Sehr geehrter Herr Kirchhoff,
sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,
Ministerinnen und Minister,
meine Damen und Herren,
schönen
Dank für die Einladung und für die Gelegenheit, gleich noch mit Ihnen
ins Gespräch zu kommen und die Fragen weiter zu erörtern. Danken möchte
ich Ihnen auch für das, was Sie in diesen Tagen leisten; denn natürlich
gehen wir als Land und als viertgrößte Volkswirtschaft der Welt gerade
durch sehr fordernde Zeiten.
Krieg, Energiekrise, Inflation, die
Folgen der Coronapandemie ‑ all das geht an Ihren Unternehmen nicht
spurlos vorbei. Solche externen Faktoren lassen sich allerdings auch
nicht per Knopfdruck abstellen. Und dennoch: Gemeinsam können wir dafür
sorgen, dass unser Land gut damit zurechtkommt; denn bei allen
Schwierigkeiten ‑ eines lässt sich nicht bestreiten: Deutschland ist
deutlich besser durch diese Krisenzeit gekommen, als viele uns das
vorhergesagt haben.
Unser Kurs, die Ukraine zu unterstützen ‑
entschlossen und zugleich besonnen ‑, hat sich als richtig erwiesen.
Dazu gehört: Die NATO ist nicht Kriegspartei geworden, und das wird auch
so bleiben.
Aus der Coronapandemie sind wir am Ende besser
herausgekommen als viele andere Länder ‑ mit weniger Todesopfern und
dank zielgerichteter Hilfen sowie der Möglichkeit zur Kurzarbeit auch
mit geringeren wirtschaftlichen Einbußen.
Was wurde uns nicht
alles vorhergesagt, als Russland im vergangenen Jahr um diese Zeit seine
Gaslieferungen eingestellt hat: Wutwinter, Energieengpässe,
Gaszwangsrationierung, eine tiefe Rezession. Nichts davon ist
eingetreten, weil wir rechtzeitig genügend Gas eingespeichert haben,
weil wir mit beispielloser Geschwindigkeit Flüssiggasterminals ans Netz
geholt haben, weil wir Gas über die westeuropäischen Häfen und
zusätzliches Gas aus Norwegen importiert haben und weil viele Haushalte
und Unternehmen Gas eingespart oder auf andere Energiequellen umgestellt
haben.
Natürlich müssen die Energiepreise weiter sinken. Ich
werde gleich noch mehr dazu sagen. Aber von den extremen Preisen des
vergangenen Jahres sind wir meilenweit entfernt, weil wir ihnen mit
unseren Energiepreisbremsen die Spitze genommen haben. Aktuell ist Strom
für Neukunden so günstig wie zuletzt vor Beginn des russischen
Angriffskriegs. Das soll kein Aufruf sein, jetzt die Hände in den Schoß
zu legen. Ganz im Gegenteil! Aber diese Beispiele zeigen doch: Unser
Land ist durchaus in der Lage, die Probleme unserer Zeit zu meistern.
Das
gilt erst recht für Versäumnisse, die hausgemacht sind. Die
Energiewende wurde jahrelang viel zu zögerlich vorangetrieben. In den
vergangenen 10, 15 Jahren hat der Staat zu wenig in unsere Infrastruktur
und in die Digitalisierung investiert. Der Mangel an Fachkräften hat
sich seit Jahren abgezeichnet. Aber zur Wahrheit gehört: Ein modernes
Einwanderungsrecht war zuvor politisch nicht durchsetzbar. Ich stimme
Ihnen zu: Unser Staat muss dringend wieder lernen, Tempo zu machen ‑ auf
allen Ebenen.
Doch diese Probleme sind zum Glück nicht nur
erkannt und benannt. Wir befinden uns mitten in einer Zukunftswende. Ich
will das am Beispiel von Nordrhein-Westfalen deutlich machen.
Bei
NRW denken viele als Erstes an Industrieriesen wie thyssenkrupp, Bayer
oder Rheinmetall, an weltweite Dienstleister wie die Deutsche Post DHL
oder die Deutsche Telekom. NRW, das ist aber auch ein breit
aufgestellter, starker Mittelstand mit unzähligen „hidden champions“.
