Schönen Dank für die Einladung und für die Gelegenheit, ein paar Worte zu sagen! Aber bevor ich das tue im Hinblick auf das, was ich mir vorgenommen habe, will ich noch ein paar Worte zu den Fragen sagen, die angesprochen worden sind.
Zunächst einmal: Ich war in meinem Leben, bevor ich von Beruf Politik gemacht habe, was erst mit 40 Jahren der Fall gewesen ist, viele Jahre Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht. Deshalb kann sich jeder die gute Antwort auf diese Frage vorstellen.
Ich bin ein großer Fan von Tariflöhnen, und
zwar solchen, die ordentlich ausgehandelt und gut bemessen sind, das
gehört selbstverständlich mit dazu. Das gilt dann auch für meine eigenen
Beschäftigungsfragestellungen.
Die zweite Frage: Wer kann mich
aus der Ruhe bringen? ‑ Das kann man so und so sehen. Das geht ja auch
im positiven Sinne, also freundlich, aufmunternd und nach vorn
gerichtet. Meine Frau.
Was meine Arbeitszeit betrifft, ist die
45-Stunden-Woche in der Tat etwas, was ich fast als Freizeit empfinden
würde. Aber ich denke, es steht jedem Bürger zu, das von dem
Regierungschef des Landes mit 84 Millionen Einwohnern auch so zu
erwarten. Selbstverständlich habe ich persönlich vor, freiwillig weit
über das gesetzliche Renteneintrittsalter hinaus zu arbeiten, was nichts
daran ändert, dass ich natürlich dagegen bin, das gesetzliche
Renteneintrittsalter anzuheben, weil ich denke, dass das zwei
verschiedene Dinge sind. Übrigens hat das auch viel mehr kalkulatorische
Aspekte, nämlich die Frage, wie hoch die Rente eigentlich ist, als die
Frage, wann man das konkret macht. Immerhin eine Sache ist uns
diesbezüglich in den vergangenen zwei Jahrzehnten gelungen, nämlich dass
die Zahl derjenigen, die ziemlich viel länger arbeiten, gegenüber der
Zahl zu Ende des vergangenen Jahrtausends erheblich zugenommen hat, und
zwar wegen eines besseren Arbeitsmarktes, wegen viel mehr Menschen, die
nicht gewissermaßen in Vorruhestand geschickt wurden, sondern eine echte
Perspektive haben, weiterzuarbeiten.
Das will ich für mich auch
sagen: Der Lackmustest für einen gut funktionierenden Arbeitsmarkt und
dafür, was die Perspektiven älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
angeht, ist die Frage: Wenn ich, weil es mit dem eigenen Unternehmen
vielleicht nicht so gut läuft ‑ das passiert ja mitunter ‑, mit Ende 50,
Anfang 60 meinen Job verliere, wird mir dann ein ähnlicher und gleich
gut bezahlter neu angeboten? ‑ Wenn diese Frage in Deutschland
überwiegend mit Ja beantwortet wird, dann, glaube ich, steigt das Alter
noch einmal ein bisschen nach oben. Insofern wollen und müssen wir,
denke ich, gemeinsam erreichen, dass Unternehmen es super finden,
62-Jährige neu einzustellen, und dass Beschäftige finden, das sei eine
super Gelegenheit. Das wollen wir erreichen.
Sehr geehrter Herr Adrian,
sehr geehrter Herr Dr. Wansleben,
meine Damen und Herren,
schönen
Dank für den freundlichen ‑ ich hätte fast gesagt: familiären ‑
Empfang! Aber es stimmt schon; mit kaum jemand spreche ich so regelmäßig
und so offen wie mit der DIHK und den anderen Spitzenverbänden der
Wirtschaft. Das ist mir wichtig, und das ist auch nötig. Denn natürlich
hat die deutsche Wirtschaft in den vergangenen gut zwei Jahren seit
Russlands Überfall auf die Ukraine ungekannte Herausforderungen erlebt.
