Bulletin 57-1 - Wir leben, alle von uns wissen es, in schweren Zeiten. Nachrichten von Not und Schrecken, von Krieg und Unterdrückung erreichen uns jeden Tag. Die Menschen in der Ukraine wehren sich seit über zwei Jahren gegen Russlands brutalen Angriff. Die Menschen in Israel und Palästina sind seit dem Terroranschlag der Hamas am 7. Oktober in einem erbitterten und blutigen Konflikt verfangen, zu dessen Ende wir mit unseren jeweiligen politischen Möglichkeiten beitragen wollen. Ein großer Teil unserer, Ihrer und auch meiner täglichen Arbeit ist davon betroffen. Unsere Welt erlebt an vielen Orten Feindschaft, unversöhnliches Gegeneinander. Millionen Menschen leiden darunter.
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All das liegt wie ein Schatten über unserem Zusammensein, über unseren Gesprächen und Begegnungen. Aber ich bin dennoch, nein, gerade deswegen froh, dass wir heute zusammen sind, dass wir uns austauschen und dass wir unsere Beziehungen untereinander vertiefen können. Und dass wir uns vielleicht nicht nur von Sorgen, sondern auch von Freuden und von manchem Gelungenen gegenseitig berichten. Noch einmal Ihnen allen: Herzlich willkommen!
Was am Nächsten liegt, das nimmt man manchmal kaum wahr. Oder ziemlich spät erst. So geht es vielen Berlinern, die die ganze Welt, zumindest ganz Deutschland bereisen, viele Teile Brandenburgs aber nicht gut kennen.
Dabei kann man ja gar nicht anders, als zuerst nach Brandenburg zu kommen, wenn man von Berlin aus auf dem Landweg die Stadt verlassen will. Berlin liegt mitten in Brandenburg. Berlin und Brandenburg aber wissen manchmal gar nicht so viel voneinander. Und deswegen freue ich mich, dass wir bei unserer traditionellen jährlichen Reise diesmal gemeinsam in Brandenburg sind.
Es ist ein Land mit vielen landschaftlichen und architektonischen Schönheiten, mit alten Städten und Siedlungen, mit preußischen Schlössern und Herrenhäusern, mit weiten Blicken und stillen Seen. Ich selbst fühle mich Brandenburg sehr verbunden; ich hatte hier viele Jahre als Bundestagsabgeordneter meinen Wahlkreis, und ich war und bin gerne bei den Menschen hier. Menschen, die ganz geradeaus sind, die ohne Girlanden sprechen, sehr direkt.
Es ist ein Land mit einer großen Geschichte – als Kernland Preußens stand es am Beginn von dessen Aufstieg in das Konzert der europäischen Mächte. Und es ist ein Land mit hunderten von kleinen Geschichten, die sich in den Orten und Landschaften hier abgespielt haben. Viele solcher Geschichten hat der Dichter Theodor Fontane in seinen Romanen, aber vor allem in seinem großen Werk „Wanderungen durch die Mark Brandenburg" bewahrt. So hat er diesem besonderen Land ein literarisches Denkmal gesetzt.
Theodor Fontane war ein Freund des ungezwungenen Gesprächs. Sein bedeutendster Roman, „Der Stechlin", besteht fast nur aus Gesprächen. Ein Gespräch, das ist im Sinne Theodor Fontanes nicht einfach bloße Unterhaltung. Es ist eine freie Begegnung zwischen Gleichen, die von gegenseitigem Respekt geprägt ist.
Von der Hauptperson des Romans, dem alten Stechlin, heißt es: Sein schönster Zug war „eine tiefe, so recht aus dem Herzen kommende Humanität". Und diese Humanität besteht darin, dass er nicht nur „seinem ganzen Wesen nach hinter alles ein Fragezeichen machte", sondern auch gerne „freie Meinung" hörte, gerade auch, wenn es nicht seine Meinung war.
Diesen Geist des Gespräches, in dem die „freie Meinung" ihren Platz hat, in dem Respekt herrscht vor den Eigenheiten, der Souveränität und den Interessen des jeweils anderen, den leben Sie als Diplomatinnen und Diplomaten in besonderer Weise, und diesen Geist wünsche ich auch Ihren und unseren Begegnungen heute.
Unser Besuch hier in Brandenburg, genauer: in der Lausitz, besteht aus drei Teilen.