Die sprichwörtlichen „Fabriksken im Keller“, wie man bei Ihnen vor Ort
so sagt, Herr Kirchhoff, sind gemeint, die aber gar nicht so sehr im
Keller sind, sondern sehr oft auch Weltmarktführer und die in der ganzen
Welt mitspielen.
Angesichts dieser strukturellen Breite und
Tiefe ist es nicht verwunderlich, dass man die aktuellen
Herausforderungen und Chancen für unsere Wirtschaft hier in
Nordrhein-Westfalen wie durch ein Brennglas betrachten kann. Also, reden
wir vom Industrieland Nordrhein-Westfalen.
Seine große Stärke
ist, dass hier auf relativ kleinem Raum praktisch alle Glieder der
wichtigsten Wertschöpfungsketten zusammenkommen: von der
Grundstoffchemie bis zum fertigen Kunststoff oder Pharmaprodukt, von der
Stahlerzeugung bis zum fertigen Auto oder der komplexen Maschine. Ich
will es ganz klar sagen: Ich will, dass das so bleibt.
Nehmen Sie
zum Beispiel die Stahlindustrie. Es gibt einige auch bekannte Ökonomen,
die uns sagen: Es ist doch nicht so schlimm, wenn hier in Deutschland
kein Stahl mehr produziert wird. Dann kommt er eben von anderswo. ‑ Ich
bin da entschieden anderer Meinung. Eine hochspezialisierte
Industrieregion wie Nordrhein-Westfalen lebt davon, dass alle
Verarbeitungsstufen hier vor Ort sind.
Ich möchte, dass eine
Zukunftstechnologie wie die Herstellung von grünem Stahl nicht nur in
den USA oder in Asien zu Hause ist, sondern von Anfang an auch hier in
Deutschland. Deshalb ist es richtig, dass der Bund und das Land
thyssenkrupp dabei unterstützen, um die Ecke von hier, in Duisburg, die
erste zu 100 Prozent wasserstofffähige Direktreduktionsanlage für die
Stahlproduktion zu bauen. Projekte wie dieses zeigen: Es ist kein
Widerspruch, klimaneutral zu werden und zugleich ein starkes
Industrieland zu bleiben. Das zeigen übrigens auch die
Milliardeninvestitionen in Zukunftstechnologien, die wir derzeit im
ganzen Land erleben ‑ all dem gleichzeitigen Gerede von der
Deindustrialisierung zum Trotz. Es ist manchmal etwas merkwürdig, dass
am gleichen Tag in der gleichen Sendung oder in der gleichen Zeitung von
diesen milliardenschweren Direktinvestitionen berichtet wird und sich
dann die allgemeine Klage erhebt, das Gegenteil sei der Fall. Ich finde,
da sollten doch die Fakten zählen.
Vor anderthalb Jahren galt
der Halbleitermangel als die große Wachstumsbremse unserer Industrie.
Was Chips angeht, war Europa abgehängt und abhängig, vor allem von
asiatischer Konkurrenz. Was ist seitdem passiert? ‑ Die Lieferketten
haben sich stabilisiert. Vor allem aber ist Deutschland gerade dabei, zu
dem Halbleiterstandort Europas zu werden, zu einem der bedeutendsten
weltweit.
Intel investiert 30 Milliarden in eine neue Chipfabrik
in Magdeburg. Das ist die größte Einzelinvestition in der Geschichte
Europas. Infineon baut in Dresden eine neue Halbleiterproduktion auf.
Wolfspeed und ZF machen das im Saarland. Erst vergangene Woche hat der
größte Chiphersteller der Welt, TSMC aus Taiwan, angekündigt, zusammen
mit Bosch, Infineon und NXP hier in Deutschland eine moderne Fabrik für
die Herstellung von 300-mm-Chips zu bauen ‑ für die Chips also, die
gerade unsere Automobilindustrie ganz besonders braucht. Davon
profitiert natürlich auch Nordrhein-Westfalen.
Erst im Juni war
ich bei Ford in Köln, wo demnächst die E-Autos für den europäischen
Markt vom Band laufen. Auch Zulieferunternehmen wie Ihres, lieber Herr
Kirchhoff, brauchen solche Chips. Deshalb ist es richtig, dass der Bund
diese Investitionen fördert und zugleich in die Infrastruktur
investiert, damit die Rahmenbedingungen für unsere Wirtschaft besser
werden.
