FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai gab der „Welt“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Thorsten Jungholt:
Frage: Herr Djir-Sarai, die Union beantragt an diesem Donnerstag zum dritten Mal eine Abstimmung im Bundestag über die Lieferung des Marschflugkörpers Taurus an die Ukraine. Wie werden Sie votieren?
Djir-Sarai: Ich werde dagegen stimmen. Das Thema ist viel zu groß, um damit im Bundestag innenpolitische Geländegewinne erzielen zu wollen. Das ist unangemessen. Außerdem wird ein einzelnes Waffensystem wie der Taurus den Ausgang des Krieges in der Ukraine nicht entscheidend beeinflussen. Mir ist wichtiger, dass Deutschland sich um Fortschritte bei der Munitionsversorgung kümmert.
Frage: Verstehen Sie den Unmut in der Union und auch bei einigen Abgeordneten der Koalition, die sagen: Wir beschließen im Bundestag als Ampel-Fraktionen einen Antrag, weitreichende Waffensysteme zu liefern. Und wenig später sagt der Kanzler: Taurus gehört aber nicht dazu.
Djir-Sarai: Ich kann jene verstehen, die sagen, dass Taurus in den neuen Lieferungen beinhaltet sein sollte. Aber ich kann auch die Position des Kanzlers verstehen. Mir ist ein Regierungschef ganz lieb, der gerade bei Themen wie Krieg und Frieden besonnen agiert – auch wenn ich persönlich beim Taurus eine andere Meinung habe. Es ist ärgerlich, wenn die Union dieses Thema für parteipolitische Zwecke missbraucht.
Frage: Wird sich die FDP-Fraktion geschlossen an den Koalitionsvertrag halten?
Djir-Sarai: Ja, selbstverständlich. Es ist bekannt, dass Marie-Agnes Strack-Zimmermann für den Unionsantrag stimmen wird. Aber es ist auch jedem klar, dass es der Union nicht um die Ukraine geht, sondern einzig um Parteitaktik. Vor dem Hintergrund der ernsten Situation in Europa ist das schäbig.
Frage: Der Kanzler zwingt die Ampel in dieser Frage mit seiner Richtlinienkompetenz auf Kurs. Sollte er das öfter tun?
Djir-Sarai: Ich bin davon überzeugt, dass gerade in einer Koalition mit so unterschiedlichen Akteuren die Suche nach gemeinsamen Lösungen grundsätzlich im Vordergrund stehen sollte.
Frage: Eine gemeinsame Lösung will die Ampel auch beim Demokratiefördergesetz finden. Machen Sie da mit als FDP-Fraktion?
Djir-Sarai: Ich sehe für ein Gesetz, wie es Familienministerin Paus vorschwebt, keine Notwendigkeit. Ihre Pläne gehen zu weit und haben mit der Förderung der Demokratie nichts zu tun.
Frage: Ist es klug, dass sich einzelne Abgeordnete Ihrer Fraktion an den Themen wie Taurus oder Demokratiefördergesetz abarbeiten – oder sollte die FDP ihre Energie nicht dafür einsetzen, was der Finanzminister eine „Wirtschaftswende“ nennt?
Djir-Sarai: Die Wirtschaftswende ist zweifellos von immenser Bedeutung für unser Land. Ohne sie wird die Bewältigung all der Herausforderungen, vor denen wir stehen, nicht zu finanzieren sein: Die durch die Veränderung der europäischen Sicherheitsarchitektur nötig gewordene Erhöhung des Wehretats. Die Unterstützung der Ukraine. Die Forderung der USA, dass sich die Europäer verstärkt selbst um ihre Sicherheit zu kümmern haben – unabhängig davon, wer ab nächstem Jahr im Weißen Haus sitzt. Die Grundlage, um alle diese Herausforderungen zu lösen, ist eine starke deutsche Wirtschaft. Ich darf daran erinnern: Die Sowjetunion ist nicht militärisch besiegt worden. Sie ist besiegt worden durch die wirtschaftliche Stärke des Westens. Auch innenpolitisch ist die Wirtschaftswende zentral: Wer die ökologische Transformation will, wer funktionierende soziale Sicherungssysteme will, der braucht eine starke wirtschaftliche Grundlage. Das sage ich auch ganz klar an die Adresse unserer Koalitionspartner gerichtet.
Frage: Was stellen Sie sich denn konkret unter „Wirtschaftswende“ vor?
Djir-Sarai: Wenn wir spätestens 2025 den Aufschwung wollen, müssen wir jetzt die Rahmenbedingungen setzen, damit der Wirtschaftsstandort Deutschland fit gemacht wird für die Zukunft. Über ein Jahrzehnt haben wir von der Substanz gelebt und nötige Reformen versäumt. Jetzt stellen wir fest, dass andere Industrienationen besser aus der Krise gekommen sind als wir. Es ist offensichtlich, dass die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft gestärkt werden muss.
Frage: Wie?
