Im Kampf gegen die hohe Inflation hält die Europäische Zentralbank (EZB) an ihrem Kurs der schrittweisen Leitzinserhöhungen fest. Am Donnerstag hob sie die Leitzinssätze ein weiteres Mal um jeweils 0,25 Prozentpunkte auf das nunmehr höchste Niveau seit 2001 an. EZB-Chefin Christine Lagarde stellte zudem weitere Erhöhungen in Aussicht. Es mehrten sich jedoch auch Warnungen vor negativen Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum durch die anhaltende Verschärfung der Geldpolitik.
"Die Inflation ist zwar zurückgegangen, dürfte aber noch zu lange zu hoch bleiben", erklärte die EZB. "Die Indikatoren für den zugrunde liegenden Preisdruck sind nach wie vor stark, auch wenn sich einige erste Anzeichen einer Abschwächung zeigen." Die Inflation im Euroraum war im Mai merklich auf 6,1 Prozent zurückgegangen. Allerdings hatte die Teuerungsrate zuvor im April sogar noch leicht angezogen und war von 6,9 Prozent im März auf 7,0 Prozent gestiegen.
Die EZB verwies nun auf "vergangene Aufwärtsüberraschungen" sowie die Auswirkungen des robusten Arbeitsmarktes. Bei niedriger Arbeitslosigkeit steigen tendenziell die Löhne, was wiederum Preissteigerungen ankurbeln kann. Die EZB-Experten korrigierten deshalb ihre Inflationsprognose leicht nach oben.
Die Zinsanhebung war von Marktbeobachtern erwartet worden. Mit Spannung wurde deshalb vor allem auf Hinweise über den weiteren Kurs der EZB gewartet. Die US-Notenbank Fed hatte am Mittwoch nach zehn Leitzinserhöhungen in Folge erstmals eine Unterbrechung eingelegt. Sie ließ den Leitzins erstmals seit Beginn März 2022 unverändert.
"Wir denken nicht über eine Pause nach", sagte hingegen Lagarde. So lange es keine signifikanten Änderungen in den Annahmen über die weitere Entwicklung gebe, werde die Zentralbank im Juli die Zinsanhebung fortsetzen. Die EZB sei "noch nicht fertig" mit ihren Bemühungen, die Inflation zu senken.
Höhere Zinsen gelten als Mittel gegen die Teuerung - sie wirken aber auch bremsend auf das Wirtschaftswachstum. Die EZB korrigierte nun ihre Erwartungen für das Wirtschaftswachstum in diesem und den kommenden Jahren um jeweils 0,1 Prozentpunkte nach unten. Der ING-Analyst Carsten Brzeski äußerte grundsätzlich Verständnis für die EZB-Politik. Die Bank gehe "jedoch zunehmend das Risiko einer Verschlechterung der Wirtschaftsaussichten ein".
Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi warnte vor einer zu strengen Geldpolitik. "Ich fände es problematisch, wenn es zu immer weiteren Leitzinserhöhungen durch die EZB käme", sagte Verdi-Bundeschef Frank Werneke den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Noch deutlicher war die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung: Weitere Leitzinshebungen gefährdeten Konjunktur, Beschäftigung und Klimaziele und seien bei einer rückläufigen Inflationsrate nicht ratsam, erklärte sie.
Bankenvertreter begrüßten die Zinsentscheidung der EZB einstimmig. Sie dürfe "keinen Zweifel daran aufkommen lassen, dass es ihr Ernst ist, zur Inflations-Zielmarke von zwei Prozent zurückzukehren", erklärte der Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, Helmut Schleweis. "Die Zinserhöhungen nun ganz zu stoppen, hätte vor allem die jüngeren Erfolge bei den Inflationserwartungen sofort wieder gefährdet", erklärte Heiner Herkenhoff, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes deutscher Banken.
Der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer, Martin Wansleben, forderte die Bundesregierung auf, angesichts der gestiegenen Zinsen die Wettbewerbsbedingungen für die Unternehmen am Standort Deutschland "deutlich zu verbessern".
Der zentrale Leitzins, also der Satz, zu dem Geschäftsbanken sich Geld bei der EZB leihen können, steigt nun auf 4,0 Prozent. Die beiden anderen Zinssätze erhöhte die EZB ebenfalls um 0,25 Punkte auf 4,25 Prozent beziehungsweise 3,5 Prozent. Dabei handelt es sich um die Zinssätze für die Spitzenrefinanzierungsfazilität zur kurzfristigen Beschaffung von Geld sowie für die Einlagefazilität, wenn Banken ihr Geld bei der EZB einlagern.
pe/bro
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