Wir investieren in eine Erneuerung der Bahn, in bessere
Straßen und neue Brücken, in ein flächendeckendes Ladesäulennetz, in
Glasfaserleitungen und in den Wasserstoffhochlauf. In diesem und im
kommenden Jahr steht dafür allein im Bundeshaushalt die Rekordsumme von
54 Milliarden Euro zur Verfügung ‑ über 40 Prozent mehr, was
Investitionen betrifft, als 2019, dem letzten Jahr vor der
Coronapandemie.
Im Wirtschaftsplan des Klima- und
Transformationsfonds stehen für das nächste Jahr zusätzlich fast
58 Milliarden Euro, die in genau die Aufgaben investiert werden können
und sollen, über die ich eben gesprochen habe und die für unsere Zukunft
so wichtig sind. Wenn man beides zusammenführt, sind das mehr als
100 Milliarden Euro öffentlich unterstütztes Direktinvestment. Das ist
eine ziemlich große Summe. Ich glaube, dass sie bei den Debatten über
die Frage, was zu tun ist, eine Rolle spielen sollte.
Weil in
diesen Tagen so oft vom amerikanischen Inflation Reduction Act die Rede
ist, will ich eines hinzufügen: Wir Europäer müssen uns nicht
verstecken. Mit dem Green-Deal-Industrieplan macht die Europäische Union
Investitionen in Europa deutlich unkomplizierter und auch attraktiver.
Hinzu
kommt der schon erwähnte deutsche Klima- und Transformationsfonds. Ich
habe die Summe genannt, die im Wirtschaftsplan für das nächste Jahr zur
Verfügung steht. Insgesamt stehen in diesem Fonds 210 Milliarden Euro
für die nächsten Jahre bereit. Das ist ziemlich viel an Mitteln für
Investitionen genau in die Bereiche, um die es hier tatsächlich geht.
Damit können wir in den nächsten Jahren kraftvoll investieren: in die
Entwicklung und Ansiedlung neuer Technologien, in die Energieversorgung,
in klimafreundliche Mobilität, in digitale Infrastruktur und in die
Sanierung von Gebäuden. Gemessen an der Größe unseres Landes und unserer
Wirtschaftskraft kann es dieser Fonds durchaus mit dem aufnehmen, was
wir aus den USA kennen.
Auch das zeigen übrigens die
Entscheidungen ganz unterschiedlicher Unternehmen, sich hier in
Deutschland anzusiedeln oder neue Geschäftsfelder zu erschließen und
auszubauen. Siemens baut seinen neuen High-Tech-Campus nicht in China
oder den USA, sondern in Erlangen. Varta, BASF, CATL, Northvolt, ACC und
viele andere investieren überall im Land in neue Batteriefabriken. Alle
großen Stahlhersteller in Deutschland arbeiten am Umstieg auf grünen
Stahl. Über thyssenkrupp habe ich schon gesprochen. Ich könnte noch
Salzgitter erwähnen. ArcelorMittal ist dabei, entsprechende
Entscheidungen zu treffen und dabei auch unterstützt zu werden. Die
Liste ließe sich lange fortführen. Zusammen summieren sich die
Zukunftsinvestitionen, die das Wirtschaftsministerium registriert, weil
sie in Berührung mit unseren Förderprogrammen stattfinden, auf über
80 Milliarden Euro. Das ist nicht wenig Investment, das überall in
Deutschland geplant ist.
Eine Frage, die jeden Investor
interessiert und die jeder uns und auch Ihnen stellt, ist natürlich die
nach der Energieversorgung und den damit verbundenen ‑kosten. Ein
entscheidender Standortvorteil ist, ob vor Ort genug erneuerbare Energie
vorhanden ist. Auch das sollte nicht vergessen werden. Bei vielen
Investitionen spielt genau das eine Rolle, weil die Unternehmen für den
Weitervertrieb und den Verkauf ihrer Produkte nachweisen müssen, dass
das in ausreichender Menge aus CO2-neutraler Produktion
stammt. Deshalb ist erneuerbare Energie eine Voraussetzung für viele der
langfristigen Investitionsentscheidungen, die jetzt jeden Tag in der
Welt getätigt werden. Was das angeht, stehen der Norden und der Osten
unseres Landes momentan besser da als unsere industriellen
Ballungszentren im Westen und im Süden. Deshalb müssen wir auch
Übertragungsnetze und Speicher mit neuer Deutschland-Geschwindigkeit,
mit neuem Deutschland-Tempo, zu dem Sie aufgerufen haben, bauen.
