Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat zum Jahreswechsel dazu aufgerufen, trotz der vielen Krisen nicht die Zuversicht zu verlieren. Mit gegenseitigem Respekt und Optimismus ließen sich viele Probleme meistern, sagte der Kanzler in seiner traditionellen Neujahrsansprache. Jeder und jede in diesem Land werde gebraucht - "die Spitzen-Forscherin genauso wie der Altenpfleger, die Polizistin genauso wie der Paketbote, die Rentnerin genauso wie der junge Auszubildende", sagte Scholz.
Er fügte hinzu: "Wenn wir uns gegenseitig mit diesem Respekt begegnen, dann brauchen wir keine Angst zu haben vor der Zukunft." Scholz verwies dabei allerdings auch auf die vielen aktuellen Krisen seit der Corona-Pandemie. Er nannte den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, den Engpass bei den Gaslieferungen, "und im Herbst gab es auch noch den brutalen Terrorangriff der Hamas auf Israel".
Die Welt sei "unruhiger und rauer geworden" und "sie verändert sich in geradezu atemberaubender Geschwindigkeit", hob der Kanzler laut vorab verbreiteter Rede hervor. Das werde an Deutschland nicht spurlos vorübergehen. "Auch wir müssen uns deshalb verändern", und "vielen von uns bereitet das Sorgen", sagte Scholz. Damit verbundene Unzufriedenheit nehme er sich zu Herzen. "Und zugleich weiß ich: Wir in Deutschland kommen da durch", äußerte sich der Kanzler zuversichtlich.
Scholz wies darauf hin, dass trotz der Krisen pessimistische Prognosen nicht eingetreten seien. "Weil wir uns gegen den Wirtschaftseinbruch gestemmt haben", sei es anders gekommen. "Die Inflation ist gesunken. Löhne und Renten steigen. Die Gasspeicher sind für diesen Winter randvoll", verwies Scholz auf Erfolge. "Das macht die Herausforderungen unserer Zeit nicht kleiner. Aber das gibt Mut, dass wir ihnen gewachsen sind", sagte er in seiner Rede.
Zwar gebe es Probleme, etwa bei der Bahn oder durch marode Brücken, weil das Land "zu lange auf Verschleiß gefahren" worden sei. Jetzt aber werde investiert in eine saubere Energieversorgung, besseren Klimaschutz und in gute Arbeitsplätze. Dies sei durch das Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts nicht einfacher geworden und nicht alles könne wie geplant umgesetzt werden - gleichwohl aber investiere Deutschland "auch im kommenden Jahr eine Rekordsumme in unsere Zukunft".
Und es gebe Entlastungen, fügte Scholz hinzu. Konkret verwies er auf Steuersenkungen zum Jahreswechsel im Volumen von 15 Milliarden Euro, höheres Kinder- und Wohngeld sowie sinkende Beiträge zur Sozialversicherung "für all diejenigen, die wenig verdienen".
"Stark macht uns auch unsere Demokratie", betonte der Kanzler. Im Osten Deutschlands sei diese vor 35 Jahren durch mutige Frauen und Männer erkämpft worden, für alle sei sie nun "ein kostbares Gut". Zu dieser Demokratie gehörten immer auch Diskussionen über den richtigen Weg. "Nichts wird besser, wenn wir nur übereinander reden, anstatt miteinander. Stark macht uns unsere Bereitschaft zum Kompromiss", hob Scholz hervor, und auch "unser Einsatz füreinander".
Nachdrücklich bekannte sich Scholz zu einer starken Europäischen Union. Als Erfolg wertete er die Einigung auf das neue gemeinsame europäische Asylsystem. Bereits jetzt hätten stärkere Grenzkontrollen dazu geführt, dass "die Zahl derer, die über diese Grenzen kommen, spürbar gesunken" sei.
Eine starke EU sei umso wichtiger vor dem Hintergrund von "Russlands Krieg im Osten unseres Kontinents", der kriegerischen Auseinandersetzung im Nahen Osten und im Vorfeld der US-Präsidentschaftswahlen im kommenden Herbst, "möglicherweise mit weitreichenden Konsequenzen – auch für uns hier in Europa".
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