Nach den Ausschreitungen hunderter Muslime gegen christliche Einrichtungen in Pakistan sind nach offiziellen Angaben mehr als 100 Menschen festgenommen worden. Eine entsprechende Anordnung sei ergangen, erklärte ein Sprecher die Provinzregierung von Punjab am späten Mittwochabend. Er ergänzte jedoch, der Koran sei "geschändet" und die "Gefühle der Muslime" seien verletzt worden. Die Polizei fahnde auch nach der Familie, der die Schändung vorgeworfen werde.
Zu den Ausschreitungen in einem christlichen Viertel der Millionenstadt Faisalabad war es gekommen, nachdem eine fundamentalistische Gruppe eine in der Stadt ansässige christliche Familie beschuldigt hatte, den Koran geschändet zu haben. Nach dem Gewaltausbruch bewachten Polizisten das getroffene Viertel.
Den Stadtteil hatte nach Polizeiangaben eine mit Knüppeln und Steinen bewaffnete Menschenmenge gestürmt. Neben Kirchen und einem Friedhof wurde auch das Gebäude der Kommunalverwaltung gestürmt und verwüstet. Protestierende forderten die Behörden dazu auf, gegen Blasphemie vorzugehen. Einem Sprecher der örtlichen Sicherheitskräfte zufolge wurde bei den Ausschreitungen niemand verletzt.
Die Menge richtete nach Angaben eines Regierungsvertreters "schwere Schäden" in der betroffenen Gegend angerichtet, unter anderem an den Häusern von Christen und mehreren Kirchen.
Auf in Online-Netzwerken verbreiteten Videos war zu hören, wie muslimische Geistliche über die Lautsprecher von Moscheen die Gläubigen zum Protest aufriefen. Unter anderem rief ein Geistlicher demnach, Christen hätten den Koran geschändet, alle Geistlichen und Muslime sollten sich daher versammeln. Wörtlich sagte er demnach: "Es ist besser zu sterben, wenn man sich nicht für den Islam interessiert."
Nach dem gegen Christen gerichteten Gewaltausbruch forderten die USA Konsequenzen von den pakistanischen Behörden. "Wir sind zutiefst besorgt, dass als Reaktion auf eine angebliche Koran-Schändung in Pakistan Kirchen und Häuser ins Visier genommen wurden", sagte der Sprecher des US-Außenministeriums, Vedant Patel, am Mittwoch vor Journalisten.
Patel forderte die pakistanischen Behörden auf, die Vorwürfe, die zu dem Vorfall geführt hatten, "vollständig" zu untersuchen und zur Ruhe aufzurufen. Die USA unterstützten zwar die freie Meinungsäußerung, aber "Gewalt oder die Androhung von Gewalt ist niemals eine akzeptable Form der Meinungsäußerung", fügte er hinzu.
"Gotteslästerung" kann im streng konservativ-islamischen Pakistan mit dem Tod bestraft werden. Dutzende Menschen verbüßen dort wegen entsprechender Anschuldigungen nach Schätzungen eines US-Ausschusses zur Religionsfreiheit lebenslange Gefängnisstrafen oder warten auf ihre Hinrichtung. Rechtsgerichtete islamistische Politiker und Parteien nutzen das Thema oft, um politische Unterstützung zu werben.
In den vergangenen Jahren hatte das Schicksal der pakistanischen Christin Asia Bibi international Aufsehen erregt, die wegen "Gotteslästerung" 2010 zum Tode verurteilt und 2018 freigesprochen wurde. Später verließ sie Pakistan und lebt mittlerweile im Exil.
Die pakistanische Menschenrechtskommission äußerte sich angesichts der erneuten Übergriffe alarmiert. "Häufigkeit und Ausmaß" solcher "systematischen, gewaltsamen und oft nicht einzudämmenden" Übergriffe hätten "anscheinend in den vergangenen Jahren zugenommen", erklärte die Nichtregierungsorganisation, die sich seit Jahrzehnten für den Schutz von Minderheiten einsetzt. Der Staat habe es "nicht nur versäumt, seine religiösen Minderheiten zu schützen", sondern habe "zugelassen, dass die extreme Rechte Gesellschaft und Politik durchdringt und sich dort festsetzt".
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