Der
Chef von E.ON hat in einem Interview vor Kurzem sinngemäß gesagt: Um
die nötige Infrastruktur für die Energiewende zu bauen, braucht sein
Unternehmen allein in einem der Netzgebiete rund
600 Planfeststellungsverfahren. Außer beim Anschluss der Tesla-Fabrik in
Brandenburg haben die Behörden der betroffenen Länder bisher kein
einziges dieser Verfahren abgeschlossen. So kann und so wird es nicht
weitergehen! Darüber reden wir derzeit auch intensiv mit den Ländern und
den Kommunen.
Als Bund haben wir gleich zu Beginn unserer
Regierungszeit drei große Pakete geschnürt, um mehr Tempo möglich zu
machen. Der Ausbau der Erneuerbaren hat nun Vorrang vor anderen
Rechtsgütern bei Abwägung. Zwei Prozent der Landesfläche sollen für
Windenergie zur Verfügung stehen.
Das Planungs- und
Genehmigungsrecht haben wir vereinfacht und beschleunigt, unter anderem
indem wir den Dauerkonflikt zwischen Naturschutz und dem Ausbau der
erneuerbaren Energien aufgelöst haben. Und wir bleiben da dran.
Gesetz für Gesetz trimmen wir auf Schnelligkeit, damit wir bis 2030 80 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien herstellen.
Ich
will ausdrücklich sagen: Es wird mehr Strom sein als heute; denn wir
werden mit der Strommenge, die wir heute haben, nicht auskommen, weil
zur Dekarbonisierung der Industrie in großem Umfang die Nutzung von
Strom dazugehört. Deshalb rechnen wir um das Jahr 2030 mit 750 bis
800 Terawattstunden statt der heutigen 650. Ich sage auch klar: In den
30er-Jahren werden wir etwa 1000 Terawattstunden Strom brauchen. Weil
man das ernst nehmen muss, haben wir die Methode geändert. Wir haben
nicht gesagt: „Das muss kommen. Gucken wir mal, wie weit wir kommen“,
sondern wir haben gefragt: „Wann muss was fertig sein?“ ‑ Wir gehen
jetzt rückwärts und fragen, wie wir das hinbekommen, damit die Dinge zu
den Zeitpunkten, zu denen es notwendig ist, auch tatsächlich
fertiggestellt sind.
Ganz bewusst und um diese Frage vom
abstrakten Reden zu etwas Konkretem werden zu lassen, habe ich vor
einigen Monaten öffentlich ausbuchstabiert, was das bedeutet: vier bis
fünf Windräder und 43 Fußballfelder Photovoltaikanlagen ‑ wohlgemerkt
pro Tag ‑, dazu Speicher und Tausende Kilometer neue Leitungen. Als ich
das erstmals öffentlich gesagt habe, haben viele den Kopf geschüttelt
nach dem Motto: Wie soll das denn funktionieren? ‑ Heute sehen wir: Es
geht.
In den ersten sechs Monaten haben wir im Schnitt jeden Tag
über 30 Fußballfelder Photovoltaik installiert. Das sind fast doppelt so
viele als noch vor einem Jahr. Bei den Windrädern haben wir im ersten
Halbjahr rund 400 neu ans Netz genommen ‑ über 50 Prozent mehr als in
der gleichen Zeit im Vorjahr. Vor allem aber haben wir dank einfacherer
Regeln allein im Juni 211 neue Windräder in Deutschland genehmigt. Das
sind sieben pro Tag, also bereits mehr als die vier bis fünf, die wir im
Schnitt pro Tag bauen müssen.