In dieser Lage müssen wir schauen, dass die offenen Märkte nicht unter
die Räder geraten. Protektionismus macht am Ende alles nur teurer. Was
wir brauchen ist ein fairer und ein freier Welthandel. Das will ich
gerade in diesen Tagen sagen.
Natürlich ist niemand von uns
zufrieden, wenn die deutsche Volkswirtschaft stagniert oder nur um
0,3 Prozent wächst, wie es für dieses Jahr vorhergesagt wird. Es gibt
Gründe dafür, dass wir in dieser Lage sind. Das hat mit der gesunkenen
Dynamik auf den Weltmärkten einschließlich einer deutlich gedämpften
Nachfrage aus China und natürlich mit geopolitischer Unsicherheit nach
dem russischen Angriffskrieg zu tun. Das macht Angst und Sorge und hat
Einfluss auf Investitionsverhalten, ganz abgesehen davon, dass ein
wirklich großer Raum wirtschaftlicher Tätigkeit nicht mehr als Partner
zur Verfügung steht. Der doppelte Energieschock bei der Versorgung und
bei den Preisen hat uns umgetrieben und als Folge dann natürlich
Inflation und sprunghaft gestiegene Preise und Zinsen. Deshalb ist es
eine gute Nachricht, dass wir zum Beispiel im Hinblick auf die Inflation
inzwischen sagen können: Sie liegt wieder bei zwei Prozent. ‑ Auch die
Geschäftsaussichten verbessern sich. Die Produktion ist im ersten
Quartal gestiegen. Weil man tagesaktuell berichten soll: Erst gestern
kam die gute Nachricht von Germany Trade and Invest, dass die
ausländischen Investitionsprojekte in Deutschland 2023 um 37 Prozent
gestiegen sind, vor allem in Schlüsselbereichen wie den Bereichen von
Halbleitern, erneuerbaren Energien und Pharma. Amazon hat erst heute
Morgen bestätigt, dass es in den nächsten Jahren rund acht Milliarden
Euro in Rechenzentren in Deutschland investieren will. ‑ Das alles
zeigt: Ein stabiler Aufschwung ist möglich.
Aber ohne
strukturelle Veränderungen geht es nicht. Denn wir wollen nicht nur die
konjunkturellen Schwächen überwinden, sondern langfristig Wachstum.
Deshalb setzen wir auf eine moderne Angebotspolitik. Über Jahrzehnte
haben wir liebevoll ein Bürokratiedickicht angelegt, die Europäische
Union, der Bund, die Länder und Gemeinden, alle gemeinsam,
parteiübergreifend und mit großem Engagement. Das haben wir jetzt. Das
müssen wir jetzt lichten. Denn das bringt viel, und es kostet nichts.
Wir
investieren auf Rekordniveau in Infrastruktur und Digitalisierung. Denn
dabei ist viel zu lange viel zu wenig passiert. Wir haben in den
vergangenen zehn Jahren auch zu wenig getan, um eine verlässliche,
bezahlbare und weitgehend eigenständige Energieversorgung in Deutschland
zu sichern. Auch da sind wir dran, und zwar im Deutschlandtempo, wie
ich es genannt habe, bei der Eröffnung der ersten LNG-Terminals an
Norddeutschlands Küsten. Mittlerweile gibt es viel mehr davon, nicht nur
in Wilhelmshaven, sondern auch in Stade, Brunsbüttel und in Mukran. Wir
bauen sie weiter aus, damit ihre Importkapazitäten steigen.
