Herr Berger, wie kann der Einzelhandel dazu beitragen, dass Erlebniswert und Aufenthaltsqualität einer Innenstadt um ein paar Ideen besser werden?
Berger: Der Handel muss einen Mehrwert bieten, der über
das Produkt hinaus geht. Es geht darum, eine Geschichte zum Produkt und
dessen Erwerb zu erzählen, die weitergegeben wird. Es geht um
Emotionalisierung des Einkaufserlebnisses und somit auch um Events.
Studien zeigen, dass der Handel immer weniger Fans hat, weil die
Highlights fehlen. Die Stadt lebt nicht von ihren Gebäuden und Waren,
die angeboten werden, sondern von der Interaktion zwischen Menschen.
Veranstaltungen und verkaufsoffene Sonntage sind vor diesem Hintergrund
wichtige Highlights. Es sind Kristallisationspunkte, denn sie bringen an
einem festen Termin viele Menschen zusammen und stärken somit die
soziale Komponente der Innenstadt. Das ist wie in einer Familie: Events
fördern das Zusammengehörigkeitsgefühl, weil die Gemeinschaft in
größerem Rahmen zelebriert wird.
Zugleich bieten Events den Geschäften ja gute Gelegenheit, das eigene Profil zu zeigen…
Berger: Deshalb sollten die Veranstaltungen auf den
Markenkern des Unternehmens einzahlen. Am Weltfrauentag zum Beispiel
haben wir zum Event „Women Only“ ins Modehaus Ebbers eingeladen. Ich habe
also ein zentrales Thema mit vielen Facetten: Mode, Kosmetik, Schmuck,
eine Zusammenkunft von Unternehmerinnen, ein Sportstudio für Frauen. Das
alles haben wir zu einer Abendveranstaltung kombiniert. Noch ein
Beispiel: Im vergangenen Jahr haben wir eine Fashionparty mit
professionellem Model-Coaching und Tanztraining gemacht. Zu Gast waren
Mitarbeitende eines Krankenhauses, darunter viele, die in Münster leben.
Wir haben sie als Kunden für uns und für die Warendorfer Innenstadt
gewonnen. Wir müssen die Menschen einfach zu Protagonisten unseres
Geschäftes und somit zu Fans der Innenstadt machen. Und das schafft man
nicht mit dem Sparstift.
Welche Maßnahmen legen Sie jedem Einzelhandels-Unternehmen ans Herz, damit die Innenstadt insgesamt Erwartungen erfüllen kann und zugleich die eigenen Wettbewerbschancen steigen?
Berger: Der erste Punkt ist die digitale Sichtbarkeit.
Die Entscheidung für eine Stadt wird längst online getroffen. Die
Menschen informieren sich per Smartphone, wo das beste Einkaufserlebnis
zu erwarten ist. Deshalb muss ich auf vielen digitalen Kanälen zeigen,
was gerade in meinem Geschäft los ist. Google ist am wichtigsten. Pflege
dort die Daten, beantworte die Rezensionen. Dann die Nachbarschaft: Das
Einfachste wäre, dass jedes Geschäft einer Innenstadt über die anderen
eine gute Rezension schreibt. Dass man sich auf dem Weg der
Digitalisierung gegenseitig unterstützt, sollte selbstverständlich sein.
Denn die Geschäfte einer Innenstadt werden gemeinsam florieren oder
gemeinsam niedergehen. Unterstützung zur Förderung der digitalen Präsenz
geben auch IHK und Handelsverband. Ich kann nur empfehlen, die Angebote
wahrzunehmen. Generell muss uns bewusst sein, dass die
Erwartungshaltung der Kunden permanent steigt. Um so wichtiger die
Frage: Was können die Kunden nach dem Shopping erzählen? Cappuccino
getrunken und Bluse gekauft? Da brauchen wir zusätzliche Events, die
eine Geschichte machen.
Wenn Sie ohne Rücksicht auf Restriktionen loslegen könnten, wie würden Sie die City umkrempeln, welche Ideen realisieren?
Berger: Ich würde beim Thema Erreichbarkeit ansetzen.
Aufwand und Ertrag müssen ja aus Kundensicht in einem guten Verhältnis
stehen. Erreichbarkeit und Erlebnisqualität sind nun einmal die beiden
wichtigsten Stellschrauben. Drehen müssen wir an beiden. Es hilft ja
nicht, wenn eine Innenstadt kostenlose Parkplätze bietet, aber dort
sonst nichts los ist.
Grundsätzlich machen wir es unseren Kunden noch
viel zu schwer. An der Kasse anzustehen, die Sachen selbst nach Hause zu
tragen: Das ist kein smarter, eleganter Prozess. Dabei bietet die
Digitalisierung Lösungen, die den Kunden das Leben leichter machen kann.
Darüber hinaus brauchen wir einfach mehr Aufenthaltsqualität im
öffentlichen Raum – gepflegte Innenstädte, die sicher und sauber sind.
Außerdem müssen wir das Freizeit-Entertainment, das aus Gründen des
Lärmschutzes und der Erreichbarkeit stark ausgelagert wurde, ins Zentrum
zurückholen. Nur Shopping, Gastronomie und Wohnen reichen nicht mehr
aus für eine belebte Innenstadt. Deshalb sollte auch der Anteil an
Kulturangeboten stark steigen.
Kultur ist meist kein Ertragsbringer, aber ein Frequenzbringer, der zum Gesamterlebnis beiträgt, denn Shoppen passiert heute oft nur nebenbei. Generell sehe ich ein Defizit an nichtkommerziellen Angeboten. Warum haben wir kaum noch Spielplätze in der Innenstadt? Ja, sie bringen kein Geld und sind pflegeaufwändig. Aber wir brauchen sie, wenn wir für Familien attraktiv bleiben wollen. Gleiches gilt für die Barrierefreiheit. Über großes grobes Kopfsteinpflaster kommt man nicht weit mit Rollator. Ich bin froh, dass in Warendorf ein neuer Belag geplant ist und jetzt in die Umsetzung geht. Dies bietet eine gute Chance, das Erlebnis der Innenstadt zu steigern. Welche Gebäude können wir einem neuen Zweck in den Innenstädten zuführen? In Warendorf wird über die Zukunft der Marienkirche diskutiert und die Aktivierung der Emsinsel. Hier muss jede Option zur Stärkung der Innenstadt gefunden und umgesetzt werden.
IHK Wirtschaftsspiegel 5834246
Bild: Modehaus Berger