Um ganz ehrlich zu sein: Ich habe seit Sonntag dieser Woche die Wetternachrichten für Mannheim mit besonderem Interesse verfolgt. Und am Mittwoch habe ich mich dann entschlossen, für die heutige Eröffnung doch eine Schlechtwettervariante aufzuschreiben. Eigentlich hätte ich wissen können: Ihr hier in Mannheim kriegt selbst das mit dem Wetter zur Eröffnung geregelt! Herzlichen Glückwunsch auch dazu!
Liebe Gäste, mit dem Garten fing alles an. Wenn wir der Bibel folgen, dann wurde der Mensch geschaffen, dann wurden die Menschen in die schönen Gärten gesetzt, die Gott persönlich, wie es heißt, im Garten Eden angelegt hatte. Der Mensch sollte den Garten bearbeiten und hüten. Wenn Sie so wollen: Der Mensch wurde also vor aller Zeiten Anfang eigentlich als Gärtner geschaffen.
Wenn wir heute die Bundesgartenschau eröffnen, dann können wir uns ruhig an diese uralten Vorstellungen erinnern. Ein schöner Garten, der mit Mühe und Sorgfalt gepflegt wird, der ein Zuhause ist, in dem sich gut leben lässt, in Eintracht mit der Schöpfung, mit Tieren und Pflanzen: das ist eben eine uralte Utopie des Menschen vom guten, vom gelingenden Leben. Der schöne Garten hat etwas von unserer vielleicht unauslöschlichen Vorstellung vom Paradies.
Diese menschliche Verpflichtung, die Welt zu hüten und zu pflegen, umfasst aber noch viel mehr. Unser Wort „Kultur“, das ja für alles steht, was Menschen an Literatur, Musik, Malerei, Architektur hervorbringen und genießen, dieses Wort kommt aus dem Lateinischen, colere, und bedeutet ursprünglich pflegen und bebauen, womit damals vor allen Dingen die Pflege des Bodens und Ackerbau gemeint waren. Der Ursprung aller Kultur ist also die Pflege der nächsten Umwelt, des Bodens, auf dem und von dem wir miteinander leben. Zivilisation, mit anderen Worten, beginnt mit der Anlage eines Gartens, sie beginnt, so kann man vielleicht weiterdenken, mit dem Bewusstsein, mit unserer Welt so sorgsam, so vorausschauend, so nachhaltig und behutsam umzugehen wie mit einem Garten.
Eine Gartenschau ist also, wenn wir an diese Ursprünge menschlicher Kultur denken, keineswegs eine nebensächliche Veranstaltung, die vor allem für Hobbygärtner oder Erholungssuchende interessant ist. Eine Gartenschau, das ist vielmehr Ermutigung und Verpflichtung. Hier wird uns buchstäblich die grundlegende menschliche Aufgabe vor Augen geführt, unsere Welt zu bewahren, zu hüten, behutsam zu gestalten. Und sie zeigt Beispiele des Gelingens – nicht zuletzt auch, wie schön und welch eine Wohltat für die Augen und die Seele es ist, wenn gärtnerische Pflege die Welt gestaltet.
Der große deutsche Wissenschaftler Niklas Luhmann hat einmal das moderne Ohnmachtsgefühl des Einzelnen gegenüber der komplexen Welt in seiner typischen, ganz trockenen Art kurz zusammengefasst: „Alles könnte anders sein – und fast nichts kann ich ändern.“ Und in der Tat, wir stehen ja gemeinsam vor großen Herausforderungen unserer Zeit, vor allem vor dem Klimawandel, und haben genau das Gefühl: dass so vieles dringend anders werden müsse, und zu wenig tut sich – vor allem nicht schnell genug. Und nur wenig kann ich selber tun, so ist der Eindruck, dass sich wirklich etwas zum Guten verändert.
Aber Niklas Luhmann hat bei seinem Satz wohl nicht mit den Gärtnern gerechnet. Auch sie können sicher nicht die Welt verändern und nicht alleine die großen Aufgaben stemmen, die die gesamte Gesellschaft vor sich hat. Aber sie können im eigenen Umfeld eine Menge tun; etwas, das sich lohnt, das sich auszahlt. Und viele tun das bereits – und sie werden auf dieser Bundesgartenschau, die auch ein Experimentierfeld moderner Umweltgestaltung ist, viele neue Anregungen erhalten.