Russland
hatte seine Energielieferungen von heute auf morgen gekappt. Die Preise
sind explodiert. Aber diesen drastischen Anstieg haben wir nun
erfolgreich gestoppt. Auch wenn die niedrigeren Preise noch nicht bei
allen Unternehmen angekommen sind ‑ das muss man ja ausdrücklich
sagen ‑, weil viele langfristige Verträge geschlossen haben, die heute
noch wirken, liegen die Großhandelspreise jetzt wieder auf dem
Vorkrisenniveau oder sogar darunter, weil wir das Angebot zum Beispiel
mit den Flüssiggasterminals ausgeweitet und weil wir Steuern reduziert
haben oder die EEG-Umlage nicht mehr erheben. Das macht in diesem Jahr
fast 20 Milliarden Euro aus, die jetzt der Bundeshaushalt trägt und die
vorher von allen Stromkunden mitbezahlt wurden, privaten Bürgerinnen und
Bürgern, aber auch mittelständischen Unternehmen. Diesen Betrag
schultern wir jetzt gemeinsam, aber eben nicht in der persönlichen
Rechnung im Betrieb. Das gilt für die Stromsteuer für das produzierende
Gewerbe und die Landwirtschaft, die jetzt auf das europäische Mindestmaß
reduziert worden ist. Natürlich haben wir auch Entlastungen für ganz
besonders energieintensive Unternehmen fortgeschrieben und ausgeweitet.
Parallel
dazu ‑ das ist mindestens ebenso wichtig ‑ haben wir das Fundament für
Deutschlands Energiesystem der Zukunft gelegt. Dieses Fundament ist
mittlerweile ziemlich sicher. Zeiten großer Veränderung ‑ das wissen
wir ‑ sind Zeiten von Unsicherheit über die Zukunft. Deshalb will ich
heute sagen: Alle können sich darauf verlassen, dass die Energie in
Deutschland sicher und auch in der Perspektive bezahlbar bleiben wird.
Wir haben dafür in den letzten zweieinhalb Jahren viele wichtige
Entscheidungen getroffen, die für unsere Zukunft von allergrößter
Bedeutung sind. Das ist der Kern dessen, was ich eben Angebotspolitik
genannt habe. Es geht darum, die Anreize für Investitionen zu
verbessern, Arbeitsplätze zu sichern und Wachstum möglich zu machen.
Wenn
man die Wirtschaftsweisen fragt ‑ ich habe gerade mit ihnen zusammen zu
Mittag gegessen und über die Vorschläge, die Sie uns heute präsentiert
haben, und darüber, was Sie sich für die Zukunft vorstellen,
diskutiert ‑, dann geben sie auf die Frage, wie man Wachstum
beschleunigen kann und was das Wachstum am meisten bremst, immer eine
Antwort, die auch Sie schon erwähnt haben und die auch bei mir eben
schon vorgekommen ist, nämlich: Bürokratie als ein ganz zentrales Thema
‑ ich habe darüber gesprochen ‑, die Infrastruktur ‑ ich habe über das
Thema, gesprochen ‑ und natürlich zu Recht die Energiepreise. Auch diese
sind ein Thema. Am häufigsten werden aber fehlende Arbeitskräfte
genannt. Das steht ganz vorn. Es ist ja auch eine ganz besondere
Situation. Wenn man solch einen Beruf ausgeübt hat wie ich, bevor ich
mit 40 Jahren Abgeordneter wurde, wenn man so dicht an denjenigen ist,
die arbeiten, wenn man ein paar Jahre in der Politik gewesen ist, dann
weiß man, dass es eine besondere Aussage ist, die man jetzt machen kann:
Wir haben Vollbeschäftigung, und das Problem großer
Massenarbeitslosigkeit, das wir um die Jahrtausendwende hatten und das
alle für fast unüberwindbar gehalten haben, wird uns in den nächsten
Jahren und Jahrzehnten ‑ glücklicherweise für die jungen Leute ‑ nicht
begegnen. Aber damit ist auch eine große Herausforderung verbunden. Es
fehlt an allen Ecken und Enden an genügend und insbesondere an
qualifizierten Arbeitskräften. Über Jahrzehnte ist Arbeitslosigkeit ein
Thema gewesen. Das hat eigentlich schon in den Achtzigerjahren begonnen.
Jetzt ist das die neue Frage. Es ist einmal ein kleiner Bestseller mit
dem tollen Titel „Arbeiterlosigkeit“ geschrieben worden. Er hat sich
ganz gut verkauft, wahrscheinlich nur wegen der Überschrift. Aber es ist
jedenfalls ein Hinweis darauf, was wir als Frage vor uns haben.
