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Keine Toleranz für FGM - Weibliche Genitalverstümmelung

Eine Bedrohung für 12.000 Mädchen – jeden Tag

Fast 4,4 Millionen Mädchen sind im Jahr 2024 in Gefahr, an ihren Genitalien verstümmelt zu werden, das sind nach Schätzungen des Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA) mehr als 12.000 Mädchen jeden Tag.

„Diese schädliche Praxis ist inzwischen in fast allen Ländern per Gesetz verboten, wird trotzdem in vielen Regionen weiterhin praktiziert und viel zu wenig bekämpft“, erklärt Angela Bähr, stellvertretende Geschäftsführerin der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung (DSW), anlässlich des Internationalen Tages gegen weibliche Genitalverstümmelung. Aktuell leben weltweit geschätzt 200 Millionen betroffene Mädchen und Frauen mit oft schwerwiegenden gesundheitlichen Schäden und starken physischen wie psychischen Beeinträchtigungen.


Es gibt es auch wenige positive Entwicklungen. So ist zum Beispiel in Kenia die Zahl der Frauen und Mädchen zwischen 15 und 49 Jahren, die eine Genitalverstümmelung erleiden mussten, in den vergangenen Jahren von 38 Prozent (1998) auf 15 Prozent gesunken (2022) (Quelle: Demographic and Health Surveys). Doch ist zugleich zu beobachten, dass die betroffenen Mädchen immer jünger werden. In Kenia ist ihr Durchschnittsalter nach Angaben von UNFPA (https://www.unfpa.org/sites/default/files/pub-pdf/FGM-AR2021.pdf) von zwölf auf neun Jahre gesunken. Auch ein Bericht von UNICEF (https://www.unicef.org/esa/media/8866/file/The-Medicalization-of-FGM-2021.pdf) , der außerdem besagt, dass in Kenia und Äthiopien die Verstümmelungen immer häufiger von medizinischem Fachpersonal durchführt werden, macht deutlich, dass die gesetzlichen Verbote leider zu wenig bewirken.


„Es handelt sich hier um eine tief verwurzelte Tradition“, erklärt Angela Bähr. „Um sie wirksam zu bekämpfen braucht es vor allem Aufklärung und die Zusammenarbeit aller gesellschaftlichen Sektoren.“ Mädchen wie auch Jungen müssten lernen, was diese schädliche Praxis im weiblichen Körper anrichtet und dass sie eine eklatante Menschenrechtsverletzung darstellt. In vielen Regionen gilt die Genitalverstümmelung immer noch als Voraussetzung für eine traditionelle Eheschließung. „Oft auch aus wirtschaftlicher Not heraus sehen sich die Familien gezwungen, die Mädchen immer früher zu verheiraten“, erklärt Bähr. Mädchen werden unter dem Schein einer medizinischen Behandlung sehr früh beschnitten.


Die DSW betreibt in ihren Jugendklubs in Ostafrika intensive Aufklärungsarbeit, und sucht zugleich das Gespräch mit religiösen, gesellschaftlichen und politischen Vertreter*innen. „Nur im Zusammenspiel von Bildung und Aufklärung, dem Abbau von Tabus und nicht zuletzt der effektiven Umsetzung von Gesetzen können wir den Kampf gegen die weibliche Genitalverstümmelung gewinnen.“


Der 6. Februar ist der internationale Tag gegen weibliche Genitalverstümmelung. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass weltweit 200 Millionen beschnittene Mädchen und Frauen leben. Jedes Jahr kommen drei Millionen hinzu. Was hat es mit der Praxis auf sich? Hat sie etwas mit Religion zu tun? Und was kann man dagegen tun? Hier sind fünf Fragen und fünf Antworten zu weiblicher Genitalverstümmelung.

1. Warum Verstümmelung und nicht Beschneidung?

Bis in die 80er Jahre hinein wurde noch häufig von weiblicher Beschneidung gesprochen. Entwicklungsorganisationen und Aktivist*innen drängten jedoch darauf, den Begriff durch „Genitalverstümmelung“ zu ersetzen. Die Verwendung des Begriffs Genitalverstümmelung soll klar zeigen, dass bei dem Eingriff das Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit verletzt wird.

