Es wird für viele eine Enttäuschung sein, aber die Coronakrise offenbart nur das, was man sehen will. Die AfD freut sich, dass Grenzschließungen jetzt möglich sind, Steve Bannon fragt sich, warum die USA so viel in China produziert und Klimawandelleugnerinnen höhnen über die Auflösung der Fridays for Future Straßenproteste.
Während die SZ von einer "Entzauberung der Populisten" spricht, gibt es in Wirklichkeit wenig Grund auf eine Umkehr zu hoffen. Denn so wie rechte Populisten auch den Klimawandel leugnen, der ja auch bereits jetzt spürbare Ausmaße annimmt, so leugnen sie schlicht die Gefahr des Coronavirus. Brasiliens Präsident Bolsonaro ist dafür das beste Beispiel. Ein "Realitätsschock", wie ihn Sascha Lobo nennt, tritt nicht ein. Keine Klimawandelleugnerin wird bei der eintreffenden Riesenwelle sagen "Oh, der Klimawandel ist real".
Der Grund liegt in unserer Psyche. Das Internet verstärkt kognitive Fehlleistungen. Wir befinden uns schnell in einer Filterblase, die zu Bestätigungsfehlern führt. Die eigene Meinung bekommt ein Fettpolster, während andere Meinungen mit Hilfe der kognitiven Dissonanz neutralisiert werden.
Der Preis, den wir dafür gezahlt haben, dass, und nicht mehr, wie in den letzten zweihundert Jahren, ein paar alte, weiße Männer die Welt erklären, ist schließlich der, dass wir an den Eliten zweifeln. Die Mischung aus gesundem Zweifel und Verschwörungstheorien ist dabei meist eine Gratwanderung.
Dabei ist die politische Orientierung nicht ausschlaggebend für einen Glauben, der falsch ist. Wo sich Linke, Grüne und AfD beim Thema Klimawandel diametral gegenüber stehen, treffen sich ihre Wählerinnen sich beim Thema impfen, wenn auch hoffentlich nicht oft. Das Gleiche gilt für den Antisemitismus, wenn auch aus anderen Beweggründen.
So belebt beispielsweise Jakob Augstein auf Twitter gerade ein bisschen die Hufeisentheorie wieder. Diese besagt, dass Linksextremismus genauso schlimm wie Rechtsextremismus sei. Was politisch nicht stimmt, da, wie Sascha Lobo sagt, das Gegenteil von rechtsextrem nicht linksextrem ist, sondern demokratisch, bewahrheitet sich gerade in Anbetracht der Coronakrise.
Jakob Augstein, mit seinem Motto "Im Zweifel Links" ist Linker. Und momentan fischt er im selben Gewässer wie rechte Populisten: er spielt COVID-19 herunter. Wie Trump, Bolsonero und Homöopathiefanatiker hält er das Virus für nichts weiter als eine Grippe.
Vor gut zehn Tagen bereits, ließe sich am Beispiel Italien erahnen, dass es sich keineswegs um eine Grippe handelt. Als Antwort auf eine Relativierung bei Facebook, die von einer der lästigsten Sippe im Internet, den personal coaches, Neudeutsch für Scharlatane, antwortete ich folgendermaßen:
Der Vergleich mit der Grippe hängt mir mittlerweile zum Hals heraus. In Italien gab es am 11.3. noch 631 Tote? Heute (19.03.) sind es bereits fast 3000. COVID-19 ist neu und dadurch viel gefährlicher als die Grippe. Wir haben keine Abwehrkräfte und so steigt die Infizierung exponenziell an. Diese Zahlen können wir uns gar nicht vorstellen. In Münster gab es am 11.3 noch unter 10 Infizierte, heute, am 19.03. sind es 135. Diese Vergleiche mit der "normalen Grippe" oder gar Verkehrstoten sind bloße whataboutisms. Wie jemand, der nach einem Terroranschlag sagt, es ist wahrscheinlicher, bei einem Treppensturz zu sterben (- der gute Jakob Augstein...).
Wie eingangs Erwähnt, sind die Zahlen in Italien weiter nach oben gestiegen. Auch Spanien hat heute (28.03) 832 Tote binnen 24 Stunden bekannt gegeben. Damit ist Spanien mit 5690 hinter Italien das Land mit den meisten Todesfällen. Da Trump das Virus so unterschätzt, ist in den USA eine ähnliche Entwicklung zu erwarten. Erst kürzlich hieß es dort mit über 100.000 Infizierten 'America First!'. Da die Vereinigten Staaten aber anders als Italien keine staatliche Krankenversicherung hat und Trump die Menschen bald schon wieder arbeiten schicken will, werden die Auswirkungen deutlich gravierender sein, als in Europa. Und Münster hat heute (28.03) 414 Fälle und zwei Verstorbene.
Ich habe als mit meinem Vergleich zu whataboutismis und Jakob Augstein leider genau ins Schwarze getroffen.
Augsteins Motto scheint dabei zu sein: Im Zweifel den Virus relativieren und auf andere gesellschaftliche Missstände hinweisen. Das kommt als unangemessen daher und entpuppt sich in der Praxis als äußert gefährlich. In einem anderen Tweet mischt er linken Antiautoritarismus mit Wissenschaftsleugnung.
Ja, Virologen sprechen von "eindämmen", "ausrotten" und "auslöschen". Ich will gar keine Scheindebatte führen, dass wir zu 'politisch korrekt' für die Virenbekämpfung sind, das wäre auf andere Weise problematisch, aber es ist interessant welche Weltanschauungen sich doch so mischen, wegen eines hochgradig gefährlichen Virus'.
Für das Virus wird sich hoffentlich bald ein Impfstoff finden lassen, für die menschliche Psyche ist das, aus ethischen Gründen, nicht möglich. Es gilt daher, die Hoffnung auf eine bessere Welt nach Corona schnell als Tagträumerei abzutun.