- Charite Berlin -
Die Amöbe Entamoeba gingivalis besiedelt in hoher Anzahl die Mundhöhle
der meisten Patienten mit schweren, mitunter wiederkehrenden
Zahnfleischentzündungen. Sie ist eine Verwandte der im Darm die
Amöbenruhr auslösenden Entamoeba histolytica und verhält sich ähnlich.
Der Parasit dringt in das Zahnfleischgewebe ein, ernährt sich dort von
Zellen – das Gewebe wird zerstört. Wie im Fachmagazin Journal of Dental Research* jetzt beschrieben, ist nicht nur die Invasionsstrategie beider Amöben vergleichbar, sondern auch die Immunantwort des Körpers.
Die Parodontitis ist eine Entzündung des Zahnhalteapparates und zählt
zu den häufigsten chronischen Erkrankungen. In Deutschland leiden etwa
15 Prozent der Menschen an einer besonders schweren Form dieser
Volkskrankheit. Unbehandelt führt Parodontitis zum Zahnverlust, sie
begünstigt aber auch Arthritis, Kreislauf- und Krebserkrankungen.
Während die bakterielle Vielfalt der Mundhöhle abnimmt, steigt die
Häufigkeit von Entamoeba gingivalis (E. gingivalis) bei einer schweren
Parodontitis sehr stark an. Nun konnte das Team um Prof. Dr. Arne
Schäfer, Leiter der Forschungsabteilung für Parodontologie am Institut
für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde der Charité, zeigen, wie die orale
Entzündung mit einer Kolonisierung der mundspezifischen Amöbe E.
gingivalis einhergeht.
Das krankheitserregende Potenzial dieser
Amöbengattung ist bereits durch die Darmamöbe E. histolytica gut
bekannt. Diese verursacht die sogenannte Amöbenruhr, eine der weltweit
häufigsten Todesursachen durch Parasiten. „Wir haben nachgewiesen, dass
auch eine die Mundhöhle besiedelnde Amöbe wie E. gingivalis in die
Schleimhaut eindringt und dort das Gewebe zerstört. In der Folge können
vermehrt Bakterien eintreten und die Entzündung und Gewebezerstörung
weiter verstärken“, sagt Prof. Schäfer. Wie genau die Amöbe E.
gingivalis zum Entzündungsgeschehen beiträgt, hat das internationale
Forschungsteam nun erstmals beschrieben. Die Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler untersuchten entzündete Zahnfleischtaschen und fanden
die Amöben bei etwa 80 Prozent der Patienten, aber nur bei 15 Prozent
der gesunden Probanden. Sie konnten beobachten, dass die Parasiten in
das Zahnfleisch eindringen, sich dort fortbewegen und die Wirtszellen
töten, indem sie den Inhalt der Zellen in sich aufnehmen.
Zellkulturexperimente zeigten zudem, dass eine Infektion mit E.
gingivalis das Wachstum von Zellen verlangsamt und schließlich zum
Zelltod führt.
Die Forschenden kommen zu dem Schluss, dass die
Rolle der Amöben während des Entzündungsprozesses deutliche Parallelen
zur Entstehung einer Amöbenruhr aufweist. „E. gingivalis trägt im
Zahnfleisch aktiv zur Gewebszerstörung bei und aktiviert dieselben
Abwehrmechanismen des menschlichen Wirtes wie E. histolytica während der
Invasion in die Darmschleimhaut“, erklärt Prof. Schäfer. „Der durch
einfache Tröpfcheninfektion übertragbare Parasit ist somit ein möglicher
Verursacher schwerwiegender oraler Entzündungskrankheiten.“
Oft sind die Heilungserfolge der Parodontitis nur von geringer Dauer.
Ursache könnte das hohe krankheitserregende Potenzial dieser bisher
unbeachtet gebliebenen, aber äußerst häufigen Amöbe sein. „Wir haben
einen infektiösen Parasiten identifiziert, dessen Beseitigung die
Behandlung schwerer Entzündungen des Zahnfleisches gezielt und
möglicherweise langfristig verbessern könnte“, resümiert Prof. Schäfer.
„Bislang werden weder die Infektion noch die erfolgreiche Eliminierung
dieses Parasiten in der Therapie einer Parodontitis berücksichtigt.“
Aktuell soll eine klinische Studie klären, in welchem Umfang die
Parodontitis durch eine Beseitigung der Amöben besser behandelt werden
kann.
Prof. Dr. Arne Schäfer
Entamoeba gingivalis. Foto: Schäfer/Charité