Heute Vormittag waren wir an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg. Die bedeutende Aufgabe der Transformation, der Veränderung einer ganzen Region, wird dort wissenschaftlich-technisch vorbereitet und begleitet. Durch Zusammenarbeit der unterschiedlichsten Forschungs- und Wissensbereiche auch mit außeruniversitären Strukturen wird hier an der Zukunft der Region Lausitz gearbeitet. Und zwar, wie ich weiß, voller Leidenschaft, Optimismus und Zuversicht. Machen wir uns klar: Noch 1990 waren 80.000 Menschen in der Energiewirtschaft beschäftigt; seit mehr als anderthalb Jahrhunderten hat der Braunkohleabbau wesentlich das Gesicht dieser Region bestimmt und den Menschen Arbeit und Brot gegeben.
Was für ein Wandel findet hier statt, wenn bis 2038 der Kohleausstieg beendet und bewältigt werden soll! Gelingen kann er nur ohne so gewaltige Strukturbrüche, wie sie in den 1990er Jahren die Menschen hier erlebt haben. Transformation bedeutet ja nicht nur, sich an eine andere Art zu wirtschaften, zu produzieren und den Lebensunterhalt zu verdienen zu gewöhnen. Das greift vielmehr auch tief ein in Mentalitäten, in Traditionen und in die Lebenskultur. Ähnliches haben wir im vergangenen Jahr bei unserem Ausflug ins Ruhrgebiet erfahren.
Sie haben, liebe Gäste, bei den verschiedenen Führungen heute Vormittag sicher einen guten Eindruck von dem bekommen, was sich hier tut. Ich hoffe, es hat sich auch etwas von dem kreativen Geist vermittelt, von der Leidenschaft für das Neue, von der Bereitschaft, auch die großen Herausforderungen anzunehmen. Hier passt noch einmal ein Satz aus Theodor Fontanes „Stechlin": „Alles Alte, soweit es Anspruch darauf hat, sollen wir lieben, aber für das Neue sollen wir recht eigentlich leben."
Der zweite Teil unseres Besuches, der nach dem Essen richtig beginnt, hat im Grunde auch mit Transformation zu tun und mit der Liebe zu Neuem: der Landschaftspark Branitz, den wir jetzt gleich besichtigen.
Einer der originellsten und erfindungsreichsten Menschen seiner Zeit war der Fürst von Pückler-Muskau, übrigens ein sehr weitgereister Mann. In der ganzen Welt fand er Anregungen und Ideen, er nahm gerne innerlich auf, was er anderswo an Schönem und Neuem fand. Eine besondere Leidenschaft hatte er für den Gartenbau, genauer: für den Landschaftsgarten. Der Park, den er hier in Branitz nach dem Vorbild englischer Landschaftsgärten anlegte, gilt als ein Höhepunkt in der Entwicklung der Landschaftsgartenkunst. Hier wurde Mitte des neunzehnten Jahrhunderts eine mehr oder weniger karge Sandwüste in eine Landschaft von blühender Schönheit verwandelt: eine der schönsten Transformationen, die es gibt.
Jeder Garten, den Menschen anlegen, ist ja so etwas wie ein Vorschein vom Paradies – oder eine Erinnerung daran. In alten Überlieferungen mancher Kulturen ist eine solche Vorstellung vom Paradies lebendig. Ein utopischer Ort, wo Menschen unbeschwert miteinander in Frieden leben. Auch dieser Garten hier in Branitz ist so ein Vorschein vom Paradies.
Dass dieser Garten allerdings ganz real in Deutschland liegt, sieht man daran, dass zu ihm eine sogenannte Baumuniversität gehört. Hier werden Bäume großgezogen, die an das lokale Klima und den schwierigen Boden hier gewöhnt werden, um die einmalige Gestalt des Gartens zu bewahren. Auch werden hier, wissenschaftlich begleitet, neue Baumsorten getestet, die mit dem sich ändernden Klima besser zurechtkommen. Mehr über dieses interessante Projekt werden Sie, wenn Sie mögen, nachher beim Spaziergang und bei der Führung durch den Park erfahren können.
Am Ende unseres Besuches schließlich steht eine Bootsfahrt durch den Spreewald. Auch hier ist der Mensch aktiv gewesen, auch hier gibt es Gestaltung und Umgestaltung. Aus einer einmaligen Naturlandschaft, geprägt von Wasser, von Auen und Mooren, ist im Laufe einer langen Zeit und durch die unermüdliche Tätigkeit der Bewohner eine einmalige Kulturlandschaft entstanden. Das Unesco-Biosphärenreservat Spreewald ist ein sehr besonderer Ort, manchmal auch ein sehr geheimnisvoller, stellenweise märchenhaft-verwunschen, fast unwirklich. Lassen Sie sich überraschen – und lassen Sie sich ein wenig davon verzaubern. Mehr will ich dazu jetzt gar nicht sagen.
Ich wünsche Ihnen allen weiterhin einen schönen Tag. Vielen Dank, dass Sie alle mit dabei sind!
Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
Foto: Bundesregierung/Steffen Kugler
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