Nach jahrelangem Streit hat sich die Europäische Union im Grundsatz auf eine umfassende Reform der Asyl- und Migrationspolitik geeinigt. Unterhändler des Europaparlaments und der Mitgliedstaaten erzielten am Mittwoch einen Durchbruch, wie die Institutionen in Brüssel mitteilten. Die Reform sieht unter anderem Asylverfahren direkt an den EU-Außengrenzen vor. Deutschland scheiterte mit seiner Forderung, Familien mit Kindern aus humanitären Gründen davon auszunehmen.
Mit der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (Geas) will die Europäische Union nach jahrelangem Streit die Lehren aus den Jahren 2015 und 2016 ziehen, als allein nach Deutschland mehr als eine Million Menschen kamen.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zeigte sich erleichtert über die Einigung: "Sie bedeutet, dass die Europäer entscheiden, wer in die EU kommt und wer bleiben darf, nicht die Menschenhändler. Damit schützen wir diejenigen, die in Not sind." Parlamentspräsidentin Roberta Metsola sprach von der "wichtigsten Einigung" der Legislatur bei einem Thema, das den Bürgerinnen und Bürgern ein Anliegen sei.
In Deutschland besonders umstritten waren die geplanten Grenzverfahren, die Migranten mit geringen Aufnahmechancen an der Weiterreise in die EU hindern sollen. Die Grünen-Spitze war wegen ihrer Zustimmung zu dem Asylpakt massiver Kritik der Basis ausgesetzt. Sie hoffte auf Nachbesserungen durch das Europaparlament, das sich aber in zentralen Punkten nicht gegen die Mitgliedsländer durchsetzen konnte.
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) verteidigte die EU-Einigung als "dringend notwendig und längst überfällig". Zur Wahrheit gehöre aber auch, dass es sich um einen Kompromiss handele. "Bei der pauschalen Ausnahme von Kindern und Familien aus den Grenzverfahren konnten wir uns als Deutschland nicht durchsetzen", räumte sie ein.
Der Grünen-Europaabgeordnete Rasmus Andresen sprach von einer "schwierigen Einigung" und gemischten Gefühlen in seiner Partei. "Ob die jetzige Einigung in der Lage ist, Humanität und Ordnung in der Migrationspolitik herzustellen ist fraglich", erklärte er.
Menschenrechtsorganisationen warnten vor "haftähnlichen Bedingungen" für Migranten in Lagern an den EU-Außengrenzen. Von dort ist es nach der Einigung möglich, Asylbewerber direkt abzuschieben, auch in sogenannte sichere Drittstaaten. Länder wie Italien und Österreich zählen dazu etwa Tunesien oder Albanien. Auch der britische Pakt mit dem afrikanischen Ruanda stößt in der EU auf großes Interesse. In Deutschland fordert vor allem die CDU ein solches Abkommen.
Der Vorsitzende und Fraktionschef der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber (CSU), nannte die EU-Einigung einen "Meilenstein", um die Kontrolle über die Grenzen wiederzuerlangen. Scharfe Kritik kam dagegen aus dem Lager der Linken:
Die Europaabgeordnete Cornelia Ernst (Linkspartei) sprach von einem "historischen Kniefall vor den Rechtspopulisten in Europa". Die Einigung sei "die massivste Verschärfung des Europäischen Asyl- und Migrationsrecht seit Gründung der EU". Auch Parlamentspräsidentin Metsola räumte ein, das Paket sei "nicht perfekt". Es zeige aber die Handlungsfähigkeit der EU.
Die Zeit für eine Verständigung drängte, denn der Asylpakt soll vor der Europawahl Anfang Juni in Kraft treten. Gemäßigte Parteien hoffen, den Rechtspopulisten damit den Wind aus den Segeln nehmen zu können. Meinungsforscher rechnen bei der Wahl mit einem Rechtsruck.
Nun müssen die Mitgliedsländer und das Europaparlament das Paket mit fünf Gesetzestexten noch formell beschließen. Bereits im Tagesverlauf wollten sich die Ständigen Vertreter der Mitgliedsländer damit befassen.
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Stephanie LOB / © Agence France-Presse