Jetzt
müssen wir alles dafür tun, um diese Situation richtig zu verstehen.
Wir haben in Deutschland eine Rekordzahl von Frauen und Männern, die
arbeiten, 46 Millionen. So viele waren es noch nie. Auch die Zahl der
Arbeitsstunden von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern lag noch nie so
hoch wie im vergangenen Jahr ‑ alle zusammengerechnet wohlgemerkt, nicht
jeder Einzelne, da gibt es ja sehr unterschiedliche Zeiten.
Aber
wir dürfen uns ‑ das ist natürlich auch ein Grund für unsere heutige
Zusammenkunft ‑ darauf auf keinen Fall ausruhen. Denn der Zuwachs auf
dem Arbeitsmarkt, den wir in den vergangenen Jahren erlebt haben, geht
fast ausschließlich auf Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus anderen
EU-Mitgliedstaaten zurück. Dabei stoßen wir unterdessen an erkennbare
Grenzen. Hinzu kommt, dass in den nächsten Jahren 13 Millionen
sogenannter Boomer in Rente gehen. Als wir jünger waren hießen wir noch
Babyboomer. Mittlerweile sind wir in der Sprache der Jüngeren nur noch
die Boomer. Aber viele von uns gehen jedenfalls in Rente. Dieses Thema
wird uns noch ziemlich stark beschäftigen. 90 Prozent aller
Maschinenbauunternehmen in Deutschland suchen nach Fachkräften. Deshalb
ist die Frage dieses IHK-Tages absolut zentral: Wie findet man
diejenigen, die morgen unsere Arbeit machen?
Auf diese Frage gibt
es aus meiner Sicht vier Antworten.
- Erstens mit einer zeitgemäßen Ausbildung ‑ das ist und bleibt das A und O ‑,
- zweitens mit gezielter Weiterbildung,
- drittens mit familienorientierten Arbeitsplätzen und
- viertens mit dem modernsten Einwanderungsrecht, das wir in Deutschland
jemals hatten.
Wenn man das Arbeitsleben mit einem
Langstreckenflug vergleicht, dann ist die Schulzeit so etwas wie die
Vorbereitung auf den Start. Stimmt die Richtung, in die man startet,
schaffen es alle rechtzeitig zum Take-off. Knapp 50 000 Schülerinnen und
Schüler verlassen jedes Jahr die Schule ohne Abschluss. Das kann nicht
so bleiben. Ich denke, darin müssen wir uns alle sehr einig sein und
dürfen es nicht nur bei Worten und Reden belassen, sondern müssen sehr
konkret handeln, damit die Zahl derjenigen, die ohne Abschluss von
unseren Schulen gehen, sich dramatisch reduziert. Damit sich das ändert,
unterstützt der Bund die Länder, wo er kann, beim Kitaausbau, bei der
digitalen Ausstattung von Schulen, beim Ganztag an Grundschulen und bei
besonders benachteiligten Schülerinnen und Schülern. Denn wir brauchen
alle diese Jugendlichen später für die Arbeit, die in Deutschland getan
werden muss.
Nach dem Schulabschluss beginnt das Berufsleben. Um
im Bild zu bleiben: Das ist der Take-off, der darüber entscheidet, auf
welcher Flughöhe man später reisen wird und wie der Flug werden
wird. Die duale Berufsausbildung, die Lehre, das ist auch aus meiner
Sicht unverändert die wichtigste Ausbildung in Deutschland. Gerade erst
hatten wir den neuen Berufsbildungsbericht auf dem Kabinettstisch. Die
Zahl der unbesetzten Ausbildungsstellen ist weiter gestiegen.
Gleichzeitig bleiben aber mehr Bewerberinnen und Bewerber ohne einen
Platz. Das Matching zwischen Angebot und Nachfrage gelingt gerade nicht
besonders gut.
Aber in dieser Situation gibt es auch zwei gute
Nachrichten.
