Im besonders stark von der Corona-Pandemie betroffenen nordrhein-westfälischen Ort Gangelt haben dem Zwischenergebnis einer wissenschaftlichen Studie zufolge etwa 15 Prozent aller Einwohner eine Infektion durchlaufen und eine zumindest temporäre Immunität aufgebaut. Dies teilten die beteiligten Fachleute der Universität Bonn und Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) am Donnerstag in Düsseldorf mit. Die Erkenntnisse lassen sich demnach allerdings nicht verallgemeinern.
Auf Deutschland insgesamt ließen sich die Zwischenergebnisse aus der Gemeinde im Landkreis Heinsberg nicht einfach hochrechnen, weil es dort eine "Sondersituation" gebe, betonte der an der Studie beteiligte Wissenschaftler Gunther Hartmann vom Institut für klinische Chemie und Pharmakologie der Bonner Universität.
Auch der führend an der Untersuchung mitwirkenden Bonner Virologe Hendrik Streeck sagte, eine Verallgemeinerung der Daten sei "sehr schwierig". Die Studie sei zwar repräsentativ. Dies gelte aber nur für Gebiete, in denen es ebenfalls eine starke Infektionsdynamik gebe. In Regionen, in denen es nur sehr wenige oder sogar keine Ansteckungen gebe, seien die Immunitätsquoten ohnehin völlig andere.
Der Kreis Heinsberg gehört zu dem am frühesten und stärksten von der Corona-Pandemie erfassten Gebieten in Deutschland. In Gangelt wird zudem davon ausgegangen, dass ein Großteil der Infektionen schlagartig über eine Karnevalssitzung erfolgte, was Experten als sogenanntes Superspreading-Ereignis bezeichnen. Das war andernorts so nicht der Fall. Die Endergebnisse der Studie werden mit Spannung erwartet, um Rückschlüsse über das Corona-Geschehen zu gewinnen.
Insbesondere die Zahl der bereits erkrankten Menschen ist unklar, weil die Bevölkerung nicht flächendeckend getestet wird. In Gangelt durchliefen demnach bereits rund 14 Prozent eine Infektion, dazu kamen etwa zwei Prozent mit aktuellen Ansteckungen. Demnach hätten sich insgesamt bereits etwa 15 Prozent der Bevölkerung dort aktuell oder früher mit Corona angesteckt, sagte Streeck. Dies bedeute auch eine "gewisse Verlangsamung in der Ausbreitung".
Die beteiligten Forscher mahnten aber zur Zurückhaltung bei der Interpretation. Unter anderem handle es sich bei den nun vorlegten Ergebnissen nur um einen ersten Zwischenstand, der auf einer Auswertung der Daten von etwa 500 Teilnehmern basiere. Insgesamt nahmen etwa tausend Einwohner aus 400 Haushalten teil. Sie wurden befragt und mit zwei unterschiedliche Testverfahren untersucht.
Laschet nannte die Ergebnisse einen "Baustein" zum Verständnis des aktuellen Krankheitsgeschehens. Dieser helfe der Politik, "zu einer verantwortungsvollen Entscheidung zu kommen", sagte er mit Blick auf die für die kommende Woche geplanten Beratungen von Bund und Bundesländern über etwaige Lockerungen der Corona-Beschränkungen.
Den Experten der Universität Bonn zufolge sind Menschen, die eine Infektion durchlaufen, nach derzeitigem Wissensstand für einen Zeitraum von sechs bis 18 Monaten gegen eine neuerliche Ansteckung immun. Sie können den Virus dann auch nicht weiterverbreiten. Ab einem gewissen Anteil von Immunisierten an der Gesamtbevölkerung gilt eine Pandemie auch ohne Impfstoff als beherrschbar. Diese sogenannte Herdenimmunität liegt demnach bei etwa 60 bis 70 Prozent.
Die Todesfallquote unter allen Infizierten liegt den vorläufigen Ergebnissen aus Gangelt zufolge bei etwa 0,37 Prozent. Die von der Johns-Hopkins-Universität in den USA für ganz Deutschland berechnete Letalität liegt bei 1,98 Prozent und damit um rund das Fünffache höher. Nach Angaben der Bonner Wissenschaftler ist dies indes eine Folge unterschiedlicher Bezugsgrößen. In ihrer Studie werden anders als bei den offiziellen Meldezahlen auch alle Fälle erfasst, bei denen die Infektion mild und unspezifisch verlief.
bro/cfm
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