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Reform der Pflegeversicherung - eine Fülle von Möglichkeiten

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat heute eine große Pflegereform angekündigt, die ...

... die Ampelkoalition noch in dieser Legislaturperiode verabschieden will.

„Wir werden nach der Sommerpause ein Konzept vorlegen“, sagte Lauterbach in Berlin, nachdem das Bundes­kabinett den Bericht „Zukunftssichere Finanzierung der sozialen Pflegeversicherung“ einer interministeriellen Arbeitsgruppe zur künftigen Finanzierung der Pflegeversicherung beschlossen hatte.

Darin werden vier mögliche Finanzierungsoptionen vorgeschlagen: zwei im Rahmen einer Teilversicherung und zwei Vollversicherungsvarianten. Die Vorlage dieses Berichts hatten die Koalitionsfraktionen in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt. Ursprünglich war die Vorlage allerdings für das vergangene Jahr vorgesehen.

Die Ausgaben der gesetzlichen Pflegeversicherung sind zuletzt stark angestiegen. Wie der ehemalige stell­vertretende Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbands, Gernot Kiefer, vor kurzem dargestellt hatte, hat sich allein im ersten Quartal des Jahres 2024 ein Defizit in der sozialen Pflegeversicherung von 650 Millionen Euro aufgebaut. Im gesamten Jahr werde ein Minus von 1,5 Milliarden Euro erwartet, so Kiefer, und im Jahr 2025 ein Defizit von 3,4 Milliarden Euro.

Pflegefälle durch Prävention vermeiden

Welcher Ausgabenanstieg in einer Teilversicherung langfristig erwartet wird, wird in dem Bericht der Arbeits­gruppe dargestellt. „Demografie bedingt und abhängig von der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung wird im Teilleistungssystem mit werterhaltender Dynamisierung für pflegebedürftige Menschen langfristig eine Finanzierungslücke von 0,5 bis 2,6 Beitragssatzpunkten, im Mittel von 1,4 Beitragssatzpunkten, entstehen“, heißt es darin. Der mittlere Wert entspreche in „heutigen Preisen“ rund 24 Milliarden Euro.

Lauterbach erklärte, das Problem der Finanzierung der Pflegeversicherung sei lösbar: „Es ist keine Kosten­explosion, vor der wir stehen.“ Der Minister geht davon aus, dass die Kosten langfristig durch Prävention reduziert werden können. „Das Wichtigste, was man hier unterschätzt, ist die Vermeidung von Pflegefällen“, sagte Lauterbach.

„Wir haben so viele vermeidbare Schlaganfälle, so viele vermeidbare Fälle von schwerer Herzschwäche, so viele vermeidbare Fälle von Demenz, dass wir tatsächlich auch den Pflegebedarf einschränken können, wenn wir mehr für die Prävention tun.“ Das Gute-Herz-Gesetz werde einen entsprechenden Beitrag zur Prävention leisten.

Der Reform der Pflegefinanzierung sollen weitere Gesetze beigeordnet werden, die unter anderem zu mehr Pflegekräften im Gesundheitswesen führen sollen: wie das Pflegeassistenzgesetz und das Pflegekompetenz­gesetz.

Die Regierung werde insofern ein Gesamtkonzept in der Pflege vorlegen, das neben der Finanzierung auch die Pflegeangebote verbessere und dafür sorge, dass pflegende Angehörige gestärkt würden. Über Einzelheiten der Reform wolle er jedoch noch nicht spekulieren.

Sammelsurium von Reformmöglichkeiten

Vor den Ankündigungen des Ministers hatten Verbände und Krankenkassen darauf hingewiesen, wie wichtig eine Reform der Finanzierung der Pflegeversicherung noch in dieser Legislaturperiode sei. Den Bericht der Arbeitsgruppe kritisierten sie dabei. Er enthalte „wenig neue Erkenntnisse und besteche allenfalls als Samm­el­surium von Reformmöglichkeiten und Eventualitäten“, meinte die Vorständin des BKK Dachverbands, Anne Kathrin Klemm.

