Sehr geehrter Herr Präsident Widodo,
verehrter Herr Ministerpräsident, lieber Stephan,
meine Damen und Herren!
Als
ich im November vergangenen Jahres zum G20-Gipfel nach Bali flog, hatte
ich ein hochinteressantes Buch im Gepäck. „Revolusi“ lautet der Titel.
Der belgische Autor David van Reybrouck beschreibt darin die Bedeutung
Indonesiens für die Entstehung unserer modernen Welt.
Das Buch
beginnt mit einem interessanten Gedankenexperiment. Denken Sie einmal
zurück an Ihren Schulatlas oder an die Weltkarte im Geografieunterricht!
Indonesien ist das größte Inselreich der Welt, das
viertbevölkerungsreichste Land der Erde, in naher Zukunft eine der zehn
größten Volkswirtschaften der Welt. In den Schulatlanten, jedenfalls in
unseren hier, lag es allerdings immer in der äußersten Ecke, weit rechts
unten. Die Welt aber, so schreibt van Reybrouck, kennt natürlich kein
Oben und Unten, keine Mitte und keine Ränder. Und so schiebt er
Indonesien gedanklich ins Zentrum unserer Europa-zentrierten Karten.
Dort würde es einen Raum einnehmen, der, in europäischen Dimensionen
gemessen, von Irland bis nach Kasachstan reicht.
Und schlagartig
wird einem klar: Wir reden hier nicht über irgendeinen vermeintlich
fernen Archipel am Rande der Welt. Wir reden über ein Land mitten im
Herzen einer der dynamischsten Regionen der Welt, strategisch gelegen im
Zentrum des indopazifischen Raums, zwischen China, Indien, Ozeanien und
Amerika.
Wenn wir vom 21. Jahrhundert zu Recht als „asiatischem
Jahrhundert“ sprechen, wenn wir uns Gedanken über Wachstumsmärkte und
Diversifizierung machen, wenn wir unsere politischen und
wirtschaftlichen Antennen inzwischen viel stärker auf den
indopazifischen Raum ausrichten, dann führt an Indonesien kein Weg
vorbei.
Deshalb sind wir froh und dankbar, sehr geehrter Herr
Präsident, dass Indonesiens Weg heute hierher nach Hannover führt.
Unsere Länder sind gefestigte Demokratien. Gemeinsam treten wir für eine
Welt ein, in der die Stärke des Rechts und nicht das Unrecht des
Stärkeren gilt. Wie wichtig das ist, haben wir im vergangenen Jahr
erlebt.
Sie, Herr Präsident, haben den Vorsitz der G20-Länder
geführt. Gleichzeitig saß Deutschland der G7 vor, und es war mir eine
Freude, Sie beim G7-Gipfel in Bayern zu begrüßen.
Beim
G20-Gipfeltreffen auf Bali haben wir nicht nur Russlands
völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine, an dessen Folgen
die ganze Welt leidet, klar verurteilt. Gemeinsam haben wir auch
unmissverständlich festgehalten, dass es unzulässig ist, mit
Nuklearwaffen zu drohen oder diese gar einzusetzen. Mein Eindruck ist:
Diese Botschaft ist verstanden worden, in Moskau.
Das zeigt: Wenn
wir zusammenstehen, wenn wir unsere Kräfte zur Verteidigung der
Prinzipien der UN-Charta und des Völkerrechts bündeln, dann können wir
erfolgreich sein. Deshalb, Herr Präsident, herzlichen Dank für unsere
enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit!
Diese Kooperation wollen
wir weiter vertiefen, politisch, aber ‑ wo sind wir hier? ‑ natürlich
auch wirtschaftlich. Einen wichtigen Schritt dabei sind wir unter
unserer G7-Präsidentschaft im zurückliegenden Jahr gegangen. Wir haben
mit Indonesien eine der weltweit allerersten Partnerschaften beim fairen
Übergang zu den erneuerbaren Energien geschlossen.
Wegweisend
ist Indonesiens Bereitschaft, seinen Stromsektor bis 2050 komplett zu
dekarbonisieren. Das ist anspruchsvoll und ambitioniert, wie wir selbst
wissen. Im Gegenzug mobilisieren wir als G7 in den kommenden Jahren
staatliche und private Investitionen in zweistelliger Milliardenhöhe, um
Indonesiens Weg aus der fossilen Energie und den Hochlauf der
erneuerbaren Energien zu beschleunigen. Ich kann Sie alle nur herzlich
einladen: Nutzen Sie die Chance, die gerade auch für die innovative,
klimafreundliche deutsche Industrie hierin liegt.
