Nach der Veröffentlichung eines Videos zur Entführung israelischer Soldatinnen hat Israels Regierung grünes Licht für die Fortsetzung von Verhandlungen mit der radikalislamischen Hamas gegeben. Die Gespräche zur Freilassung der Geiseln sollten fortgesetzt werden, erklärte das Büro von Regierungschef Benjamin Netanjahu am Donnerstag. Gleichzeitig betonte er, Israel werde die Hamas weiter bekämpfen. Der israelische Militäreinsatz im Gazastreifen wurde fortgesetzt.
Der Druck auf die israelische Regierung zur Fortführung der Verhandlungen war durch die Veröffentlichung des Videos gestiegen. Das Forum der Geisel-Familien in Israel veröffentlichte am Mittwoch die Aufnahmen, auf denen die Entführung fünf israelischer Soldatinnen während des Großangriffs der Hamas auf Israel am 7. Oktober zu sehen ist. Sie zeigen die Frauen in Pyjamas auf dem Boden mit gefesselten Händen, einige mit Blut im Gesicht. Am Ende des Videos ist zu sehen, wie sie von Militanten in einem Militärjeep weggebracht werden.
"Es ist Zeit zu handeln, sonst wird das Blut meiner Schwester und anderer Geiseln an den Händen" der israelischen Behörden kleben, sagte die Schwester einer der entführten Soldatinnen der Nachrichtenagentur AFP.
Die Aufnahmen stammen nach Angaben des Forums der Geisel-Familien aus einem zweistündigen Video, das von Hamas-Angreifern am 7. Oktober mit einer Körperkamera gemacht worden war. Die Bilder seien zusammengeschnitten und zensiert worden, um die "verstörendsten Szenen" nicht zu zeigen. Die Hamas erklärte hingegen, die Videoaufnahmen seien durch die Auswahl der Bilder "manipuliert" worden.
Das Büro Netanjahus ordnete nach der Veröffentlichung die Fortsetzung der Verhandlungen mit der Hamas an und sagte zudem, die Kämpfe gegen die militanten Palästinenser würden fortgesetzt, um dafür zu sorgen, dass das, was in den Videos zu sehen sei, "nie wieder" geschehe.
Bei israelischen Luftangriffen auf Ziele in Gaza-Stadt am frühen Morgen wurden nach Angaben des palästinensischen Zivilschutzes 26 Menschen getötet. 16 Opfer starben demnach durch den Beschuss eines Hauses. Zehn weitere Menschen wurden den Angaben zufolge bei der Bombardierung einer Moschee und einer Schule getötet. Unter den Opfern seien 15 Kinder, hieß es weiter.
Die israelische Armee setzte ihre Offensive laut eigenen Angaben auch in mehreren Vierteln in Rafah fort. Der Nationale Sicherheitsberater der US-Regierung, Jake Sullivan, hatte zuvor erklärt, das israelische Vorgehen in Rafah sei "gezielter und begrenzter" als zuvor.
Er sagte jedoch nicht, dass Israel auf Bedenken der USA hinsichtlich der Offensive eingegangen sei. "Wir werden darauf achten, ob es bei dieser Operation viel Tod und Zerstörung gibt oder ob sie präziser oder verhältnismäßiger ist", sagte Sullivan.
Seit Anfang Mai führt die israelische Armee trotz internationaler Warnungen eigenen Angaben zufolge "gezielte" Einsätze am Boden und Luftangriffe in Rafah aus. Sie verortet dort die letzten verbleibenden Bataillone der Hamas.
Am Freitag will der Internationale Gerichtshof in Den Haag bekanntgeben, ob er nach einer Klage Südafrikas einen Waffenstillstand für den Gazastreifen verlangen will. Dies wäre eine weitere Niederlage für Israel vor einem internationalen Gericht. Am Montag hatte der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) einen Haftbefehl unter anderem gegen Netanjahu beantragt.
Unterdessen warnte US-Finanzministerin Janet Yellen vor einer "humanitären Krise", sollte Israel wichtige Finanzströme in die Palästinensergebiete blockieren. "Ich bin sehr besorgt über die israelischen Androhungen, Handlungen auszuführen, die dazu führen würden, dass palästinensische Banken von ihren israelischen Korrespondenzbanken abgeschnitten werden", sagte Yellen. Diese Finanzkanäle seien unter anderem wichtig für Transaktionen, welche die Importe grundlegender Güter aus Israel ermöglichten.
Der Gaza-Krieg begann am 7. Oktober mit dem Großangriff der Hamas auf Israel, bei dem die islamistischen Angreifer nach israelischen Angaben mehr als 1170 Menschen töteten und 252 weitere als Geiseln in den Gazastreifen verschleppten.
Als Reaktion auf geht Israel seither massiv militärisch in dem Palästinensergebiet vor. Nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums, die sich nicht unabhängig überprüfen lassen, wurden dabei bislang mehr als 35.800 Menschen getötet.
kü/ju
© Agence France-Presse