- Erstens steigt die Zahl der Auszubildenden das zweite Jahr in Folge. Das hatten wir in den letzten Jahrzehnten nicht so oft. Damals war das oft langsam abwärtsgehend.
- Zweitens sind 2022 so viele
Auszubildende von ihren Betrieben übernommen worden wie seit über
20 Jahren nicht mehr.
Der ganze Erfolg unseres dualen Systems
beruht auf Unternehmerinnen und Unternehmern, die sich jedes Jahr aufs
Neue dazu entscheiden, auszubilden. Das sagt sich so leicht, ist aber in
Wahrheit der eigentliche, entscheidende Unterschied zwischen
Deutschland und den allermeisten Ländern auf der Welt. In all den
Ämtern, die ich in meinem Leben schon ausüben durfte, als
Arbeitsminister, als Bürgermeister und jetzt auch als Bundeskanzler, bin
ich von anderen immer wieder gefragt worden: Ihr habt so eine tolle
duale Berufsausbildung, können wir das auch haben? ‑ Ich sage ihnen
immer: Ja. Aber es gibt ein Merkmal, dass, wenn man Systeme vergleicht,
völlig unbeachtet bleibt. Es gibt ein in der Welt einzigartiges
Engagement von Unternehmen für die Ausbildung der jungen Leute. ‑
Anderswo ‑ das müssten sie ja überwinden ‑ gibt es Akademien. Man geht
zwei oder drei Jahre dorthin und hat dann einen Berufsabschluss, aber
die ganze Zeit in der Schule. Das ist natürlich ein völliger Unterschied
zu dem, was wir haben. Wir stellen die jungen Leute ein, haben sie im
Betrieb, bilden sie aus, und gleichzeitig findet noch etwas statt, was
in den Berufsschulen gemacht wird. Aber der erste Punkt ist ‑ ich finde,
das darf man nie vergessen ‑, dass es die Unternehmen sind. Jedes Jahr
neu müssen sich ganz viele entscheiden und sagen: Ich bin einer von
denen, der das wieder macht, und das, obwohl man vielleicht letztes Mal
Streit mit seinen Lehrlingen hatte, obwohl alle ganz anders aussehen als
damals, als man selbst jung war, oder was weiß ich. Das ist jedenfalls
so.
Deshalb ist es mir wichtig, an dieser Stelle all den
Ausbilderinnen und Ausbildern in den Betrieben, den ehrenamtlichen
Prüferinnen und Prüfern, von denen viele zum ersten Mal bei einem
IHK-Tag sind, auch allen Verantwortlichen in den Kammern und den
Unternehmerinnen und Unternehmern vor Ort ganz ausdrücklich zu sagen:
Haben Sie herzlichen Dank!
Als Bundesregierung unterstützen wir
mit den Jugendberufsagenturen vor Ort, mit der Ausbildungsgarantie, mit
der Allianz für Aus- und Weiterbildung und dem Sommer der
Berufsausbildung. Alle diese Initiativen sind so wichtig, weil jeder
Jugendliche, der den richtigen Beruf findet, dem Arbeitsmarkt für die
nächsten 45 Jahre oder länger erhalten bleibt. Das heißt natürlich
nicht, dass man 45 Jahre oder länger das Gleiche machen muss, im
Gegenteil. Deshalb ist es gut, dass Betriebe und Kammern heute überall
in Deutschland auf mehr Weiterbildung im Betrieb setzen. Es ist gut,
dass diese Möglichkeiten genutzt werden und dass es diese Möglichkeiten
gibt. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die bereits in den
Unternehmen sind, sind die wichtigste Ressource.
Bei meinem
Besuch bei Siemens in Erlangen habe ich einen gelernten Metzger
kennengelernt, der dort vor 20 Jahren in der Reparaturabteilung
angefangen hat. Nach einer zweijährigen Weiterbildung hat er 2023 seinen
IHK-Abschluss als Facharbeiter geschafft, mit über 50 Jahren. Jetzt
könnte er Roboter programmieren.
