VCI-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup erklärte, die Studie sei Ergebnis einer langen und intensiven Beschäftigung der Branche mit dem Thema Klimaschutz. Er sagte vor Journalisten in Berlin: "Die deutsche Chemie bekennt sich zur gesellschaftlichen Aufgabe Treibhausgasneutralität. Wir wollen diesen Weg bis 2050 erfolgreich beschreiten. Dabei wollen wir als deutsche Branche die Speerspitze der technologischen Transformation der globalen Chemieindustrie bilden." Um die Unternehmen bei diesem Prozess zu unterstützen, plant der VCI eine neue Plattform zu etablieren, die Expertise aus den unterschiedlichsten Bereichen zusammenführen und die gesamte Wertschöpfungskette vom Produzenten bis hin zum Endkonsumenten sowie Politik und Gesellschaft einschließen soll.
Klaus Schäfer, Vorsitzender des VCI-Ausschusses Energie, Klimaschutz und Rohstoffe, stellte die Inhalte der VCI-Studie vor. Wie der Vorstand der Covestro AG erläuterte, sind die erforderlichen CO2-freien Verfahren zur Herstellung von Basischemikalien heute prinzipiell bekannt, sie müssten aber für die groß-technische Verwendung noch weiterentwickelt und marktreif gemacht werden. Ihr Einsatz sei ab Mitte der 2030er Jahre denkbar. Schäfer sagte: "2050 ist eine weitgehend treibhausgasneutrale Chemieproduktion in Deutschland technologisch vorstellbar. Dafür müssen aber alle Voraussetzungen stimmen: Unternehmen können die Transformation hin zu null Emissionen nur vorantreiben, wenn sie in jeder Phase wettbewerbsfähig bleiben und über große Mengen erneuerbaren Stroms zu niedrigen Kosten verfügen können."
Drei Entwicklungspfade analysiert
Die Studie mit dem Titel "Auf dem Weg zu einer treibhausgasneutralen chemischen Industrie in Deutschland" beschreibt die Entwicklung der nächsten Jahrzehnte anhand drei unterschiedlicher Ambitionsniveaus:
In einem Referenzpfad würde die deutsche Chemie weiterhin mit den heutigen Technologien produzieren, ihre Effizienz durch kontinuierliche Investitionen aber weiter erhöhen. Damit kann sie bis 2050 eine Treibhausgasminderung von 27 Prozent bezogen auf das Niveau von 2020 erreichen.
Sogar 61 Prozent Minderung sind möglich, wenn die Unternehmen im zweiten Technologiepfad zusätzlich stark in neue Prozesstechnologien der Basischemie investieren. Allerdings geht mit diesem Ambitionsniveau bereits ein sehr hoher Bedarf an erneuerbarem Strom von 224 Terawattstunden pro Jahr einher, was der Gesamtstrommenge Deutschlands aus erneuerbaren Energien 2018 entspricht. Das zusätzliche Investitionsvolumen in neue Anlagen liegt bei rund 15 Milliarden Euro.
Noch weitergehende Maßnahmen beschreibt der dritte Pfad Treibhausgasneutralität, der die Lücke zur vollständigen CO2-Minderung schließt: Danach würden neue Prozesstechnologien von den Unternehmen schon dann eingeführt, wenn sie eine CO2-Ersparnis erbringen, selbst wenn sie noch nicht wirtschaftlich sind. Alleine für die Herstellung der sechs in der Studie untersuchten Grundchemikalien müssten die Unternehmen von 2020 bis 2050 rund 45 Milliarden Euro zusätzlich investieren. Der Strombedarf würde ab Mitte der 2030er Jahre zudem noch einmal rasant ansteigen und mit 628 Terawattstunden etwa das Niveau der gesamten heutigen Stromproduktion in Deutschland erreichen.
Notwendige Rahmenbedingungen
Für Klaus Schäfer zeigen die Ergebnisse der Studie, dass eine treibhausgasneutrale Chemie ohne günstige Rahmenbedingungen schwierig umzusetzen ist. Er sagte: "Je ambitionierter die deutsche Chemie das Ziel Treibhausgasneutralität verfolgt, umso stärker steigen die damit verbundenen Kosten und der Strombedarf. Die Politik steht vor der Aufgabe, neue Technologien in allen Phasen von der Entwicklung bis zur Markteinführung zu begleiten. Sie muss zudem die chemische Industrie am Standort Deutschland international wettbewerbsfähig erhalten." Dies kann laut Schäfer entweder über ein globales Klimaschutzabkommen oder durch staatliche Unterstützung geschehen.
Vor allem niedrige Strompreise seien für die Branche auf dem Weg zur Treibhausgasneutralität unabdingbar, sagte Schäfer: "Die neuen Verfahren sind in Deutschland vor 2050 nur bei Stromkosten von 4 Cent pro Kilowattstunde wirtschaftlich. Davon sind wir heute weit entfernt. Die Politik werde daher über die heutigen Entlastungs- und Carbon-Leakage-Regeln hinaus weitere Maßnahmen treffen müssen, um die Stromkosten für die Industrie zu dämpfen." Bereits 50 Prozent höhere Stromkosten - also 6 Cent je Kilowattstunde - würden bei den meisten Verfahren die Wirtschaftlichkeit in einen Zeitraum deutlich nach 2050 verschieben, erklärte Schäfer.