Machen Sie eine typische Handbewegung! So begann vor Jahren eine beliebte Ratesendung im Fernsehen. Die junge, blond-gelockte Frau würde heute dort wohl pantomimisch andeuten wie sie ihren lindgrünen Mundschutz aufsetzt und mit leisem Quietschen die hellblauen Gummihandschuhe überzieht.
Seit Corona das Land im Griff hält und der Schutz von Patienten an oberste Stelle steht, sind derartige Vorsichtsmaßnahmen in unseren physiotherapeutischen Praxen zur festen Regel geworden. Diese erfüllen im Gesundheitssystem eine wichtige Funktion. Ihre Arbeit ist medizinisch angezeigt und findet auf ärztliche Verordnung statt. Für viele Patienten käme ein Aufschub nicht in Frage. An Pausieren oder Aufgeben denkt hier niemand.
Simone Cox hat an diesem Dienstag einen Außentermin. Es ist Ende März. Das Thermometer zeigt an diesem Morgen kaum über Null Grad. Mit ihrem Fahrrad fährt sie von der Praxis in Münsters Südviertel zu dem älteren Herrn nach Hause. Der sitzt im Rollstuhl und wartet auf sie, um mit speziellen Übungen dem Muskelabbau vorzubeugen und etwas gegen seine Schmerzen zu tun. Die Behandlung ist notwendig und muss auch in Zeit von Corona ambulant fortgesetzt werden.
Die Physiotherapeutin gibt ihr Bestes. Sie steht mit einem Abstand von fast zwei Metern vor dem Rollstuhl und macht dem Mann jede Übung Schritt für Schritt vor. Dieser hat ein Fitnessband zwischen beide Hände gespannt und versucht es jetzt im vorgegebenen Rhythmus zu dehnen. Das geht an die Muckis. Das ist der Sinn der Übung.
Damit der Mann mitmacht und die Übung durchhält, feuert Simone Cox ihn freundlich aber bestimmt an und macht ihm mit ihrer guten Laune Mut. Vor Corona half ihr dabei das sympathische Lachen, um den Patienten aufzumuntern und dabei auch noch Freude zu vermitteln. Mit dem Mundschutz über Nase und Mund muss sie allerdings noch eine Schippe drauflegen. Sie legt noch mal so viel heiteres Strahlen in ihre Augen. Diese Botschaft kommt offensichtlich an. Die Trainingsrunde mit dem Gymnastikband vergeht wie im Fluge. Spätestens in einer Woche werden sie sich wieder sehen.
Simone Cox ist eine von acht
Therapeutinnen in der Praxis für Physio Südviertel von Uta Kleinekampmann. In
vier Behandlungsräumen werden an der Burgstraße in Münster medizinisch
verordnete Therapien durchgeführt. Mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie musste
einiges in der Praxis verändert, umgestellt und neugeordnet werden, damit der
Betrieb weiterlaufen kann. Uta Kleinekampmann erinnert sich wie sie sich in den
ersten Tagen nach dem Ausbruch der Pandemie gefühlt hat: „Ich kam mir vor, als habe
man mir den Teppich unter den Füßen weggezogen.“
Nach den Karnevalstagen und dem Ausbruch der Viruskrankheit im Kreis Heinsberg stand in der Praxis das Telefon kaum mehr still. Die drei Mitarbeiterinnen an der Anmeldung hatten alle Hände voll zu tun. Die Verunsicherung bei den Patienten war riesengroß. Reihenweise wurden aus Furcht vor einer möglichen Ansteckung Behandlungstermine abgesagt. Damit wuchs in der Praxis die Zukunftsangst. Offen wurde darüber gesprochen, ob man die Krise wirtschaftlich wohl überlebt. Da kullerte manche Träne, nicht nur für die Unternehmerin auch für die Angestellten steht die Existenz auf dem Spiel.
Inzwischen ist ein Stück Normalität eingekehrt. „Sehr viele der Patienten bleiben derzeit weg“, räumt Uta Kleinekampmann ein. „Aber für diejenigen, die dringend eine Behandlung brauchen, sind wir weiterhin da.“ Systemrelevant nennt man das in diesen Tagen. Was das Ausbleiben von Patienten am Ende für ihren Umsatz bedeutet, kann sie noch gar nicht genau beziffern. Mit den Krankenkassen wird immer erst nach Abschluss der Behandlungen abgerechnet.
„Aktuell kommt das Geld rein, was wir im Januar und Februar durch unsere Arbeit verdient haben“, erklärt die Unternehmerin. Für die kommenden Monate rechnet sie sehr wohl mit finanziellen Einbußen. „Ich bin so von der Solidarität in meinem Team begeistert, dass ich dafür sorgen will, dass wir alle gut durch diese Krise kommen“, verspricht sie und dabei merkt man ihr an, dass sie wirklich von dem Teamgeist berührt ist.
