Nach dem enttäuschenden Abschneiden ihres Kandidaten Kemal Kilicdaroglu in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl in der Türkei hat die Opposition ihren Wahlkampf wieder aufgenommen und dabei vor allem die rund fünf Millionen Jungwähler in den Blick genommen. "Wir haben nur zwölf Tage, um aus dem Tunnel (...) herauszukommen", schrieb Kilicdaroglu am Dienstag im Onlinedienst Twitter. "Ihr habt nur eine Jugend", fügte er hinzu.
Der säkulare Herausforderer Kilicdaroglu und der islamisch-konservative Amtsinhabe rRecep Tayyip Erdogan treten am 28. Mai in der Stichwahl gegeneinander an. Kilicdaroglu rief seine Partei am Dienstag auf, noch härter zu kämpfen, um sich von der "brutalen Macht" Erdogans zu befreien.
Für den im Berliner Exil lebenden türkischen Journalisten Can Dündar (Wikipedia) stehen die Chancen für einen Wahlsieg der Opposition jedoch schlecht, "da Erdogan die Mehrheit nur sehr knapp verfehlt hat und der mögliche Königsmacher Sinan Ogan der Regierung näher steht als der Opposition", sagte er der Nachrichtenagentur AFP mit Blick auf den rechtsnationalen Politiker. Zudem sei die Enttäuschung bei den Wählern Kilicdaroglus so groß, "dass es schwierig werden könnte, sie zu einem erneuten Urnengang zu bewegen", sagte Dündar.
Die Opposition sei in keiner Weise mobilisiert, sagte der Politikwissenschaftler Berk Esen von der Sabanci-Universität in Istanbul. "Kemal Kilicdaroglu ist auch kein neuer Name für die Jungen, er ist 74 Jahre alt", sagte Esen. Seitdem er 2010 die Führung der sozialdemokratischen CHP übernommen habe, sei es ihm nicht gelungen, die jungen Wähler für sich zu gewinnen.
Eine offene Frage ist, wohin die Stimmen gehen, die im ersten Wahlgang auf den Rechtsnationalisten Ogan entfallen sind. Dieser hat sich noch nicht dazu geäußert, welchen der beiden Kandidaten er unterstützen wird, allerdings steht er Erdogan politisch näher.
Erdogans Lager zeigte sich derweil siegessicher. "Die zweite Runde wird einfacher für uns", sagte der Sprecher des türkischen Präsidenten, Ibrahim Kalin. Zwischen beiden Kandidaten lägen fünf Prozentpunkte, das seien etwa 2,5 Millionen Stimmen. Die Opposition habe "keine Chance, diesen Unterschied auszugleichen", sagte Kalin.
Michael Link, europapolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion und Chef der mehr als 360 OSZE-Wahlbeobachter in der Türkei, sagte, er hoffe auf mehr Fairness bis zur Stichwahl. Es müsse für beide Kandidaten in den kommenden Tagen gleichermaßen möglich sein, "frei und ungestört" Wahlkampf zu machen, sagte er bei "SWR Aktuell".
Vielfach war der unfaire Wahlkampf in der Türkei angeprangert worden, da sich die türkischen Medien fest in der Hand des Regierungslagers befinden und die Opposition deutlich weniger Sendezeit erhielt.
Nach Angaben der Wahlkommission erzielte Kilicdaroglu in der ersten Runde 44,9 Prozent der Stimmen, Amtsinhaber Erdogan erhielt 49,5 Prozent der Stimmen. Damit findet in der Türkei nun die erste Präsidenten-Stichwahl in der Geschichte des Landes statt.
lt/ju Anne-Sophie LABADIE / © Agence France-Presse