NRW liegt beim Zubau inzwischen
auf Platz drei der Bundesländer. Bei den Ausschreibungen der
Bundesnetzagentur belegt NRW mit 859 Megawatt den ersten Platz ‑ so wie
es sich für ein Land gehört, das immer schon Energieland war.
Mir
zeigt das: Deutschland-Geschwindigkeit geht nicht nur beim Bau von
Flüssiggasterminals. Deutschland-Geschwindigkeit funktioniert auch beim
Bau von Windrädern und Solaranlagen, von Überlandleitungen und
Speichern, beim Bau von Kraftwerken, die Wasserstoff-ready sind und die
wir brauchen, wenn der Strom aus Sonne, Windkraft und Wasserkraft nicht
ausreicht.
Vielleicht noch diese Bemerkung: Wir treffen jetzt die
Entscheidung, damit diese Kraftwerke, die als Prototypen neu entwickelt
werden müssen und so noch nicht gebaut worden sind, in den 30er-Jahren
in ausreichender Zahl tatsächlich ihren Betrieb aufnehmen können. Wir
haben das nicht als abstrakte Planung gemacht. Die von Ihnen vor Kurzem
wahrgenommene Meldung der Europäischen Union war ja, dass sie uns die
Unterstützung dieser Investments genehmigt hat. Wir werden das jetzt auf
den Weg bringen; denn das muss jetzt losgehen, damit das 2030 und in
den folgenden Jahren auch tatsächlich gebaut ist.
Das gilt auch
für das Wasserstoffnetz, für das wir bis zum Jahresende die notwendigen
Voraussetzungen schaffen werden. Dazu der Hinweis: Wir haben uns
entschieden, dass das ein privatwirtschaftliches Investment sein wird.
Wir wollen, dass sich die heutigen Gasnetzbetreiber auch diese Aufgabe
vornehmen. Aber das ist ein sehr, sehr ambitioniertes Projekt; denn
damit das klappt, müssen jetzt diejenigen, um die es dabei geht,
Entscheidungen treffen und alle zusammen Milliarden investieren, damit
sie Geld über einen Zeitraum von 20, 30, vielleicht 40 Jahren verdienen.
In den ersten Jahren wird das ein Investment sein, das notwendig ist,
damit das mit der Wasserstoffwirtschaft auch tatsächlich klappt. Aber da
fließt dann noch nicht genug durch, um die Finanzierungskosten für die
Netze darüber wieder einzubringen. Das muss über eine so lange Strecke
geschehen.
In enger Zusammenarbeit zwischen den Verantwortlichen
in der Bundesnetzagentur, den politisch Verantwortlichen und der
Wirtschaft kann es gelingen, dass wir jetzt eine so gigantische
Infrastrukturaufgabe auf den Weg bringen, damit alles rechtzeitig
entsteht und zur Verfügung steht. Wir werden das jetzt tun. Da ist es
vielleicht sogar ein Vorteil, dass wir wegen der Notwendigkeit, die
Energieversorgung Deutschlands mit Gas sicherzustellen, jetzt an den
norddeutschen Küsten LNG-Terminals gebaut haben; denn damit ist der
Rahmen geschaffen, der uns in die Lage versetzt, die übrige Investition
drum herum zu gruppieren.
Das ist eine gute Nachricht für das
Energieland NRW; denn mit all diesen strukturellen Verbesserungen werden
wir auch die Strompreise Schritt für Schritt drücken können. Ich weiß:
Gerade die energieintensiven Branchen warten darauf. Nordrhein-Westfalen
hat ja bekanntermaßen sehr viele davon.
Aber auch das gehört zur
Wahrheit dazu: Ein schuldenfinanziertes Strohfeuer, das die Inflation
wieder anheizt, oder eine Dauersubvention von Strompreisen mit der
Gießkanne können wir uns nicht leisten und wird es deshalb auch nicht
geben. Das wäre ökonomisch falsch, fiskalisch unsolide und würde
sicherlich auch falsche Anreize setzen.
Ich danke den Marktwirtschaftlern unter den Anwesenden. ‑ Wir setzen stattdessen auf strukturelle Lösungen.
Wir
beschließen noch in diesem Monat ein Wachstumschancengesetz. Damit
bauen wir Bürokratie ab und fördern Investitionen, ganz besonders in
Forschung und Entwicklung und in klimafreundliche Produktion. Vor allem
aber entlasten wir Unternehmen auf breiter Front.
