Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, ist nach Vertuschungsvorwürfen von ihrem Amt zurückgetreten. Sie gebe auch ihre Aufgabe als Präses der evangelischen Kirche in Westfalen auf, sagte die oberste Repräsentantin der rund 20 Millionen deutschen Protestanten am Montag in Bielefeld. Die Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs übernimmt nun kommissarisch den Ratsvorsitz bis zu einer Neuwahl.
Kurschus soll einem Bericht der "Siegener Zeitung" zufolge bereits in den 90er Jahren über massive Vorwürfe sexualisierter Gewalt gegen einen ehemaligen Kollegen im Kirchenkreis Siegen informiert gewesen sein. Sie selbst gab an, erst in diesem Jahr von den Vorwürfen erfahren zu haben.
Kurschuss blieb auch in ihrer Rücktrittserklärung bei der Haltung, sich nichts vorwerfen zu müssen. "In der Sache bin ich mit mir im Reinen." Die Theologin sagte, sie sei mit der Familie des Manns befreundet. Sie habe etwas von der homosexuellen Neigung des mit einer Frau verheirateten Manns und von dessen ehelicher Untreue mitbekommen, nichts aber von möglichen Missbrauchstaten.
Es sei ihr niemals darum gegangen, einen Beschuldigten zu decken. In der Berichterstattung sei aber eine "absurde und schädliche Verschiebung" eingetreten, weil es nur noch um ihre Glaubwürdigkeit und nicht um die Betroffenen von Missbrauch gegangen sei. Deshalb gebe sie ihre Ämter auf.
"Ich wünschte, ich wäre vor 25 Jahren so aufmerksam und sensibilisiert gewesen wie heute", sagte Kurschus weiter. Die 60 Jahre alte Kurschus war zwei Jahre lang Ratsvorsitzende der EKD als Nachfolgerin von Heinrich Bedford-Strohm. Nach Margot Käßmann war sie die zweite Frau an der Spitze der deutschen Protestanten.
Den Rücktritt von Kurschus nahm Anna-Nicole Heinrich, Präses der Synode der EKD, entgegen. "Ich habe Respekt vor dem Schritt, von allen Ämtern zurückzutreten, mit dem Annette Kurschus zeigt, welchen Stellenwert konsequentes Handeln beim Thema sexualisierte Gewalt – gerade im Interesse der Betroffenen – für die evangelische Kirche hat." Sie hoffe, dass es nun den notwendigen Raum für die weitere Aufarbeitung des Falls und des Umgangs damit gebe. Hier stehe die Landeskirche von Westfalen in der Verantwortung.
Fehrs übernimmt nach den Regularien der EKD als bisherige stellvertretende Ratsvorsitzende kommissarisch die Führung der EKD. Die 62-Jährige erklärte, für den Rat verbinde sich mit dem Rücktritt von Kurschus die Verpflichtung, den eingeschlagenen Weg bei Aufarbeitung und Prävention sexualisierter Gewalt konsequent weiter zu gehen. Heinrich und Fehrs kündigten gemeinsam an, die unabhängige Aufarbeitung sexualisierter Gewalt und die Unterstützung der Betroffenen fortsetzen zu wollen.
Dem Rat der EKD gehören für eine Amtsperiode von sechs Jahren 15 Mitglieder an, von denen 14 gemeinsam von Synode und Kirchenkonferenz gewählt werden. Die oder der Präses der Synode ist 15. Mitglied kraft Amtes. Die aktuelle Amtszeit des Rats läuft noch bis 2027. Scheidet ein Mitglied aus dem Rat aus, erfolgt eine Neuwahl für den Rest der Amtsperiode. Da die Synode erst in der vergangenen Woche tagte, findet die nächste Synode mit Neuwahl erst in einem Jahr statt.
Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, äußerte großes Bedauern über den Rücktritt von Kurschus. Die Gründe könne und werde er nicht beurteilen, erklärte der Limburger Bischof und fügte hinzu: "Mit dem Rücktritt von Annette Kurschus verliert der ökumenische Motor in unserem Land einen wesentlichen Antrieb."
In der evangelischen Kirche von Westfalen übernahm zunächst Ulf Schlüter als theologischer Vizepräsident die kommissarische Leitung. Er soll auch die Beratungen der westfälischen Landessynode leiten, die am kommenden Wochenende in Bielefeld zu ihrer Herbsttagung zusammentreten wird. Schlüter nannte den Rücktritt von Kurschus richtig. In leitender Position sei es unumgänglich, mit uneingeschränkter öffentlicher Reputation zu agieren. Das sei Kurschus in der gegenwärtigen Situation nicht mehr möglich gewesen.
ran/cfm © Agence France-Presse
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