Zum Inhalt springen
OZD.news - News und Nachrichten zum Nachschlagen

Von TikTok-Trends zur Narration des Absurden

Wes Andersons „Asteroid City“ schafft es erfolglos, aber wunderschön und allzu-menschlich in die Kinos.

An dem elendig langen Wes Anderson TikTok-Trend – in dem jeder zweite TikToker, der sich als Cineast versteht und eine Retrokamera besitzt, auch einmal zeigen wollte, dass er vermeintlich der Meister der frontalen Kameraperspektive, der Charakter formenden Mikrohandlungen und dem narrativen Einsatz von gesättigten Farbspielen sei (und ja auch ich ließ mich darauf ein) – wollte nun auch Wes Anderson teilhaben, und ein weiteres Mal zeigen, wieso er der Meister des Absurden ist. Ob die absurde Anzahl der Schauspieler*innen, die häufig nicht mehr als eine kleine Rolle übernehmen, die absurden Charaktere, deren absurden Geschichten anhand ihre absurden Kurzdialoge und Mikrohandlungen erzählt werden, die absurde Kulissen, die sich hyperrealistisch jeglicher Realität verweigern oder die Darstellung seiner absurden Arbeitsmethode, die Zentrum dieses Filmes zu sein scheint: Mein cineastisches Herz musste den gestrigen Rausch dieses Filmes in diese kleine Rezension bannen.


Die späte Vorstellung in dem kleinen Münsteraner Cinema, in dem ich den Film schauen durfte, war kaum besetzt. Mittig platziert, mit einem IPA in meiner  Hand wird der Film mit der Szene eines Drehbuchautors eröffnet. Conrad Earp, gespielt von Edward Norton, und der Erzähler unserer Geschichte, gespielt von Bryan Cranson, wollen uns nun von den fiktiven Vorkommnissen in Asteroid City erzählen. Diese kleine US-amerikanische Wüstenstadt der 50er Jahre – das Jahrzehnt, in dem sich dieser Science-Fiction-Film auch stilistisch verorten ließe – beherbergt nicht bloß einen riesigen Meteoriten-Krater, oder diverse militärische Atomwaffentests, sondern auch ein verschlafenes Städtchen und ein Diner. Die nun folgenden absurden Geschichten sind eingebettet in die Produktion dieses Theaterstücks; filmisch bloß getrennt durch die gesättigten Farben und verschiedenen schwarz-weiß ‚Farb’stufen, und des Erzählers Bryan Cranston, getrennt durch die Narration eines Familiendramas, wie aus „Die Royal Tenenbaums“, und einer Metaerzählung, wie aus „The French Dispatch“.


Nach einer Woche spielte der Film 1 Million Dollar ein, wobei er 25 Millionen Dollar kostete. Von der Landmarke, seine eigenen Kosten zu decken, ist dieser Film noch meilenweit entfernt, und so ein perfektes Beispiel meinerseits, dass die Wertigkeit von Kunst kein Preisschild zieren kann; auch wenn der andauernde Versuch der Industrie hinter der Kunst dies versucht und mich Lügen strafen möchte (natürlich ist dies ein unbändiger Versuch, MICH (kaum gelesenen Rezensenten) mundtot machen zu wollen). Auch Wes Anderson entzieht sich keiner Kulturkritik und betritt mit antikapitalistischen Symbolen, wie einer Reihe an Verkaufsautomaten, die von Zigaretten bis hin zu Land alles verkaufen, einer militärischen Ausbeutung der Wissenschaft, einem staatlichen Autoritarismus der die Pressefreiheit – in Form einer Schülerzeitung – begrenzen möchte, einem tief patriarchalen Umgang mit Filmstars oder Wissenschaftlerinnen und einen immer bloß oberflächlich verbleibenden Patriotismus.


                Wes Anderson ist ein Meister der reduzierten filmischen Narration. Ob Revolte und Gewalt, in „The French Dispatch“, Veränderbarkeit, Komik und Tragik durch wahre Liebe, in „Moonrise Kingdom“, oder die kalorienreiche Faszination einer Bonbonschachtel, bei deren Öffnung einem die Gräue des Autoritarismus entgegenfällt: Seine Methode der Erforschung menschlicher Bedürfnisse und ihrer philosophischen Absurdität, und seine Fähigkeit, dies anhand von Dialogen, Mikrohandlungen und Farbspielereien in solche Schaukästen wie Asteroid City zu bannen ist das Zentrum des künstlerischen Schaffens Wes Andersons. Absurde Themen wie der künstlerische Schaffensprozess, der Tod, die Suche nach Gott, die Frage nach den Grenzen des Universums und Metafragen nach der immerwährenden Entfremdung und der niemals zu erreichenden Anerkennung, haben etwas zutiefst Menschliches. Wes Anderson Filme haben etwas zutiefst Menschliches, nahezu Allzu-Menschliches.


                Viel Spaß im Kino!