Ein Garten bedeutet Vielfalt, Buntheit, Diversität, Schönheit durch Verschiedenheit. Die zum Beispiel vor längerer Zeit schon in Mode gekommene Vereinheitlichung, ja Verödung von Gärten oder Vorgärten durch Steinplatten, Schotter und Schüttgut strahlt nicht nur finstere Langeweile aus, sie ist auch, wo sie nicht schon verboten ist wie hier, im tiefsten Sinne lebensfeindlich. Pflanzen und Insekten brauchen Lebensraum, auch in den kleinen und kleinsten Gärten und Vorgärten. Jeder, der für ein paar Quadratmeter Garten verantwortlich ist, kann hier eben etwas tun.
Verlust von Pflanzenvielfalt und Insektensterben und in der Folge dann eine spürbare Verringerung von Vögeln und anderen Kleinlebewesen, all das sind Erscheinungen lebensfeindlicher Umweltgestaltung, die bewusste gärtnerische Gestaltung wenigstens ein Stück weit verändern kann. Wir können – das gilt im Kleinen wie im Großen – unseren eigenen Lebensraum nur erhalten und lebenswert gestalten, wenn wir ihn teilen: mit den Pflanzen und Tieren, die seit dem Garten Eden in aller Vielfalt und Buntheit unsere Mitgeschöpfe sind und die unserer Sorge und Pflege anvertraut sind.
Die Bundesgartenschau gibt aber nicht nur Beispiele für individuelles Gärtnern. Weit darüber hinaus zeigt sie Beispiele für moderne, ökologisch verantwortliche Stadt- und Wohnumfeldgestaltung. Ich hoffe, dass sich möglichst viele hier in Mannheim vor Augen führen lassen, wie Stadtteile eine spürbare Verbesserung von Lebensqualität durch kluges Anlegen von Grünzügen erhalten, wie sich das Stadtklima merklich und nachhaltig verbessern lässt. Dass sie sehen, wie in der Nähe zu innerstädtischen Wohnlagen Freizeit- und Erholungsräume geschaffen werden, die ohne großes Anreisen sozusagen die kleine Auszeit vom Alltag möglich machen.
Gerade in einer Zeit, in der wir uns vermehrt auch Fragen der Verantwortbarkeit unseres Reisens stellen müssen, kommt einer nahe und rasch erreichbaren Erholungsmöglichkeit immer größere Bedeutung zu. Hier zeigt gerade die Bundesgartenschau mit der Besinnung auf urbanes Grün, wie unsere Städte in sozialer, ökonomischer, ökologischer Hinsicht sehr viel und sehr nachhaltig gewinnen können.
Hier wird zudem gezeigt, wie neuer Wohnraum geschaffen und gestaltet werden kann. Wir brauchen neuen, bezahlbaren und lebensfreundlichen, vor allem kinder- und familienfreundlichen Wohnraum. Gleichzeitig wissen wir, so sagt das Umweltbundesamt, dass fast vierzig Prozent der jährlichen Treibhausgasemissionen dem Bauen und Wohnen zuzurechnen sind.
Deswegen finde ich es vorbildlich, wenn hier in Mannheim versucht und gezeigt wird, wie nachhaltige Konversion mit Neu- und Umbau gelingen kann. Durch Bauen im Bestand, durch Verwendung von Materialien aus dem Rückbau, durch Holz- oder hybride Bauweise und natürlich durch Stromversorgung aus erneuerbaren Energien. Hier auf der Bundesgartenschau werden viele innovative Ideen ausprobiert und uns vorgestellt – und alles das macht mir Hoffnung, alles das sollte uns Mut machen, dass wir gemeinsam tatsächlich vieles anders und vor allem vieles besser machen.
Jede Bundesgartenschau ist, neben allen innovativen Projekten für einen besseren Umgang mit der uns anvertrauten Welt, vor allen Dingen ein Fest der Farben, eine Feier der Buntheit und der Verschiedenheit, eine Darstellung der Schönheit. Ja, es ist schön und es ist eine Freude, sich inmitten der Farben der Schöpfung zu bewegen. Das Bunte, die Farben bekämpfen das Grau in Grau des Alltags. Wir alle wissen: In einer farblosen, grauen Welt wäre, wie unsere deutsche Sprache ganz gut weiß, auch das Grauen nicht weit.
Ich freue mich deshalb, gemeinsam mit Ihnen allen diese Bundesgartenschau 2023 zu eröffnen. Ich wünsche allen Besucherinnen und Besuchern die Freude an der Vielfalt und an den Farben der Welt. Und ich wünsche uns allen eine neue Ermutigung dazu, mit allen unseren Kräften unsere schöne Welt zu pflegen, zu schützen und zu erhalten.
Viel Vergnügen in den nächsten 178 Tagen!
Bulletin 40-1
Die Bundesregierung
Foto: "Bundesregierung/Steffen Kugler"