Djir-Sarai: Private Investitionen sind derzeit in Deutschland nicht attraktiv. Unternehmen treffen Investitionsentscheidungen immer häufiger gegen unseren Wirtschaftsstandort, wir erleben eine Industrieverlagerung. Also muss das Hochsteuerland Deutschland etwas verändern. Steuern, Abgaben, Solidaritätszuschlag: Das sind die Themen, an die wir ran müssen. Dazu die überbordende Bürokratie. Das Kabinett hat hierfür gerade ein wichtiges Entlastungsgesetz auf den Weg gebracht, da muss es nun weitere Schritte geben. Ein großer Teil der Bürokratie kommt inzwischen aus Brüssel. Auch hier müssen wir ansetzen. Deswegen haben wir die unverhältnismäßige EU-Lieferkettenrichtlinie aufgehalten.
Frage: Wie wollen Sie Steuersenkungen oder die Abschaffung des Soli finanzieren?
Djir-Sarai: Der deutsche Staat hat wahrlich kein Einnahmeproblem. Das Problem sind die Ausgaben, die kontinuierlich ansteigen. Wir müssen die Schuldenbremse einhalten und wollen gleichzeitig die Steuern senken, also müssen wir über das Thema Haushaltskonsolidierung reden. Das bedeutet auch, dass wir uns ehrlich machen müssen über das Ausmaß des Sozialstaates – und zwar nicht erst in den nächsten Jahren, sondern jetzt. Mir geht es dabei nicht um Kürzungen. Sondern schlicht darum, in den kommenden drei, vier Jahren keine zusätzlichen Sozialleistungen einzuführen. Damit wäre schon viel gewonnen. Wir brauchen ein Moratorium für Sozialleistungen.
Frage: Die Sozialausgaben steigen durch Inflationsanpassungen oder Kopplung an die Löhne doch automatisch.
Djir-Sarai: Natürlich müssen wir auch an Berechnungsmethoden ran, zum Beispiel beim Bürgergeld. Mir geht es aber zunächst um eine grundsätzliche Erkenntnis: Der moderne Sozialstaat muss nicht nur gerecht sein gegenüber denjenigen, die Hilfe beziehen, sondern auch gegenüber denjenigen, die diese Hilfe überhaupt erst möglich machen durch ihre Steuerzahlungen. Themen wie das Lohnabstandsgebot, die Treffsicherheit von Transferzahlungen oder Anreize zum Übergang in den regulären Arbeitsmarkt dürfen nicht ausgeklammert werden.
Frage: Wie wollen Sie als der kleinste Koalitionspartner SPD und Grüne überzeugen?
Djir-Sarai: In der Analyse der Situation im Land sind die Sichtweisen weitgehend deckungsgleich. Denken Sie an die Äußerungen des grünen Wirtschaftsministers zur Lage unserer Wirtschaft. Entscheidend sind nun die Schlussfolgerungen. Wir haben bei der Finanzpolitik ein anderes Staatsverständnis als unsere Koalitionspartner. Für uns ist das Geld der Bürgerinnen und Bürger keine beliebige Verteilungsmasse. Wir haben Respekt vor dem, was die Steuerzahler erwirtschaften. Die Schlussfolgerung, dass wir zur Überwindung unserer wirtschaftlichen Schwäche jetzt massiv Schulden machen oder weitere Sondervermögen auflegen müssten, ist daher kein Ansatz, der mit der FDP zu machen ist.
Frage: Das ist aber genau der Ansatz, auf den SPD und Grüne dringen. Wie könnte denn ein Kompromiss aussehen? In der Fraktion zirkuliert die Idee, als Zeichen des Entgegenkommens sehr hohe Einkommen zu belasten, ohne den Mittelstand zu beschädigen.
Djir-Sarai: Die Lösung ist das kleine Einmaleins der Volkswirtschaftslehre. Wachstum kann nicht erreicht werden durch das Aussitzen von Problemen oder durch Gesundbeten. Unser Ziel ist es, den Wohlstand in Deutschland zu sichern und zu mehren. Dafür sind entschlossene Maßnahmen beim Arbeitsmarkt, der Bürokratiebelastung, der Besteuerung und beim Sozialstaat notwendig, um eine Trendumkehr zu erreichen. Steuererhöhungen, wie auch immer man sie umschreibt, gehören nicht dazu.
Frage: Sehen Sie die Kraft in dieser Koalition, sich auf ein Maßnahmenpaket zu verständigen?
Djir-Sarai: Wir als FDP haben diese Kraft. Und wir haben sehr konkrete Vorstellungen, wie man die Wirtschaft und das Land jetzt stärken muss. Die notwendigen Reformen können wir nur in der Bundesregierung umsetzen.
Frage: Könnte die gewünschte „Wirtschaftswende“ in Verbindung mit den Haushaltsverhandlungen zu einem neuen Lambsdorff-Papier dieser Koalition werden? 1982 hat die FDP eine Koalition beendet, weil ihr Wirtschaftsminister seine Vorstellungen nicht durchsetzen konnte.
Djir-Sarai: Diese historischen Vergleiche helfen nicht. Ich bin davon überzeugt, dass in dieser Koalition inzwischen jeder versteht, dass wir in Deutschland bessere Rahmenbedingungen für unseren Wirtschaftsstandort schaffen müssen. Wir haben es hier schlicht mit Notwendigkeiten zu tun, die nicht wegzudiskutieren sind. Deutschland muss wieder auf Kurs kommen. Und das kann man nicht durch ein bisschen Kleinklein hier und dort erreichen. Es braucht einen großen Wurf.
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