Auf dem Bundesparteitag der FDP hat Parteichef Christian Lindner eine Umkehr in der Wirtschaftspolitik gefordert. Die Bundesregierung müsse nun den "Mut zu Veränderung" zeigen, um mehr Wachstum zu ermöglichen, sagte der Bundesfinanzminister am Samstag vor den Delegierten in Berlin. "Unser Land steht sich zu oft selbst im Weg", kritisierte er. Lindner forderte die Koalitionspartner zu Gesprächen über das Zwölf-Punkte-Programm der FDP für eine "Wirtschaftswende" auf. Wer Kritik an den Vorschlägen der FDP übe, müsse eigene Vorschläge vorlegen.
"Wir sind bereit zu diskutieren", sagte Lindner. "Für eines aber sind wir nicht offen: dass sich gar nichts ändert." Der FDP-Chef verteidigte das Programm seiner Partei zur Wirtschaftswende, das bei den Koalitionspartnern SPD und Grüne auf scharfe Ablehnung stieß. "Die Wirtschaftswende ist nicht ein Projekt der Freien Demokraten", sagte Lindner. "Sie muss ein Projekt dieses Landes sein."
In seiner Rede positionierte Lindner die FDP als Triebkraft für eine wachstumsfreundlichere Politik in der Koalition. Mehr Wachstum sei nötig, um die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, um die wachsenden Kosten für Verteidigung und Sicherheit zu stemmen, um den Sozialstaat zu erhalten und um die Akzeptanz der Demokratie zu sichern.
Das FDP-Papier zur Wirtschaftswende enthält allerdings Punkte, die für FDP und Grüne unannehmbar sind: die Abschaffung der Rente mit 63, Kürzungen beim Bürgergeld und das Aus der staatlichen Förderung für erneuerbare Energie.
Offene Kritik an den Koalitionspartnern vermied Lindner in seiner rund 70-minütigen Rede. Diese Aufgabe übernahm sein Stellvertreter Wolfgang Kubicki: Dieser stellte den Fortbestand der "Ampel" in Frage, sollten SPD und Grüne nicht in Gespräche über eine Ankurbelung der Wirtschaft eintreten. "Wenn nicht darüber gesprochen wird, gibt es auch keine Zukunft dieser Koalition."
Kubickis Kritik galt vor allem den Grünen, denen er vorwarf, den Zustand der Konjunktur zu beklagen, aber nichts zur Verbesserung beizutragen. "Ich kann nur davor warnen, den Grünen in der öffentlichen Debatte zu trauen", sagte er.
Lindner zeichnete zweieinhalb Jahre nach dem Regierungseintritt der FDP ein kritisches Bild der wirtschaftlichen Lage. Im internationalen Vergleich sei das Land in Bereichen wie Wettbewerbsfähigkeit und Wachstumspotenzial zurückgefallen. Dies erfordere einen Kurswechsel.
Wachstum sei "kein Selbstzweck", sondern habe "einen tieferen Sinn", betonte Lindner mit Blick auf geopolitische Krisen auf der Welt. Die militärische Unterstützung der Ukraine und die Finanzierung der deutschen Wehrausgaben könne langfristig "nicht auf Pump erfolgen", sagte er. "Dafür brauchen wir unsere Wirtschaftsleistung."
Die Wirtschaft müsse auch deshalb weder wachsen, damit die "spitzenmäßigen Sozialleistungen" und der "spitzenmäßge Lebensstandard" gehalten werden können, sagte Lindner. Wenn die Wirtschaft schwächele, wüchsen die Abstiegsängte in der Bevölkerung - was wiederum die AfD stärke. "Die Wirtschaftswende ist das beste Demokratiefördergesetz, das man haben kann", sagte Lindner. "Wachstumfreundliche Politik ist ein Gebot sozialer Gerechtigkeit."
Die eigentlich von der Koalition vereinbarte Einführung der Kindergrundsicherung stellte Lindner in Frage. Die Pläne von Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) hätten "den Status der Absurdität erreicht", weil sie Bürokratie stärkten und Eltern den Anreiz zum Arbeiten nähmen, sagte er. Der FDP-Chef unterbreitete einen Gegenvorschlag: "Wäre es nicht besser, diese Milliarden einzusetzen in mehr qualitätsvolle Kinderbetreuung, damit niemand mehr gegen seinen Willen in Teilzeit verbleiben muss?"
Angesichts der schlechten Umfragewerte für die FDP und die Koalition als Ganze sprach Lindner den Delegierten Mut zu. Ihre Rolle als marktwirtschaftliches Korrektiv werde die FDP trotz allen Gegenwinds nicht aufgeben, bekräftigte er. Die Positionen seiner Partei müssten aber besser erklärt werden. "Umso mehr kommt es für jeden von uns darauf an, deutlich zu machen, dass wir nichts aufgegeben haben von unseren Überzeugungen."
pw/bk Peter WÜTHERICH und Alexander HOLECEK / © Agence France-Presse
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