Damit Ehrgeiz
beim Klimaschutz und Pioniergeist beim Umbau unserer Volkswirtschaften
belohnt und nicht bestraft werden, haben wir als G7 den internationalen
Klima-Club gegründet. Es geht um fairen Wettbewerb, um gemeinsame Regeln
und Standards. Ich freue mich außerordentlich, dass Indonesien diesem
offenen, kooperativen Klima-Club in wenigen Tagen beitreten wird.
Einen
weiteren Schub erfährt die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen
unseren Ländern durch die gemeinsame Erklärung, die Wirtschaftsminister
Habeck und sein indonesischer Kollege nun unterzeichnet haben. Der
nächste logische Schritt, der darauf aus meiner Sicht folgen sollte, ja
folgen muss, ist ein Freihandelsabkommen zwischen Indonesien und der
Europäischen Union. So würde auf einen Schlag ein gemeinsamer
Wirtschaftsraum mit weit über 700 Millionen Menschen entstehen. Seit
2016 verhandeln Indonesien und die EU-Kommission nun schon miteinander
darüber. Ich setze mich dafür ein, dass wir dieses Abkommen jetzt
endlich über die Ziellinie bringen. Und nach dem, was Sie gerade hier
gesagt haben, verehrter Herr Präsident, bin ich sehr zuversichtlich,
dass uns das auch gemeinsam gelingen wird.
Was für Indonesien
gilt, das gilt übrigens auch für unsere Freihandelsabkommen mit dem
MERCOSUR, mit Mexiko, Australien, Kenia und Indien. Auch hier ist in den
vergangenen Monaten eine ganz neue Dynamik entstanden. Das war eine
Reaktion auf die Pandemie und ihre Folgen; das ist aber auch ein Gebot
der geopolitischen Entwicklungen, hier in Europa und in Asien.
Weltweit
arbeiten Länder daran, riskante Abhängigkeiten abzubauen und ihre
Handelsbeziehungen breiter aufstellen. Auch insoweit sind unsere
Sichtweisen sehr ähnlich, Herr Präsident. Unser Ansatz lautet: Ein
Decoupling von einzelnen Märkten wäre der falsche Weg. Was wir
stattdessen brauchen, ist ein kluges, vorausschauendes De-Risking. Das
war übrigens Konsens auf der Asien-Pazifik- Konferenz der deutschen
Wirtschaft in Singapur, an der ich im November teilnehmen konnte. Und
das deckt sich auch mit den Eindrücken aus meinen Gesprächen mit
Unternehmerinnen und Unternehmern. In Sachen Diversifizierung ziehen
Politik und Wirtschaft in Deutschland nun wirklich an einem Strang.
Dabei
spielen Rohstoffe eine wichtige Rolle, besonders die, die wir bei der
Transformation hin zur Klimaneutralität und für die Digitalisierung so
dringend brauchen. Derzeit importieren wir viele davon aus China, und
das, obwohl die seltene Erde, das Kupfer oder der Nickel oft gar nicht
dort aus der Erde geholt werden, sondern in Ländern wie Indonesien,
Chile oder Namibia, in Ländern also, die von ihrem natürlichen Reichtum
an Rohstoffen oft viel zu wenig profitieren.
Wir wollen das
ändern. Wenn es uns gelingt, mehr Verarbeitungsstufen dort anzusiedeln,
wo die Rohstoffe im Boden lagern, dann schafft das nicht nur größeren
Wohlstand vor Ort, sondern dann sorgen wir zugleich dafür, dass wir
künftig mehr als nur einen oder zwei Lieferanten haben. Darum gehört
diese Verbindung von mehr lokaler Wertschöpfung mit größerer
Diversifizierung aus meiner Sicht in moderne Freihandelsabkommen.
Hinzu
kommen die Instrumente unserer Außenwirtschaftsförderung, mit denen wir
Investitionen im Ausland unterstützen, um die lokale Wertschöpfung
gerade auch im Rohstoffbereich zu vertiefen. Aber für eine sichere
Rohstoffversorgung reicht das allein nicht aus. Wir wollen deshalb auch
die Förderung und Weiterverarbeitung in Europa und, wo es möglich ist,
in Deutschland stärken.
Parallel gibt es die
Global-Gateway-Initiative der Europäischen Union, mit der wir
Investitionen in nachhaltige Infrastruktur „hebeln“ können. Auch in
Indonesien sind erste Leuchtturmprojekte geplant.
Dies zusammengenommen macht das Deutschland, Europa und Indonesien zu idealen Partnern bei der Transformation.