Der Vorstandsvorsitzende der Techniker Krankenkasse, Jens Baas, erklärte: „Der Bericht der Bundesregierung zur Pflegefinanzierung fasst lediglich bekannte Probleme zusammen. Dabei ist konkretes Handeln gefragt.“ Die längst überfällige Pflegereform dürfe nicht erneut in die nächste Legislaturperiode verschleppt werden.

Er forderte, dass die Bundesregierung die Pflegekassen von versicherungsfremden Leistungen sowie Auslagen aus Pandemiezeiten entlastet. „Hierfür braucht es keine weiteren Problemanalysen, sondern gesetzgeberische Initiativen“, betonte Baas.

Sorge für Insolvenzen

Auch die Vorsitzende des Verbands katholischer Altenhilfe in Deutschland (VKAD), Barbara Dietrich-Schleicher, rief die Bundesregierung angesichts des Defizits bei den Pflegekassen zum Handeln auf: „Sollten die Kassen bald nicht mehr rechtzeitig zahlen können, werden sich Insolvenzen von Pflegeeinrichtungen häufen. Der Bedarf an pflegerischer Versorgung ist riesig – Tendenz steigend. Die Politik muss entschieden handeln, damit nicht noch mehr Träger in finanzielle Schieflagen geraten und benötigte Versorgungskapazitäten abgebaut werden.“

„Neben einer grundlegenden Finanzierungsreform der Pflegeversicherung, die über die Legislaturen hinaus­reicht, müssen Sofortmaßnahmen ergriffen werden“, forderte Dietrich-Schleicher und führte das Beispiel am­bulant versorgter Pflegebedürftiger an.

„Immer mehr der in der Häuslichkeit versorgten Menschen verzichten auf pflegerische Leistungen. Wenn jemand auf Körperpflege verzichtet, weil diese zu teuer geworden ist, dann läuft etwas gehörig schief. Die Pflegeversicherung muss so ausgestattet sein, dass die Schere zwischen den gestiegenen Preisen und den Pflegesachleistungen – dazu gehören Körperpflege, Betreuung oder Hauswirtschaft – geschlossen wird.“

Dem Bericht vorangestellt ist eine Bestandsaufnahme des Status quo. Demnach wird ein Großteil der etwa 5,2 Millionen Pfle­gebedürftigen derzeit ambulant versorgt. Im vergangenen Jahr waren dies etwa 84 Prozent. Hier sind es im Regelfall die Angehörigen, die pflegen und dafür Pflegegeld erhalten. Rund 700.000 Men­schen befinden sich in vollstationärer Pflege, etwa 140.000 in stationären Einrichtungen der Eingliederungs­hilfe.

Die Gesamtausgaben der sozialen Pflegeversicherung lagen dem Bericht zufolge 2023 bei etwa 59,2 Milliar­den Euro. Davon entfielen 36,2 Milliarden Euro auf ambulante und 19,7 Milliarden Euro auf stationäre Leis­tungen. Obwohl nur 13 Prozent der Pflegebedürftigen vollstationär versorgt werden, fällt ein Drittel der Ge­samtausgaben also in diesem Bereich an.

Die erste der vier von der Kommission vorgeschlagenen Finanzierungsoptionen beschreibt ein Fortführen des Status quo: also ein Zusammenspiel aus Versichertenbeiträgen, Geld vom Steuerzahler und privaten Eigen­leistungen. Alternativ schlagen die Autoren eine Weiterentwicklung des bisherigen Systems vor, in dem der private Eigenanteil reduziert wird und zusätzlich eine neue, verpflichtende individuelle Vorsorge eingeführt wird.

Zwei weitere Vorschläge beschreiben eine umlagefinanzierte Vollversicherung, die entweder durch Beiträge und Steuermittel finanziert wird oder alleine über ein Umlageverfahren.

 

© fos/aerzteblatt.de


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