Dazu werden wir
zeitlich befristet deutlich bessere Abschreibungsbedingungen schaffen.
Das sorgt unmittelbar für höhere Liquidität in Ihren Unternehmen und
sendet das Signal: Die richtige Zeit zu investieren ist jetzt!
Auch
für Start-ups, kleine und mittlere Unternehmen bringen wir
Erleichterungen auf den Weg ‑ vor allem was den Zugang zum Kapitalmarkt
angeht. Gerade heute haben wir das Zukunftsfinanzierungsgesetz
beschlossen, das alle diese Regelungen beinhaltet, und als Kabinett auf
den Weg gebracht.
Meine Damen und Herren, parallel arbeiten wir
mit den Ländern intensiv daran, Planungs-, Genehmigungs- und
Verwaltungsverfahren noch weiter zu beschleunigen und unseren Staat
einfacher und digitaler zu machen, auch mithilfe von künstlicher
Intelligenz. Die Vorschläge des Bundes dazu liegen derzeit bei den
Ländern. Ich wünsche mir hierzu in den kommenden Monaten sehr klare,
gemeinsame Beschlüsse, damit das auch funktioniert.
Ein Feld, bei
dem dringend mehr Tempo auch in den Verwaltungen nötig ist, ist die
Suche nach Fachkräften. Sie selbst haben davon gesprochen. Wir brauchen
Arbeitskräfte und Fachkräfte. Ich will ausdrücklich dazusagen: Das ist
in den letzten Jahren ganz gut gelungen. Dazu mussten wir aber nicht
allzu viel können; denn die Freizügigkeit in der Europäischen Union hat
es uns ermöglicht, dass wir eine ganz andere Situation auf dem
Arbeitsmarkt haben, als uns die Statistiker Ende der 90er-Jahre
vorgerechnet und vorhergesagt haben. Millionen zusätzliche Arbeitskräfte
sind im deutschen Arbeitsmarkt tätig. Wir haben die höchste Zahl von
Erwerbstätigen in der Geschichte unseres Landes. Wir haben die höchste
Zahl sozialversicherungspflichtiger Beschäftigter in der Geschichte
unseres Landes und wären, hätten sich die Vorausberechnungen von vor
20 Jahren bewahrheitet, heute bei niedrigsten Werten, unterhalb der
Werte, die wir um die Jahrtausendwende hatten. Das ist die reale
Veränderung, die stattgefunden hat. Aber nun geht es darum, dass wir in
einer Situation, in der das nicht mehr so ganz einfach geht, trotzdem
das schaffen, was für unseren Arbeitsmarkt wichtig ist, nämlich genügend
Arbeitskräfte zu begeistern, um in unseren Unternehmen zu arbeiten.
Wir
sorgen dafür, das inländische Potenzial besser auszuschöpfen. Dazu
gehört auch die Weiterbildung im Betrieb. Ich will ausdrücklich sagen,
dass ich mich noch ganz gut an die Lehman-Brothers-Krise und den ersten
großflächigen Einsatz von Kurzarbeit erinnere, bei dem wir miteinander
gesprochen und zusammen gehandelt haben. Ich habe damals versucht, die
nicht Beschäftigten in Weiterbildungsprogrammen unterzubringen. Ich
konnte alle, die das gemacht haben, persönlich besuchen. Das war nicht
so erfolgreich.
Aber jetzt sehe ich ganz viele Betriebe, die
etwas herausgefunden haben: Es gibt viele, die bei ihnen als Angelernte,
als Ungelernte tätig sind, die seit Jahren eine gute Arbeit leisten und
deren Handlungsspektrum man noch einmal erweitern kann, obwohl sie
schon 31, 42 oder 51 Jahre alt sind. Und das klappt. Das zeitigt sehr
große Erfolge. Ich kann nur allen empfehlen, das auch in dem großen Stil
zu machen, wie manche Unternehmen es jetzt tun.