Von diesen Beispielen brauchen
wir noch mehr. Wer bei der Telekom mit Kupfer gelernt hat, macht heute
Glasfaser. Wer bei BMW mit Verbrennungsmotoren gelernt hat, baut heute
E-Autos. Das steigert die Produktivität, das Wachstum und die
Wertschöpfung, und es bedeutet auch höhere Löhne. Es gibt den Vorschlag,
dass zukünftig die Gehälter in Stellenausschreibungen mit
veröffentlicht werden. Dann sähen alle auf einen Blick, dass sich eine
Weiterbildung für gute Löhne und konkrete Perspektiven lohnt. Vielleicht
brauchen wir solche Anreize, ich weiß es nicht. Aber es zeigt ein
bisschen, dass man die Motivation steigern muss, daran etwas zu tun. Bis
2030 soll mehr als die Hälfte der Beschäftigten in Deutschland an
Weiterbildung teilnehmen. Das ist unser Ziel. Das haben wir uns nicht
allein ausgedacht, sondern mit den hier versammelten Verbandsvertretern
besprochen. Wir haben auch das Aus- und Weiterbildungsgesetz beschlossen
und werden das Aufstiegs-BAföG weiter erhöhen. Die DIHK mit ihren
Kammern im ganzen Land ist für die gezielte Weiterbildung eine ganz
wichtige Partnerin.
Darüber hinaus können wir im Hinblick auf die
Beschäftigungsmöglichkeiten junger Familien und vor allem von Frauen
noch besser werden. In kaum einem anderen Land ist die Teilzeitquote
gerade bei Frauen so hoch wie in Deutschland. Ich kann das immer an
schönen Vergleichen sagen. Wir hatten früher immer geschaut, wie hoch
die Frauenerwerbsquote ist. Dann haben wir nach den skandinavischen
Zahlen geschaut. Sie waren besonders gut, in Norwegen und Schweden. Sie
stiegen allmählich. Jetzt sind wir fast gleichauf. Es gibt keinen echten
Unterschied mehr. Aber wenn man darauf schaut, wie viele in Vollzeit
und wie viele in Teilzeit arbeiten, dann sieht man, dass dabei noch eine
große Differenz besteht.
Das hat natürlich etwas damit zu tun,
dass irgendwann einmal, vor über hundert Jahren, in Deutschland
entschieden wurde, dass anders als in der ganzen Welt die Ganztagsschule
irgendwie keine gute Idee sei, sondern man auf Halbtagsschule setzt.
Diesen Sonderweg beenden wir jetzt in kleinen Schritten, überall ein
wenig. Wir haben mit den Ländern ein Gesetz verhandelt, wonach sie Stück
für Stück ab 2026 flächendeckend in Deutschland die Ganztagsgrundschule
einführen. Aber das zeigt auch, welche Herausforderungen für junge
Familien, für Frauen und Männer bestehen, die mit ihren Kindern
gemeinsam das Berufsleben begleiten wollen. Deshalb ist es so wichtig,
dass wir den Kitaausbau und den Ganztagsanspruch umsetzen.
Natürlich
brauchen wir auch noch viele andere Anreize, die man nutzen kann, damit
wir dabei vorankommen. Ich denke, dass wir noch
Gestaltungsmöglichkeiten für familienorientierte Arbeitsplätze, flexible
Arbeitszeiten oder manchmal, wo man sich das leisten kann, vielleicht
auch Betriebskitas haben. Wer familienorientierte Arbeitsplätze schafft,
der wird auch weiterhin gute Leute finden. Das rechnet sich für alle,
für die Beschäftigten und für die Betriebe.
Ganz unabhängig
davon, wie es uns gelingt, das alles in Deutschland gut auf den Weg zu
bringen, brauchen wir Fachkräfte und Arbeitskräfte auch aus dem Ausland.
