Der seit Monaten schwelende Konflikt zwischen dem russischen
Söldnerführer Jewgeni Prigoschin und der Militärführung in Moskau ist
eskaliert:
Kämpfer von Prigoschins Söldnertruppe Wagner marschierten nach dessen Worten in der Nacht zum Samstag von der Ukraine aus nach Russland ein, nachdem der Söldnerchef zum Aufstand gegen die Armeeführung in Moskau aufgerufen hatte. Dabei hätten seine Kämpfer einen Armeehubschrauber abgeschossen, meldete Prigoschin. In Moskau und mehreren russischen Regionen wurden die Sicherheitsmaßnahmen verschärft.
Prigoschin hatte dem russischen Verteidigungsminister Sergej Schoigu am Freitagabend vorgeworfen, Raketenangriffe auf seine Truppen angeordnet zu haben, bei denen zahlreiche Wagner-Söldner getötet worden seien. Die russische Bevölkerung rief er auf, sich seinen Truppen anzuschließen: "Das Böse, das die Militärführung des Landes anrichtet, muss gestoppt werden."
Seine Kämpfer seien in die Region Rostow im Süden Russlands eingerückt, sagte Prigoschin in einer in der Nacht verbreiteten Audiobotschaft. Beweise für seine Angaben legte er nicht vor, die Nachrichtenagentur AFP konnte ihren Wahrheitsgehalt zunächst nicht überprüfen. Im Internet verbreitete Aufnahmen zeigten bewaffnete Männer nahe Verwaltungsgebäuden in der Regionalhauptstadt Rostow sowie Panzer im Stadtzentrum.
Seine Truppen würden "alles zerstören", was sich ihnen in den Weg stelle, warnte der Söldnerführer: "Wir sind alle bereit zu sterben, alle 25.000. Denn wir sterben für das Vaterland, wir sterben für das russische Volk, das man von denen befreien muss, die die Zivilbevölkerung bombardieren."
Staatschef Wladimir Putin werde "ständig" über die Situation auf dem Laufenden gehalten, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow laut russischen Agenturberichten. Die "notwendigen Schritte" würden ergriffen. Die russische Staatsanwaltschaft nahm Ermittlungen wegen "bewaffneten Aufstands" auf. Der russische Inlandsgeheimdienst FSB warf Prigoschin einen Aufruf zum "Bürgerkrieg" vor und forderte dessen Söldner auf, ihren Chef gefangen zu nehmen.
Moskaus Bürgermeister Sergej Sobjanin erklärte, in der Hauptstadt seien "Anti-Terror"-Vorkehrungen zur Stärkung der Sicherheit getroffen worden. Auch die Behörden in der südrussischen Grenzregion Rostow und der Region Lipezk südlich von Moskau meldeten verstärkte Sicherheitsmaßnahmen. Rostows Gouverneur Wassili Golubew rief die Einwohner auf, Ruhe zu bewahren und ihre Häuser nicht zu verlassen.
Die US-Regierung beobachtete die Entwicklungen nach Angaben eines Sprechers aufmerksam. "Wir verfolgen die Lage und werden uns mit Alliierten und Partnern über diese Entwicklungen abstimmen", sagte ein Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats. Präsident Joe Biden sei informiert.
Die rivalisierenden russischen Truppen seien dabei, "sich im Kampf um Macht und Geld gegenseitig zu zerfleischen", kommentierte der Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes, Kyrylo Budanow.
Der bekannte russische Regierungskritiker Michail Chodorkowski rief die Russen derweil auf, Prigoschin in seinem Kampf gegen die Armeeführung zu unterstützen. "Wir müssen jetzt helfen, und dann werden wir diesen (Mann) wenn notwendig ebenfalls bekämpfen", schrieb der Kreml-Kritiker in der Nacht zum Samstag in Onlinemedien. "Selbst der Teufel" verdiene Unterstützung, wenn er gegen "dieses Regime" kämpfe. "Und Ja - dies ist erst der Anfang", schrieb der im Exil lebende Chodorkowski.
Die zu einem beträchtlichen Teil aus russischen Gefängnissen rekrutierten Wagner-Söldner spielten in den vergangenen Monaten vor allem bei dem langwierigen und verlustreichen Kampf um die Stadt Bachmut in der ostukrainischen Region eine wichtige Rolle.
Gleichzeitig entwickelte sich Söldner-Chef Prigoschin - frustriert über Nachschubprobleme und nach seinen Angaben mangelnde Unterstützung durch Moskau - zu einem der vehementesten Kritiker der militärischen Führung Russlands. Immer wieder attackierte er Verteidigungsminister Schoigu und Generalstabschef Waleri Gerassimow.
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