Angesichts der angespannten Hochwasserlage in Norddeutschland haben Haushaltsexperten der SPD ein erneutes Aussetzen der Schuldenbremse ins Spiel gebracht. Für genau solche Krisenfälle gebe es im Grundgesetz diese Möglichkeit, sagte SPD-Chefhaushälter Dennis Rohde. Regierungssprecher Steffen Hebestreit betonte allerdings am Mittwoch, dass die Bundesregierung aktuell keine Pläne dafür habe. FDP-Haushälter Christian Meyer lehnte die Forderung des Koalitionspartners ab und kritisierte die neuerliche Debatte als "unseriös".
Angestoßen hatten SPD-Politiker die Debatte um ein erneutes Aussetzen der Schuldenbremse am Mittwoch. "Noch ist das gesamte Ausmaß der Flutschäden nicht absehbar, aber für genau solche Fälle haben wir die Möglichkeit, die Schuldenbremse auszusetzen, im Grundgesetz stehen", sagte Rohde dem "Stern". Daran habe auch das Mitte November ergangene Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts nichts geändert.
Das Hochwasser richte immense Schäden an, sagte sein Parteikollege Andreas Schwarz (SPD), Mitglied im Haushaltsausschuss des Bundestages, dem "Spiegel". Schwarz geht davon aus, dass der Bund den Betroffenen helfen werde. Das habe der Kanzler schon signalisiert. "Für diese Kosten könnten wir die Schuldenbremse aussetzen", sagte Schwarz.
Vor allem in Niedersachsen, aber auch in anderen Bundesländern kämpfen die Einsatzkräfte bereits seit Tagen gegen die Wassermassen. "Sicher ist, wir werden die Menschen in den Hochwassergebieten mit den Kosten nicht allein lassen", sagte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, Andreas Audretsch, dem Nachrichtenportal "t-online". "Um die nötigen Mittel zur Verfügung zu stellen, ist selbstverständlich auch die Aussetzung der Schuldenbremse 2024 eine Option."
Die Schäden ließen sich zwar noch nicht abschließend beziffern, sagte Audretsch. Aber: "Die Lage in den Hochwassergebieten ist für viele Menschen dramatisch."
Koalitionspartner FDP hält die Debatte derzeit für fehl am Platz. "Die Menschen in Niedersachsen, die in diesen Tagen das Wasser aus ihren Kellern schöpfen müssen, haben gerade andere Sorgen als die Schuldenbremse", sagte Fraktionschef Christian Dürr den Zeitungen der Mediengruppe Bayern.
Welche finanziellen Belastungen durch das Hochwasser für Länder und Bund entstünden, sei noch nicht absehbar, sagte FDP-Haushälter Meyer bei t-online. "Jeder vorschnelle Ruf nach einem Aussetzen der Schuldenbremse ist unseriös." Ein Unwetterereignis oder eine Naturkatastrophe erfüllten nicht per se die Bedingungen des Grundgesetzes für ein Aussetzen der Schuldenbremse.
Das Grundgesetz setzt enge Grenzen für die Aussetzung der Schuldenbremse. Zulässig ist eine Aussetzung laut Grundgesetz "im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen".
Nach dem Verfassungsgerichtsurteil musste die Ampel-Regierung Ende vergangenen Jahres einen neuen Etat für 2024 aufstellen. SPD und Grüne waren prinzipiell offen für die Aussetzung der Schuldenbremse, die FDP nicht. Die Koalitionäre einigten sich schließlich auf Drängen der Liberalen darauf, die Schuldenbremse einhalten zu wollen.
Für 2023 erklärte der Bundestag im Dezember unter anderem wegen der Flutkatastrophe im Sommer 2021 in Rheinland-Pfalz nachträglich die Notlage und damit das Aussetzen der Schuldenbremse.
Dies angesichts der aktuellen Hochwasserlage zu wiederholen, sei nicht geplant, sagte Regierungssprecher Hebestreit. Die Bundesregierung behalte sich einen solchen Schritt aber abhängig von der weiteren Entwicklung vor. Wenn "ein Schadensereignis von nationalem Ausmaß mit hohen Schadenssummen" zu bewältigen wäre, "würde der Bund sich auch nicht vor seiner Verantwortung drücken", ergänzte Hebestreit. Dafür gebe es "bestehende Mechanismen".
Der Chefhaushälter der Unionsfraktion im Bundestag, Christian Haase (CDU), warf der SPD vor, mit der neuerlichen Forderung die aktuelle Hochwasserlage politisch zu instrumentalisieren. "Für die SPD ist das Hochwasser eine willkommene Gelegenheit, ihre penetrante Forderung nach Aussetzen der Schuldenbremse fortzusetzen", sagte Haase der Nachrichtenagentur AFP. "Bevor eine derartige Forderung in den Raum gestellt wird, sollte man erst einmal eine genaue Schadensanalyse betreiben und die Höhe des Schadens kennen."
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