Dafür haben wir das Fachkräfteeinwanderungsgesetz beschlossen, eines
der modernsten in der Welt. Das habe ich am Anfang so angeberisch
gesagt, ich meine es aber auch so. Deutschlands Volkswirtschaft ist eine
der der offensten der Welt. Daran hängt unser Wohlstand. Dazu gehört
ein attraktiver Arbeitsmarkt für Talente aus aller Welt. Es ist mir
wichtig, das hier noch einmal klar und deutlich zu sagen: Wer diese
Offenheit aufs Spiel setzt, wer allen Ernstes einen Austritt aus der
Europäischen Union fordert, der hat schon lange kein Unternehmen mehr
von innen gesehen, der hat Ihnen nicht zugehört, meine Damen und Herren.
Das darf in unserem Land nicht passieren. Solche populistischen
Forderungen dürfen weder das Miteinander beeinträchtigen, noch den
Wohlstand und die Zukunft unseres Landes.
Dazu gehört, dass
natürlich alle, die ausländische Fachkräfte einwerben, die Prozesse
beschleunigen, bei der Wohnungssuche helfen und dass wir unsere Behörden
und Verfahren digitalisieren. Denn viele gute Bewerber haben noch fünf
weitere Angebote in anderen Staaten. Auch bei denjenigen, die bereits
hier sind, setzen wir an. Deshalb haben wir sinnlose Arbeitsverbote
abgeschafft, die zum Beispiel Geflüchtete zum Herumsitzen verdammt
haben. Das ist zwar noch ganz neu und hat sich noch nicht ganz
herumgesprochen, aber es ist jetzt Gesetz. Wir haben zum Beispiel den
Jobturbo ins Leben gerufen, um Flüchtlinge aus der Ukraine und acht
weiteren Ländern schneller in Arbeit zu bringen. Das sollten wir gern
noch ausweiten. Ich kann nur alle ermutigen, uns dabei zu unterstützen,
damit Unternehmen auch Menschen einstellen, die vielleicht noch nicht
das perfekteste Deutsch sprechen. Sie können das lernen, auch mit
Angeboten während der Arbeit, die wir machen.
Vielleicht sollte
man sich noch daran erinnern: Als die Fachkräftemigration der 60er-Jahre
in Westdeutschland stattgefunden hat, weil es schon einmal einen
riesigen Arbeitskräftemangel gab ‑ eine entsprechende Lösung gab es für
die damalige DDR mit den vietnamesischen Fachkräften ‑, waren auch nicht
alle mit fließendem Deutsch unterwegs. Die Bedingungen waren viel
schlechter als heute. Trotzdem ist damals etwas gelungen. Deshalb
sollten wir, finde ich, die Sache angehen und versuchen, das
hinzubekommen.
Ich war bei meinem schönen Bild vom
Langstreckenflug. Man sollte vielleicht noch die Landung ansprechen,
also den Übergang in die Rente. Ein bisschen habe ich es anfangs schon
getan. Ich denke, dass es, wenn man freiwillige Lösungen dafür schafft,
gut möglich ist, dass man über das Renteneintrittsalter hinaus arbeiten
kann, wenn man das selbst möchte. Mein Eindruck ist, dass es mehr als
genug Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gibt, die das wollen. Wir
müssen jetzt die Bedingungen dafür schaffen, dass das ein Match für die
Unternehmen und für die Beschäftigten wird, die das für sich persönlich
eine gute Perspektive finden.
Alle diese Dinge wollen wir nicht nur bereden, sondern wir arbeiten daran. Deshalb kann uns das vielleicht auch helfen.
Arbeit,
über die ich hier gesprochen habe, ist viel, viel mehr als
Geldverdienen, so viel mehr als die Zeit, die man in der Fabrik, in der
Werkstatt, an der Kasse oder im Büro verbringt. Zu arbeiten heißt, in
Gemeinschaft zu sein, Werte zu schaffen, sein Wissen zu nutzen und es
weiterzugeben. Ich freue mich, dass Sie und all die Kammern vor Ort
dieses wichtige Thema so entschlossen angehen. Auf weiterhin gute
Zusammenarbeit und auf eine gute Diskussion!
Schönen Dank.
Mittwoch, 15. Mai 2024 in Berlin
Foto: Bundesregierung/photothek.net/Thomas Köhler & Thomas Imo