Auch ein Kind ist laut Regionalgouverneur Wjatscheslaw Tschaus unter den Todesopfern. Die russische Armee erklärte derweil, 150 ukrainische Soldaten "eliminiert" zu haben, die versucht hätten, den Fluss Dnipro zu überqueren. Moskau erklärte zudem, einen ukrainischen Drohnenangriff auf einen Militärflugplatz im Nordosten Russlands abgewehrt zu haben - weit entfernt von der Grenze zur Ukraine.
Bei dem Beschuss von Tschernihiw sei eine Rakete mitten im Stadtzentrum eingeschlagen, erklärte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj auf Telegram. Ein Platz, die Polytechnische Universität und ein Theater seien getroffen worden. "Ein gewöhnlicher Samstag, den Russland in einen Tag des Schmerzes und Verlustes verwandelt hat", schrieb er weiter. Nach Angaben des kommissarischen Bürgermeisters von Tschernihiw wurden bis zum Nachmittag sieben Tote und 110 Verletzte gezählt.
Journalisten der Nachrichtenagentur AFP vor Ort sahen Feuerwehrfahrzeuge vor dem beschädigten Gebäude der Taras-Tschewtschenko-Theater- und Musikakademie. Auch einige andere Gebäude in der Nähe wurden leicht beschädigt.
"Es gab Rauch, Schreie, die Menschen rannten, weinten, stöhnten. Wir sind zum Schutzraum gerannt, als alles passierte, und haben uns dort hingesetzt", sagte die 24-jährige Barkeeperin Iryna. "Ich stehe immernoch ein wenig unter Schock, denn sowas ist schon lange nicht mehr passiert."
Tschernihiw liegt rund 150 Kilometer nördlich von Kiew in Richtung der Grenze zum mit Russland verbündeten Belarus. Russische Streitkräfte waren zu Beginn der Invasion im Februar 2022 durch Tschernihiw marschiert und wurden dann von ukrainischen Kräften zurückgedrängt. Anders als der Osten und der Süden blieb der Norden der Ukraine seitdem weitgehend von heftigen Kämpfen verschont.
Die Vereinten Nationen verurteilten den Angriff. "Es ist abscheulich, den Hauptplatz einer großen Stadt am Morgen anzugreifen, während die Menschen spazieren gehen, einige in die Kirche gehen, um einen religiösen Tag für viele Ukrainer zu feiern", erklärte die humanitäre UN-Koordinatorin für die Ukraine, Denise Brown.
Selenskyj traf unterdessen zu einem Besuch in Schweden ein. Im vormals Twitter genannten Onlinedienst X kündigte er Gespräche mit der Regierung, politischen Parteien und der schwedischen Königsfamilie an. Dabei werde es vor allem um "Partnerschaft, Verteidigungszusammenarbeit, EU-Integration und gemeinsame euro-atlantische Sicherheit" gehen. Schwedens Ministerpräsident Ulf Kristersson empfing Selenskyj in seinem Sommerhaus südwestlich von Stockholm.
Der Angriff auf Tschernihiw erfolgte kurz nachdem der Kreml ein Treffen des russischen Präsidenten Wladimir Putin in Südrussland mit für die russische Militäroffensive in der Ukraine zuständigen Generälen bekanntgegeben hatte. Putin habe ein Treffen im Hauptquartier der "militärischen Spezialoperation" in Rostow am Don abgehalten, teilte der Kreml am Samstagmorgen mit. Der Kreml-Chef habe sich Berichte des russischen Generalstabschefs Waleri Gerassimow, von Kommandeuren und anderen hochrangigen Beamten angehört.
Moskau machte keine Angaben zum Zeitpunkt des Treffens. Von staatlichen Medien verbreitete Aufnahmen deuteten darauf hin, dass es in der Nacht stattfand.
Beide Konfliktparteien erklärten am Samstag, Drohnenangriffe abgewehrt zu haben. Kiew gab an, über Nacht mehr als ein Dutzend russische Drohnen abgeschossen zu haben.
In der Region Nowgorod im Nordwesten Russlands wehrte die russische Armee nach eigenen Angaben einen ukrainischen Drohnenangriff auf einen Militärflugplatz ab. Eine weitere Drohne sei in Richtung Moskau und die Hauptstadtregion abgefeuert und ebenfalls abgeschossen worden. Sie sei danach in einem verlassenen Gebiet in einem Vorort nordwestlich von Moskau abgestürzt, gab die Armee an. Auch habe das Militär einen ukrainischen Angriff auf die von Moskau annektierte Krim-Halbinsel vereitelt.
Überdies erklärte die russische Armee, etwa 150 ukrainische Soldaten "eliminiert" zu haben, die den Fluss Dnipro überqueren und auf russisch besetztes Gebiet gelangen wollten. Das russische Militär habe eine "feindliche" Einheit von rund 150 Menschen "besiegt". Die ukrainischen Streitkräfte versuchen am Dnipro, Frontlinie im Süden des Landes, in die Verteidigungsanlagen Moskaus einzudringen.
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Stanislav DOSHCHITSYN / © Agence France-Presse