Die kleine italienische Mittelmeerinsel Lampedusa sieht sich derzeit mit der Ankunft tausender Migranten konfrontiert, deren Versorgung sie kaum bewältigen kann. Das italienische Rote Kreuz meldete am Mittwochabend mehr als 7000 Neuankömmlinge - so viele, wie die 145 Kilometer nördlich von Tunesien gelegene Insel Einwohner zählt.
Das gute Wetter der vergangenen Tage führte dazu, dass sich mehr Menschen als gewöhnlich von Nordafrika aus in Booten über das Mittelmeer auf den Weg machten. Nach Angaben des Innenministeriums in Rom kamen allein am Dienstag mehr als 5000 Migranten in Italien an. Die meisten von ihnen wurden von der Küstenwache aufgegriffen und nach Lampedusa gebracht.
Das dortige Aufnahmezentrum ist für weniger als 400 Menschen ausgelegt. Männer, Frauen und Kinder mussten rund um das Lager die Nächte unter freiem Himmel verbringen - auf Behelfsbetten, viele in Rettungsdecken eingehüllt. Als das Rote Kreuz am Mittwoch Lebensmittel verteilte, kam es zu Spannungen, woraufhin die Polizei einschritt.
Einige junge Männer verließen das Aufnahmezentrum und liefen ins historische Zentrum der gleichnamigen Stadt Lampedusa. Teils berichteten sie, sie hätten Hunger. Manche Restaurants schickten die Flüchtlinge weg, während andere ihnen Gratis-Gerichte anboten. Auch gab es Touristen und Einheimische, die ihnen Lebensmittel bezahlten.
Das Aufnahmezentrum auf Lampedusa hat seit Jahren Probleme bei der Versorgung der vielen Neuankömmlinge. Menschenrechtsorganisationen verweisen auf Mängel bei der Trinkwasser- und Essensversorgung sowie bei der medizinischen Versorgung.
Im Juni übernahm das Internationale Rote Kreuz die Aufgabe und versprach eine "würdevollere" Aufnahme. Diese Woche sprach es jedoch von "Managementproblemen" angesichts von mehr als 7000 Migranten. Bis Donnerstagabend wollten die Behörden rund 5000 Menschen nach Sizilien bringen, wo größere Aufnahmezentren zur Verfügung stehen.
"Die Lage ist komplex, wir versuchen, nach und nach zur Normalität zurückzukehren", sagte Francesca Basile vom Roten Kreuz. "Trotz der schwierigen Lage haben wir versucht, Betten an die Menschen zu verteilen, damit sie nicht unter freiem Himmel schlafen müssen", sagte sie. "Wir haben Essen an alle verteilt, gestern Abend, heute wieder, jeder wird das bekommen, was er braucht", sagte sie.
Jahr für Jahr sterben zahlreiche Flüchtlinge bei dem Versuch, über das Mittelmeer in die Europäische Union zu gelangen. Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) kamen in 2023 bislang mehr als 2000 Menschen ums Leben, als sie versuchten, von Nordafrika aus die Küsten von Italien oder Malta zu erreichen.
Am Mittwochmorgen starb ein fünf Monate altes Baby, das ins Wasser stürzte, als eine Gruppe von Bootsflüchtlingen ans Ufer gebracht wurde.
Die rechtsgerichtete italienische Regierung hatte Lampedusa kürzlich 45 Millionen Euro bereitgestellt, um die Situation besser bewältigen zu können. Gleichzeitig fordert Ministerpräsidentin Giorgia Meloni Hilfe von der Europäischen Union. Meloni war vor einem Jahr mit dem Versprechen gewählt worden, der massiven Einwanderung ein Ende zu setzen.
Seit Jahresbeginn sind fast 124.000 Migranten an Italiens Küsten angekommen - 65.000 waren es im Vorjahreszeitraum.
Die Bundesregierung setzte kürzlich die freiwillige Aufnahme von Migranten aus Italien aus. Zur Begründung verwies das Bundesinnenministerium auf den "hohen Migrationsdruck nach Deutschland" und auf die "anhaltende Aussetzung von Dublin-Überstellungen" durch Italien und andere Länder. Sobald Italien die Rücknahme von Schutzsuchenden nach den Dublin-Regeln wieder ermögliche, könne es auch mit dem freiwilligen Aufnahmeprogramm weitergehen.
Die Initiative Seebrücke kritisierte das Vorgehen der Bundesregierung: Diese müsse "sofort die Aufnahme von schutzsuchenden Menschen zulassen", erklärte die Bewegung. Es dürfe nicht sein, "dass abermals Schutzsuchende die Opfer der politischen und moralischen Unfähigkeit der europäischen Regierungen werden", erklärte Seebrücke.
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Alessandro Seranno und Alice Ritchie / © Agence France-Presse