Physio Südviertel Kleinekampmann bietet ein breit gespanntes Portfolio von Behandlungsmethoden. Sie reicht von klassischer Krankengymnastik über Manuelle Therapie und Manuelle Lymphdrainage bis hin zu speziellen Anwendungen für einzelne Erkrankungen. Die Fachfrauen machen mit ihren Patienten gezielt verschiedenste Übungen, dabei müssen sie mitunter selber Hand anlegen, um beispielsweise Bewegungen zu unterstützen, Muskeln zu lockern oder bei der Lymphdrainage Lymphe auszustreichen. „Wir entscheiden mit unseren Patienten, wie wir bei den Behandlungen vorgehen“, sagt Uta Kleinekampmann. Sicherheit geht immer vor und das Vertrauen der Patienten ist entscheidend. Deshalb müssen die Patienten neuerdings ihr eigenes Handtuch mitbringen, auf das sie sich während einer Behandlung legen können.
Gemeinsam mit ihren Mitarbeiterinnen hat sie ausgetüftelt, wie die Kontakte in der Praxis möglichst verringert oder gar ganz vermieden werden können. Die Behandlungen sind so getaktet und über den Tag verteilt, dass sich Patienten möglichst nicht begegnen. Wer kurz warten muss, der kann dies vor der Praxis auf einem Stuhl machen. Sogar ein Platz an der Sonne steht zur Verfügung.
Parallel arbeiten maximal drei Therapeutinnen in verschiedenen Räumen. Auch sie kommen kaum miteinander in Berührung. In einigen Fällen sind darüber hinaus Hausbesuche nötig. „Zur Arbeit darf übrigens nur diejenige kommen, die sich ganz gesund fühlt und fit ist“, sagt die Unternehmerin. „Wir gehen keinerlei Risiko ein.“ Aktuell sind alle gesund und munter, worüber sich Uta Kleinekampmann sehr freut. In diesen Tagen tauschen sie sich auch über die häusliche Situation und die Gefühlslage aus, was den Zusammenhalt nur noch weiter gestärkt hat. Kopfzerbrechen bereitet ihr manchmal wohl der Dienstplan. Einige der Mitarbeiterinnen haben daheim Familie und Kinder, die aktuell nicht nur Schule gehen können.
Uta Kleinekampmann ist angetan davon, wie sich in der aktuellen Krise die Zusammenarbeit mit den Ärzten verbessert hat. Auch die Gesetzlichen Krankenkassen haben schnell Vorgaben gelockert, um die Arbeit in den Praxen zu erleichtern. Plötzlich sind Dinge möglich, die bis dahin kaum für möglich gehalten wurden. Vor allem die Reaktionszeiten und die Entscheidungsfreude haben sich verbessert. „Die Abstimmungen laufen im Interesse der Patienten reibungslos und vor allem schnell“, berichtet sie. Sogar mit dem aktuell unter Strom stehendem UKM läuft es perfekt. „Die Anfrage für eine erweiterte Verordnung für einen unserer Patienten, der gerade erst aus dem Krankenhaus entlassen wurde, kam per Fax schneller aus dem UKM zurück als wir sie gestellt haben“, weiß sie zu berichten.
Neu ist nun auch die Möglichkeit, dass man Patienten per Livestream über einen Computer oder ein Laptop berät oder gar behandelt. Eine Therapeutin gibt online bei einer Videokonferenz Anweisungen und kann die Ausführung der Übung unmittelbar kommentieren und korrigieren. „Das war für uns absolutes Neuland“, gesteht Uta Kleinkampmann, „aber der Enthusiasmus meiner Mitarbeiterinnen war so groß, dass wir das inzwischen problemlos hinbekommen.“ Solche Neuerungen müssen freilich mit dem Berufsverband und den Gesetzlichen Krankenkassen abgestimmt werden, da dabei unter anderem Datenschutzrichtlinien beachtet werden müssen. Aber das ist inzwischen Schnee von gestern. Die Technik steht und sie wird von einzelnen Patienten bereits genutzt. Denn der braucht für seine Übungen nicht mehr das Haus zu verlassen.
Ein Problem liegt Uta Kleinekampmann derzeit schwer auf dem Magen. Nachdem medizinische Atemschutzmasken inzwischen weltweit Mangelware geworden sind, explodieren die Preise. Händler versuchen aus der Not Profit zu schlagen. Eigentlich ein unhaltbarer Zustand. „Man kommt an die Masken kaum mehr ran“, beklagt sich die Physiotherapeutin. Im Team hat man auf diesen Mangel reagiert. Einige der Mitarbeiterinnen haben sich an ihre Nähmaschine gesetzt und im Null Komma nichts einige Stoffmasken genäht, die eine ähnliche Funktion übernehmen sollen wie die bekannten lindgrünen Papiermasken.
Was
sich Uta Kleinekampmann in diesen Tagen wünscht, fragen wir nach. „Dass die Ansagen
des Deutschen Verband für Physiotherapie klarer werden. Wir fühlen uns vielfach
alleingelassen, weil Entscheidungen und Empfehlungen viel zu schwammig formuliert
sind“, erklärt die Unternehmerin wie aus der Pistole geschossen. Darüber hinaus
richtet sie auch einen Appell an die Gesetzlichen Krankenkassen. „Die sollten
uns in dieser angespannten Situation finanziell unterstützen. Es kann nicht
sein, dass diese die nicht geleisteten und abgesagten Behandlungen als
Einsparungen verbuchen.“ Wenn physiotherapeutische Praxen systemrelevant im
Gesundheitssystem sind, dürfen sie nicht unter wirtschaftlichem Druck
fallengelassen werden. Der ökonomische Stresstest hat für die Praxen gerade
erst begonnen.