Natürlich geht
es auch darum, es für Ältere leichter zu machen, dass sie berufstätig
sein können. Das ist mit den Gesetzen zur gleichzeitigen Beschäftigung
während der Rente möglich geworden. Jetzt muss man nur alle überzeugen,
damit sie auch Lust haben. Das ist eine Aufgabe, die dann, glaube ich,
bei Ihnen liegt. Das Gleiche gilt für die gezielte Vorbereitung
Jugendlicher auf eine Ausbildung.
Wir wissen zusammen mit den
Gemeinden und den Ländern: Wir brauchen gute
Kinderbetreuungsmöglichkeiten; denn natürlich wird sich manche junge
Frau oder mancher junge Mann erst dann für Vollzeitarbeit entscheiden,
wenn das mit der Berufstätigkeit und dem Unterstützen der eigenen Kinder
auch klappt. Das ist eine zentrale Aufgabe.
Aber ich muss Ihnen
nicht sagen, dass das alles nicht ausreichen wird; das wissen Sie
selbst. Die Lücke ist groß, wenn 13 Millionen Babyboomer ‑ ein
niedliches Wort für Leute um die 60 ‑ bis Mitte des nächsten Jahrzehnts
in Rente gehen. Deshalb haben wir mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz,
das Sie eben schon erwähnt haben, das modernste Einwanderungsrecht
geschaffen, das Deutschland je hatte. Das lässt sich auch im
internationalen Vergleich sehen. Natürlich kommt es jetzt auf die
Umsetzung an ‑ bei uns allen. Das wissen wir. Deshalb legen wir die
Hände, mit denen wir Gesetze gemacht haben, nicht in den Schoß, sondern
wir werden ganz praktisch schauen: Wie können wir es so einfach und so
unbürokratisch wie möglich regeln, damit die vielen Frauen und Männer in
der Welt, die gerne hier arbeiten würden und die mit ihren Fähigkeiten
und Talenten gebraucht werden, das auch tatsächlich können?
Deshalb
sind wir froh über die Verständigung mit den Ländern hinsichtlich der
Digitalisierung der Ausländerbehörden. Das wird uns sehr helfen, auch
die Prozesse zu entbürokratisieren. Wir werden uns auch für das, was im
Ausland geschieht, noch neue Wege anschauen, wie wir das so einfach wie
möglich machen können, damit das tatsächlich klappt, damit Ihre
Unternehmen die Frauen und Männer bekommen, die Sie für Ihre Tätigkeit
brauchen.
Meine Damen und Herren, seit dem 19. Jahrhundert ist
Nordrhein-Westfalen ein Integrationsland. Damals zogen Arbeiter aus halb
Europa ins boomende Ruhrgebiet. Ich bin überzeugt: Diese DNA kommt
Nordrhein-Westfalen auch heute zugute, wenn es darum geht, gute Leute zu
finden, die hier mit anpacken wollen.
Industrieland,
Energieland, Integrationsland ‑ eine Zuschreibung fehlt noch, wenn wir
über die Stärken des Landes Nordrhein-Westfalen reden.
Nordrhein-Westfalen ist auch ein erfahrenes Transformationsland. Bei
einem seiner Besuche in Nordrhein-Westfalen hat der frühere
Bundespräsident Joachim Gauck über den Strukturwandel gesagt: „Es ist
zur Last geworden, was einst Reichtum begründet hat.“ Ich finde, die
Erfolgsgeschichte dieses Landes beweist aber noch etwas ganz anderes,
nämlich dass die vermeintliche Last des Strukturwandels auch neuen
Wohlstand begründen kann.
Mit dem Aufbruch weg von rauchenden
Schloten und Zechen hin zu innovativen Industrie- und
Dienstleistungsunternehmen hat Nordrhein-Westfalen doch bewiesen, wie
anpassungsfähig, resilient und erfolgreich deutsche Unternehmen im
Wandel sind. Diese Erfahrung ist heute Gold wert; denn wir stecken
mitten in der größten Erneuerung unserer Wirtschaft seit Beginn der
Industrialisierung ‑ angetrieben von der Digitalisierung und der
Dekarbonisierung.
In puncto Transformation aber macht Ihnen hier
in Nordrhein-Westfalen keiner etwas vor. Das gibt Zuversicht, die wir
gut gebrauchen können; denn Bedenkenträger und Kassandra-Rufer gibt es
da draußen schon genug. Also, packen wir’s an!