Meine Damen und Herren, freier und fairer Handel, resiliente Lieferketten, genügend Rohstoffe ‑ das ist der eine Teil dessen, was wir brauchen, damit die große industrielle Transformation hin zur Klimaneutralität gelingt. Der andere Teil
ist, dass wir diese Transformation hier in Deutschland nun wirklich
anpacken, dass wir vom Reden ins „Doing“ kommen ‑ walk the talk. In den
vergangenen Jahren ist so viel liegen geblieben. Aber, meine Damen und
Herren, das holen wir jetzt auf.
Ich habe vor einigen Wochen sinngemäß gesagt: Die Transformation bietet eine riesige Chance für unser Land. Sie ist der
große Treiber für Beschäftigung und Wachstum. Eine aktuelle Umfrage der
KfW zeigt: Mehr als drei Viertel der großen Unternehmen hierzulande
sehen das genauso. Allerdings hat dieser Aufschwung, der da möglich
wird, drei Voraussetzungen: erstens klare, verlässliche, konkrete Ziele,
damit Sie Ihre Investitionen sicher planen können, zweitens „Druck auf
dem Kessel“, die besagte Deutschland-Geschwindigkeit, und drittens
genügend Fachkräfte, die hier in Deutschland mit anpacken. Alle drei
Dinge bringen wir voran.
Nehmen wir die Ziele. Wir haben gesagt,
bis 2045 wollen wir eines der ersten klimaneutralen Industrieländer
sein. Schon 2030 sollen 80 % unseres Stroms aus erneuerbaren Energien
kommen, und das bei steigendem Strombedarf. Doch das Formulieren solch
ehrgeiziger Ziele allein genügt nicht. Um sie zu erreichen, brauchen wir
eine Roadmap mit Zwischenschritten, mit einem Monitoring, mit
Verbindlichkeit. Deshalb habe ich unsere Expertinnen und Experten
berechnen lassen, was wir ganz konkret für eine sichere, bezahlbare,
saubere Energieversorgung tun müssen. Die Antwort lautet: In Deutschland
müssen wir jeden Tag vier bis fünf Windräder, mehr als 40 Fußballfelder
Photovoltaik-Anlagen, 1600 Wärmepumpen und vier Kilometer
Übertragungsnetze bauen. Das wird ein Kraftakt.
Das wird uns nur
gelingen, wenn wir nicht nur ferne Ziele definieren, sondern allen auch
ganz klar sagen: So sieht der Weg aus, und diesen Weg gehen wir
gemeinsam.
Damit bin ich bei meinem zweiten Punkt: mehr Tempo.
Beim Bau der LNG-Terminals an unseren Küsten haben wir gezeigt, wie
schnell und unbürokratisch Deutschland sein kann. Das ist ab jetzt der
Maßstab, auch beim Bau von Energieanlagen, von Speichern und
Übertragungsnetzen, ja auch beim Bau von Schienen, Brücken und Straßen.
Schon
im ersten Regierungsjahr haben wir die Planungs- und Genehmigungszeiten
für Netze und Windräder erheblich reduziert. Offshore-Windparks sollen
jetzt schneller genehmigt, gebaut und angeschlossen werden. An Land
gelten verbindliche Flächenziele für Windkraft. Der Ausbau der
Erneuerbaren hat gesetzlichen Vorrang vor anderen Rechtsgütern. Und mit
den jüngsten Beschlüssen des Koalitionsausschusses der Regierung nimmt
unser Land noch mehr Fahrt auf.
Für Windräder und Photovoltaik
wird es zusätzliche Flächen geben. Marode Brücken und stauanfällige
Autobahnen können schneller ersetzt oder ausgebaut werden. Wir starten
eine Initiative zum flächendeckenden Ausbau der Ladeinfrastruktur, damit
wir bis 2030 auch wirklich 15 Millionen Elektroautos auf unsere Straßen
bringen. Nicht zuletzt haben wir uns auf den Weg gemacht, einen seit
Jahren bestehenden Dauerkonflikt zu beenden, nämlich zwischen dem Ausbau
der Erneuerbaren und dem Naturschutz. Dies geschieht etwa mit neuen
Regeln zu Ausgleichsflächen und mit flexibleren Möglichkeiten für
Ausgleichszahlungen.
Ich sage Ihnen ganz offen: Für solche Ergebnisse bleibe ich gern einmal drei Tage am Stück wach.
