Erst in jüngerer Zeit kommt geistlichem Missbrauch höhere Aufmerksamkeit zu.
Bei dieser Form des Machtmissbrauchs handelt es sich um eine mit psychischem Druck verbundene Verletzung der spirituellen Selbstbestimmung eines Menschen.
Meist greift dabei eine geistliche Autoritätsperson beispielsweise während einer Einzelseelsorge in die persönliche Freiheit und psychische Integrität eines Menschen ein, was für die Betroffenen traumatische Folgen haben kann. Dem geistlichen Missbrauch mit dem besonderen Blick auf geistliche Gemeinschaften widmet sich seit Anfang 2023 ein auf drei Jahre angelegtes Forschungsprojekt an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster. Die Leiterin des Projekts „Geistlicher Missbrauch in geistlichen Gemeinschaften“, Prof. Dr. Judith Könemann, bittet vor allem Betroffene und ehemalige Mitglieder der „Christusgemeinschaft“ und von „Totus Tuus Neuevangelisierung“ um Unterstützung.
Weitere Informationen zur Studie und Kontaktmöglichkeiten gibt es auf der Projektseite: www.uni-muenster.de/FB2/gm_projekt/.
Konkret geht es um die Auswirkungen von geistlichem Missbrauch auf die Betroffenen und um die zentralen Fragen, welche Voraussetzungen, Strukturen und systemische Faktoren geistlichen Missbrauch entstehen lassen, begünstigen und aufrechterhalten. Auch geht das Forschungsteam den religiösen Praktiken und theologischen Überzeugungen nach, die den geistlichen Missbrauch in geistlichen Gemeinschaften begünstigen. Im Zentrum der Untersuchung stehen die im Bistum Osnabrück gegründete und mit den Thuiner Franziskanerinnen verknüpfte „Christusgemeinschaft“ sowie die 2007 bis 2021 im Bistum Münster kirchenrechtlich anerkannte geistliche Vereinigung „Totus Tuus Neuevangelisierung“ (TTN), da für beide Gemeinschaften Vorwürfe von geistlichem Missbrauch vorliegen. Die Untersuchung wird von den Diözesen Osnabrück und Münster, der Deutschen Bischofskonferenz und der Kongregation der Thuiner Franziskanerinnen finanziell getragen, aber an der Universität Münster unabhängig dur
chgeführt. Bei gezielten Hinweisen bezieht das Projektteam auch geistlichen Missbrauch in anderen katholischen geistlichen Gemeinschaften ein, sofern diese in einem der beiden Bistümer angesiedelt sind. Die Ergebnisse des Pilotprojekts sollen auch die Präventionsarbeit in den Diözesen stärken.
Neben dem intensiven Aktenstudium stellen Interviews die wesentliche Grundlage der Untersuchung dar. Angesprochen sind vor allem Betroffene geistlichen Missbrauchs und (ehemalige) Mitglieder der Gemeinschaften. Darüber hinaus werden Zeitzeugen und Wissensträger wie Bistumsverantwortliche, aber auch Eltern von Mitgliedern oder Vertreter von Kirchengemeinden befragt. Als Ergänzung oder anstelle der Interviews können auch schriftliche Erfahrungsberichte oder Dokumente zur Verfügung gestellt werden, beispielsweise Briefe, Tagebucheinträge oder offizielle Rundschreiben aus den jeweiligen Gemeinschaften.
Mit Betroffenen, die sich melden, führen die Projektmitarbeiter zunächst ein Telefonat. Schließlich wird der Ort festgelegt, an dem das Interview stattfinden soll. Mit einer Einwilligungserklärung legt der Interviewpartner fest, ob das Interview in anonymisierter Form in die Studie einfließen soll. Über die Teilnahme am Projekt und die inhaltlichen Schwerpunkte des Interviews entscheidet der Interviewte. Zudem besteht jederzeit die Möglichkeit, die Teilnahme zu widerrufen. Die Interviews sollen der Erforschung vor allem der systemischen Faktoren geistlichen Missbrauchs dienen, deshalb sind in der Veröffentlichung keine ausführlichen Einzelfallstudien geplant.
Wer das Forschungsteam unterstützen möchte, kann sich per E-Mail unter geistlicher.missbrauch@uni-muenster.de oder bei Juliana Osterholz unter der Telefonnummer 0251 83-30029 beziehungsweise bei Dr. Bernhard Frings unter der Telefonnummer 0251 83-24337 melden. Das Team ist auch per Post erreichbar: Prof. Dr. Judith Könemann, Robert-Koch-Straße 40, 48149 Münster.