Wenn es nicht um die grausame Praktik selbst, sondern um die Betroffenen geht, sprechen wir aus Respekt von beschnittenen und nicht verstümmelten Frauen.

2. Was passiert bei der Genitalverstümmelung?

Pauschal lässt sich das nicht sagen, denn es gibt viele Formen der Genitalverstümmelung (siehe Abbildung), die auch unterschiedlich durchgeführt werden. Die mit Abstand gefährlichste Form ist die pharaonische Genitalverstümmelung, die normalerweise von traditionellen Beschneiderinnen durchgeführt wird.

Meist sind die Mädchen jünger als 15 Jahre, wenn ihnen mit einem unsterilisierten Messer, einer Rasierklinge oder Glasscherbe der Genitalbereich amputiert wird. Eine Betäubung bekommen die meisten nicht. Nachdem die Wunde vernäht wurde, bleibt ihnen nur eine kleine Öffnung für Urin und Menstruationsblut. Für etwa einen Monat werden ihnen die Beine verbunden, damit die Wunde heilen kann. Viele Mädchen und Frauen verbluten dabei oder sterben später an den Folgen, wie beispielsweise Wundstarrkrampf oder Tetanus. Doch auch wer den Eingriff überlebt, leidet meist unter schweren körperlichen Folgen wie Fistelbildung, Inkontinenz, Schmerzen beim Wasserlassen, Infektion der Harnwege oder des Reproduktionstrakts und vieles mehr. Nicht zuletzt erhöht sich auch das Risiko einer HIV-Infektion.

In einigen Ländern wird die Genitalverstümmelung unter hygienischen Bedingungen von Gesundheitspersonal durchgeführt. Doch der Eingriff ist und bleibt eine Menschenrechtsverletzung, die von den Vereinten Nationen und Menschenrechtsorganisationen entschieden abgelehnt wird. Körperliche und psychische Beschwerden begleiten die Frauen oft ein Leben lang.

3. Ist Genitalverstümmelung eine islamische Praxis?

Häufig heißt es, Genitalverstümmelung komme aus dem Islam. Diese Behauptung stimmt jedoch nicht. Im Koran heißt es in Sure 95,4: „Wahrlich, wir haben den Menschen in bester Form erschaffen.“ Im vorwiegend christlichen Äthiopien sind ca. 65 Prozent und in Sierra Leone sogar 86 Prozent der Mädchen und Frauen zwischen 15 und 49 Jahren beschnitten. Die Religion wird zwar oft als Grund vorgeschoben, auch von den religiösen Meinungsführer*innen selbst, doch es ist vielmehr eine traditionelle Praktik, die vor allem in Ländern Afrikas und Asiens durchgeführt wird und älter ist als Islam oder Christentum. Dies belegen unter anderem mumifizierte Körper pharaonischer Prinzessinnen.

4. Warum wird die Genitalverstümmelung durchgeführt?

Weibliche Genitalverstümmelung ist Teil eines Übergangsrituals vom Mädchen zur Frau. Es passiert jedoch nicht immer im Jugendalter. Denn damit sich die Mäd­chen nicht dazu äußern können oder sogar von den vielerorts bestehenden Gesetzen Gebrauch machen, wer­den sie häu­fig schon in ganz jun­gen Jah­ren beschnitten.

Es ist eine Tradition, die tief in den Vorstellungen von Weiblichkeit und Männlichkeit verwurzelt ist. In der ostafrikanischen Volksgruppe Massai gelten unbeschnittene Frauen beispielsweise als unrein und damit für den Heiratsmarkt als wertlos. Und noch ein Aspekt spielt eine wichtige Rolle: Da der Geschlechtsverkehr für die meisten beschnittenen Frauen große Schmerzen mit sich bringt, soll es sie davor „schützen“ ihren Ehemann zu betrügen.