Bleibt
noch die dritte große Baustelle: Egal ob Mittelständler,
Familienunternehmen, Handwerksbetrieb oder DAX-Konzern ‑ damit aus der
Transformation ein großer Aufschwung wird, braucht unser Land
Fachkräfte. Deshalb haben wir vor zweieinhalb Wochen im Kabinett die
umfassendste Reform zur Fachkräftesicherung auf den Weg gebracht, die es
in Deutschland je gab.
Die erste Säule besteht darin, unser
inländisches Potenzial voll auszuschöpfen. ‑ Ich grüße den
Arbeitsminister. ‑ Das heißt, dass wir die Unternehmen dabei
unterstützen, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf neue Aufgaben
vorzubereiten und weiterzubilden. Das heißt aber zum Beispiel auch, die
Kinderbetreuung zu verbessern, damit berufstätige Eltern länger arbeiten
können. Schließlich geht es um fast zwei Millionen Jüngere ohne
abgeschlossene Berufsausbildung, die wir gezielt auf eine Ausbildung
vorbereiten wollen.
Selbst dann werden wir aber nur einen Teil
unseres Fachkräftebedarfs decken. Deshalb kommt als zweite Säule das
Fachkräfteeinwanderungsgesetz hinzu. Es geht um Arbeitskräfte aus aller
Welt, die hier, hier bei uns, mit anpacken wollen. Neu dabei ist ein
Punktesystem, wie es Einwanderungsländer wie Kanada oder Australien seit
Jahren erfolgreich nutzen. Wir erleichtern zudem die Anerkennung
ausländischer Abschlüsse und praktischer Berufserfahrung. Und was ganz
wichtig ist: Wir sorgen für kürzere Bearbeitungszeiten für Visa.
Denn
machen wir uns nichts vor: Im Wettbewerb um die besten
IT-Spezialistinnen, Installateure, Ärztinnen und Pflegekräfte stehen wir
im Wettbewerb mit San Francisco, Singapur, London, Vancouver oder New
York. Das heißt, wir brauchen weniger Bürokratie und schnellere
Verfahren ‑ das wurde hier ja schon gefordert ‑, damit diejenigen, die
hier arbeiten wollen, auch merken, dass sie hier willkommen sind.
Meine
Damen und Herren, klare Ziele setzen, Tempo machen, für Fachkräfte
sorgen ‑ das sind Dinge, für die der Staat hilfreich sein kann und für
die er sorgen wird. Meine Zuversicht, dass daraus ein großer Aufschwung
für unser Land wird, ziehe ich aber auch aus etwas anderem. Ich könnte
jetzt die neuesten Prognosen der führenden
Wirtschaftsforschungsinstitute zitieren, die gerade angehoben wurden.
Die Industrieproduktion zeigt ebenfalls deutlich nach oben. Ich könnte
auch auf die milliardenschweren Zukunftsinvestitionen verweisen, die in
unserem Land längst getätigt werden.
Allein RWE will in den
kommenden zehn Jahren 15 Milliarden Euro in Wind- und Solarparks, in den
Wasserstoff-Hochlauf, in neue Übertragungsnetze und Speicher
investieren. ThyssenKrupp in Duisburg spart schon heute bis zu 70 % CO2
bei der Stahlproduktion ein. Milliarden fließen in den Aufbau einer
neuen Produktion von Chips und Halbleitern bei Infineon in Dresden, bei
Apple in München, bei Wolfspeed und ZF in Ensdorf. Batteriefabriken
entstehen an mehreren Standorten im ganzen Land. Die Solarzellen mit dem
höchsten Wirkungsgrad kommen seit vergangenem Dezember wieder aus
Deutschland, den Investitionen in Forschung und Entwicklung sei Dank.
Und Ihre Unternehmen setzen Zeichen bei der KI-Forschung, in der Robotik
und in der Mikroelektronik. Ein bisschen von dem, was in Kooperation
von Mensch und Roboter möglich ist, haben wir bei der Vorführung gerade
gesehen.
All das und noch viel mehr wird in den kommenden Tagen
hier in Hannover zu sehen sein. All das gibt Gewissheit, dass die
Transformation das große Wachstumsprojekt für unser Land wird.
Deshalb: Vertrauen Sie darauf! Investieren Sie jetzt in neue Anlagen und
Produktionen! Auch hier gilt: Wer zu spät kommt, den bestraft das
Leben. Oder etwas positiver gewendet: Wer früh dran ist, der ist Teil
des Aufschwungs.
Nun fehlt eigentlich nur noch ein Satz, auf den
ich mich schon den ganzen Abend freue: Die Hannover Messe 2023 ist
hiermit eröffnet.
Foto: Bundesregierung/Imo