Die israelische Armee wird nach den Worten von Regierungschef Benjamin Netanjahu ihre angekündigte Offensive in Rafah ѡ im Gazastreifen nicht starten, solange dort Zivilisten festsitzen. Dies sagte Netanjahu am Sonntag nach einem Treffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Dieser forderte Israel zur Bereitschaft auf, eine "länger dauernde Waffenruhe" einzugehen.
Das israelische Ziel sei weiter, "die verbleibenden Terroristen-Bataillone in Rafah zu eliminieren", sagte Netanjahu bei einem gemeinsamen Pressetermin mit Scholz. Dies werde Israel aber nicht tun, "während wir die Bevölkerung an Ort und Stelle festhalten".
Scholz warnte erneut eindringlich vor einer israelischen Offensive in Rafah, wohin in den vergangenen Monaten hunderttausende Bewohner des Gazastreifens geflohen sind. Er verwies darauf, dass in der Stadt im Südwesten des Küstengebiets mittlerweile 1,5 Millionen Menschen auf engstem Raum lebten, die geschützt werden müssten. "Wohin sollen sie gehen?", fragte Scholz.
Die Zahl der zivilen Opfer im Gazastreifen sei nach fünf Monaten Krieg bereits "äußerst hoch, manche würden sagen, viel zu hoch", betonte Scholz. Er habe gegenüber Netanjahu "als Freund Israels meine Bedenken zur Entwicklung dieses Krieges zum Ausdruck gebracht". Am Vormittag hatte er bereits gewarnt, ein groß angelegter Militäreinsatz in Rafah mit vielen Todesopfern würde "jede friedliche Entwicklung in der Region sehr schwer machen".
Netanjahu hatte am Freitag Pläne für eine Offensive in Rafah gebilligt. Beobachter warnen vor verheerenden Folgen eines solchen Angriffs für die Zivilbevölkerung. Auch die USA warnen vor einem Militäreinsatz in Rafah und pochen auf "glaubwürdige" Vorschläge ihres Verbündeten Israel für den Schutz von Zivilisten in der Stadt.
Scholz pochte auch auf eine deutliche Verbesserung humanitärer Hilfe. "Wir können nicht zusehen, wie die Palästinenser verhungern", sagte er. "Es ist viel mehr humanitäre Hilfe nötig, dauerhaft, verlässlich."
Der Kanzler forderte Israel gleichzeitig auf, zu Gesprächen über eine friedliche Lösung bereit zu sein. "Wir brauchen ein Geisel-Abkommen mit einer länger dauernden Waffenruhe", sagte Scholz. Er wisse aber, "wie schwierig es ist, dies mit Hamas-Terroristen zu erreichen".
Der Krieg im Gazastreifen war durch den Großangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober ausgelöst worden, bei dem nach israelischen Angaben etwa 1160 Menschen getötet sowie rund 250 weitere als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt wurden. Israel geht seither massiv militärisch im Gazastreifen vor. Dabei wurden nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums, die sich nicht unabhängig überprüfen lassen, bisher mehr als 31.600 Menschen getötet.
Martin TRAUTH / © Agence France-Presse