In der Bundesregierung habe sich mittlerweile die Erkenntnis durchgesetzt, "dass Russland näher an Deutschland heranrückt, wenn wir nicht durchhalten", sagte Selenskyj in einem am Sonntagabend ausgestrahlten Interview, das die ARD-Moderatorin Caren Miosga am Mittwoch mit ihm geführt hatte.
Der ukrainische Staatschef fügte hinzu, ihm scheine, dass Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) "dieses Risiko begreift. Und das bedeutet ganz klar – Dritter Weltkrieg". Ob Russland sich nach einem Sieg über die Ukraine zuerst gegen Deutschland, Polen oder die baltischen Staaten richte, könne er nicht sagen, fügte Selenskyj hinzu.
Der ukrainische Staatschef warb für weitere Hilfen für sein Land. Für die Ukraine sei jede Unterstützung ihrer Partner sehr wichtig, "damit die Ukraine nicht das Gefühl hat, allein zu sein". Deutschland und andere Staaten müssten zeigen, ob die Ukraine aus ihrer Sicht "recht hat und man Russland in die Schranke zurückweisen soll".
Zu dem Gezerre um die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern aus Deutschland an die Ukraine sagte Selenskyj, dies sei "ein Thema" in seinen Gesprächen mit Scholz. Zum Stand der Gespräche wollte er sich nicht weiter äußern. Er hob jedoch hervor, es werde Deutschland "kaum helfen", wenn es wichtige Waffen für sich behalte, statt sie der Ukraine in ihrem gegenwärtigen Kampf gegen Russland zur Verfügung zu stellen.
Selenskyj erinnerte zugleich daran, dass Deutschland Russlands Aggressionen gegen die Ukraine lange Zeit nicht ernst genug genommen habe. "Die deutsche Politik hat mich enttäuscht, die, als die Krim besetzt wurde, nicht die Rolle gespielt hat", die Ukraine, Europa und die Welt "verdient" gehabt hätten, sagte Selenskyj mit Blick auf die Annexion der ukrainischen Halbinsel durch Russland im Jahr 2014.
Am 24. Februar jährt sich der Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine zum zweiten Mal. Selenskyj räumte in dem ARD-Interview die Notwendigkeit ein, Frontsoldaten durch häufigere Ablösungen zu entlasten. Ihm sei klar, dass angesichts der Leistung ukrainischer Soldaten "Dankbarkeit nicht ausreicht", sagte Selenskyj. "Wir brauchen eine gerechte Rotation, sie brauchen Urlaub, denn Geld allein kann das nicht aufwiegen."
Selenskyj verwies darauf, dass ein neues Gesetz für eine häufigere Ablösung von Frontsoldaten in Vorbereitung sei. Die Regierung in Kiew reagiert damit auf wiederholte Proteste von Angehörigen der Frontsoldaten, die eine Entlastung der Kämpfer fordern.
yb © Agence France-Presse
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