der BUND-Vorsitzende Olaf Bandt forderte am Samstag die Bundesregierung auf, einen ambitionierten und umweltfreundlichen Ausbau der Erneuerbaren Energien in Deutschland „endlich“ voranzutreiben..
Nachdem das Kraftwerk vom Netz genommen und die Kernspaltung eingestellt wurde, muss der Reaktor zunächst weiter gekühlt werden. In den Tagen nach der Abschaltung wurden 193 Brennelemente jedes Kraftwerks aus den Reaktorkernen in wassergefüllte Lagerbecken verbracht.
Anschließend kann schrittweise mit dem Abbau der Anlage begonnen werden. Nach einer Abkühlphase werden die Brennelemente in ein Zwischenlager für Atommüll auf dem Kraftwerksgelände verbracht. Es kann jedoch Jahre oder Jahrzehnte dauern, bis „grüne Wiesen“ entstehen.
Der frühere Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) hat eine beschleunigte Suche nach Atommüll-Endlagern gefordert. „Planungsbeschleunigung ist hier wirklich angebracht“, sagte Triting dem Deutschen Redaktionsnetzwerk.
Offene und transparente Durchsuchungen sind gesetzlich vorgeschrieben. Dazu wurden deutschlandweit verschiedene mögliche Standorte in einem „wissenschaftlich fundierten und transparenten“ Verfahren verglichen. Die Suche soll nach Möglichkeit bis 2027 abgeschlossen sein, danach sollen weitere 10 bis 12 Jahre mit der Sondierung möglicher Standorte verbracht werden
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