Wenn die Rolle der Ehefrau für ein Mädchen die einzige Perspektive ist, ist die Heiratsfähigkeit (und damit die Genitalverstümmelung) für Eltern auch eine Form der Absicherung ihrer Tochter. Für die Fortführung dieser Begründung spielen auch die Frauen in den Gemeinden eine wichtige Rolle: Der Eingriff wird unter Ausschluss von Männern durchgeführt und häufig von der eigenen Mutter forciert.

5. Was kann man dagegen tun?

Aufklärung! Und außerdem: Frauen stärken, Frauen stärken und nochmals Frauen stärken. Denn wenn Frauen gleichberechtigt an der Gesellschaft teilnehmen, ihr eigenes Einkommen verdienen und damit auch finanziell unabhängig sind, wird dieser Tradition eine wichtige Grundlage genommen. Wenn ihr Recht auf Unversehrtheit sowie körperliche und sexuelle Selbstbestimmung gewahrt wird, können sie sich entfalten und zu Fürsprecherinnen ihrer eigenen Bedürfnisse werden.

Auch Jungen und Männer müssen ausführlich über die Konsequenzen weiblicher Genitalverstümmelung aufgeklärt werden, denn als Freunde, Söhne, Ehemänner, Väter wird auch ihr Leben beeinflusst, wenn Mädchen und Frauen Infektionen, Schmerzen, Albträume und Angstzustände durchleben. Sex tut den Frauen oft weh oder ist gar nicht möglich. Auch das Kinderkriegen wird durch eine Genitalverstümmelung beeinträchtig oder unmöglich gemacht. Darüber hinaus fällt es Betroffenen häufig schwer, anderen Personen zu vertrauen. Kurzum: Wenngleich viele Männer den Eingriff befürworten und für eine Heirat voraussetzen – am Ende profitieren auch sie nicht davon. Da ihnen das möglicherweise gar nicht bewusst ist, müssen sie dringend in Aufklärungskampagnen mitgedacht und einbezogen werden. Und die Erfolgsquote ist hoch: In Äthiopien, Kenia und Tansania lehnen neun von zehn Jungen und Männern, die über weibliche Genitalverstümmelung informiert wurden, die Praktik ab.

Um eine Beendigung der Praktik zu erreichen, müssen sich außerdem die lokalen Autoritäten wie Dorfvorsteher, religiöse Meinungsführer*innen und Gesundheitspersonal stark machen. Informationen, Diskussionen und kritische Reflexion gehören also genauso dazu, wie der Erlass von Gesetzen. Das kann sich auch in alternativen Zeremonien für Mädchen ausdrücken, die zwar den Übergang zum Erwachsenwerden markieren, aber die Mädchen nicht verletzen.

Ein wichtiger Dreh- und Angelpunkt ist auch die Beschneiderin: Zum einen kann sie mit diesen Zeremonien ihren Lebensunterhalt sichern. Zum anderen ist sie hierdurch ein angesehenes Mitglied ihrer Gemeinschaft. Wenn sie Zugang zu anderer Arbeit sowie zu Informationen über Genitalverstümmelung bekommt, kann sie zu einer wirkungsvollen Advokatin gegen die Praktik werden.

Dieser Beitrag ist  erstmals am 04.02.2019 erschienen und wurde aktualisiert.


Über die DSW

Die Deutsche Stiftung Weltbevölkerung (DSW) ist eine international tätige Entwicklungsorganisation. Ihr Ziel ist es, zu einer zukunftsfähigen Bevölkerungsentwicklung beizutragen. Daher unterstützt sie junge Menschen dabei, selbstbestimmte Entscheidungen über ihre Sexualität und Verhütung zu treffen. Gleichzeitig bringt sie sich auf nationaler und internationaler Ebene in politische Entscheidungsprozesse in den Bereichen Gesundheit, Familienplanung und Gleichstellung der Geschlechter ein.

Deutsche Stiftung Weltbevölkerung (DSW)


Bild: DSW-Jugendberaterin Miriam Chebet aus West Pokot County, Kenia


Hannover, 6. Februar 2024