Die Massendemonstrationen der vergangenen Tage gegen Rechtsextremismus und für Demokratie nennt der Staatsrechtler Christoph Möllers beispiellos in der Geschichte der Bundesrepublik. Es sei sehr ungewöhnlich, „dass Leute für die Ordnung selbst auf die Straße gehen. Normalerweise würde man sagen, Leute demonstrieren gegen etwas oder für ein konkretes politisches Projekt. Aber hier scheint es dann doch so zu sein, dass sehr viele Menschen den Eindruck haben, dass die Ordnung, die wir haben, tatsächlich gefährdet ist, obwohl die ja erst mal da ist und auch nicht völlig instabil wirkt.“ Von der Politik wünscht er sich ein organisiertes Vorgehen, „nicht immer nur Interviews von einzelnen Abgeordneten, sondern vielleicht auch mal eine Stellungnahme, zum Beispiel der Bundesregierung.“
Antrag auf AfD-Verbot nicht ohne öffentliche Debatte
Ein möglicher Antrag auf Verbot der AfD könne nicht ohne öffentliche Debatte gestellt werden, so Möllers. Derzeit werde denjenigen, für die die AfD ein interessantes politisches Angebot sei, nicht ausreichend erklärt, wo die Grenzen lägen, die das Grundgesetz zieht und warum es diese Grenzen gebe. Das müsse „freundlich, demokratisch, kampagnenhaft“ und mit langem Atem erläutert werden. Man könne nicht darum herumreden, dass das Anstrengen eines Parteiverbotsverfahrens gegen die „massiv erfolgreiche Partei“ das Eingeständnis einer großen Niederlage des politischen Prozesses von allen, die daran teilnehmen sei, also von allen Bürgerinnen und Bürgern. Das bedeute nicht, dass man es nicht unbedingt machen solle. Aber man müsse „sich selbst, aber auch dem (Bundesverfassungs)Gericht, erklären, ob man alles andere versucht hat und wie man das bewerkstelligt hat.“ Möllers war Prozessvertreter des antragstellenden Bundesrats im Verbotsverfahren gegen die NPD vor dem Bundesverfassungsgericht.
Ausschluss einer Partei von der Finanzierung nicht einfacher als Verbot
Das Verfahren, in dem eine Partei von der staatlichen Parteienfinanzierung ausgeschlossen wird, sei nicht einfacher als ein Verbotsverfahren, betonte Möllers. Das Verfahren wurde 2017 neu geschaffen, nachdem das Bundesverfassungsgericht die NPD nicht verboten, aber für verfassungsfeindlich erklärt hatte. In dieser Woche hatte das Karlsruher Gericht im Fall des NPD-Nachfolgers „Die Heimat“ das Mittel zum ersten Mal angewendet. Mit der Aussage widersprach Möllers auch dem Bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder. Dieser hatte von dem neuen Verfahren als „unterhalb der Schwelle des schwierigen und langwierigen Verbotsverfahrens“ gesprochen. „Das stimmt nicht“, so Möllers. Trotzdem hält er die Anwendung auch auf die AfD statt eines Verbotsantrags für denkbar. „Das ist politisch vielleicht ein milderes Mittel, vielleicht besser vermittelbar, vielleicht überzeugender, aber juristisch ist es genauso kompliziert.“ Einen Antrag auf Verwirkung von Grundrechten, wie ihn eine Petition gegen den thüringischen AfD-Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke fordert, hält Möllers „für gar keine gute Idee“. Es sei wenig rechtsstaatlich, ein Exempel zu statuieren.
Das Interview führte Gudula Geuther, Korrespondentin im DLF-Hauptstadtstudio.
Der
Deutschlandfunk sendet das Interview mit Prof. Christoph Möllers,
Staatsrechtler, Humboldt-Universität Berlin am Sonntag, 28.01.2024 um
11.05 Uhr.