Cholera-Infektionen, die von Bakterien der Art Vibrio cholerae verursacht werden, können mit lebensbedrohlichen Durchfällen einhergehen. Auslöser ist das von den Bakterien produzierte Choleratoxin. Es heftet sich an die Oberfläche von Darmzellen – genauer gesagt, an bestimmte „Zucker-Lipide“ (GM1-Ganglioside, GM1) auf den Zelloberflächen. Bei dieser Bindung handelt es sich um die stärkste Wechselwirkung zwischen einem Protein – dem Toxin – und dem Zuckeranteil eines Moleküls, die bekannt ist. Sie ermöglicht es dem Choleratoxin, in die Darmzellen einzudringen und dort die normalen Zellfunktionen lahmlegt. In einem interdisziplinären Ansatz hat ein Team der Universität Münster, der ETH Zürich und der Leibniz-Universität Hannover nun erstmals eine Schlüsselkomponente des GM1-Choleratoxin-Komplexes mithilfe eines fluorierten GM1-Analogons analysiert. Die Erkenntnisse zu den molekularen Mechanismen der starken Wechselwirkung helfen, die Krankheit besser zu verstehen, und könnten die Entwicklung von neuartigen Medikamenten ermöglichen, zum Beispiel Hemmstoffe, die eine Infektion mit dem Bakterium verhindern. Die Arbeit wurde in der Fachzeitschrift der American Chemical Society „ACS Central Science“ veröffentlicht.
Kohlenhydrate sind als Biomoleküle in allen Bereichen der Biologie und der Medizin wesentlich. Von der Bestimmung der Blutgruppen über die Regulierung des Immunsystems bis hin zur Versorgung der Zellen mit Energie – die Komplexität dieser Zuckermoleküle bietet ein großes Potenzial für die Entwicklung von Arzneimitteln der nächsten Generation. Allerdings ist ihre Wechselwirkung mit den Zielproteinen oft zu schwach, um für therapeutische Zwecke genutzt werden zu können. Eine Ausnahme ist die besagte starke Wechselwirkung zwischen dem GM1-Gangliosid und dem Choleratoxin, die seit Jahrzehnten intensiv untersucht wird. Um diese Wechselwirkung auf molekularer Ebene genauer charakterisieren zu können, stellte das Forschungsteam über eine komplexe chemische Synthese ein fluoriertes GM1-Analogon (F-GM1) her. Fluor diente dabei als Werkzeug, um die molekularen Wechselwirkungen dieses sogenannten Glykomimetikums zu identifizieren.
Es gibt mehrere Vorteile von Fluor als Ersatz für eine Hydroxylgruppe (OH): eine erhöhte Stabilität des Moleküls gegen enzymatischen Abbau, die Kontrolle der räumlichen Anordnung der Atome (Stereoselektivität) während der chemischen Glykosylierung und die Möglichkeit, die Wechselwirkung des Choleratoxins mit F-GM1 in Lösung, also in einem Zustand wie im Körper, durch Kernspinresonanzspektroskopie (NMR-Spektroskopie) zu untersuchen. Die Affinität – also das Bestreben, eine Bindung einzugehen – des Analogons lag nahe an der Affinität und der Bindungsstärke von natürlichem GM1.
Die Forscher untersuchten zudem mithilfe sogenannter Ko-Kristallisation die Wechselwirkungen und die räumliche Anordnung der Atome von F-GM1 innerhalb der Bindungstasche genauer, um die etwas geringere Affinität zum Choleratoxin im Vergleich zum natürlichen Zucker zu erklären. Dabei wiesen sie eine durch das Fluor hervorgerufene zusätzliche Wechselwirkung innerhalb des Molekülkomplexes sowie eine geänderte Anordnung einiger funktioneller Gruppen in der Bindungstasche nach.
Die Studie unterstreicht das Potenzial, fluorierte ‚Zucker-Lipide‘ in der biomedizinischen Forschung einzusetzen, zum Beispiel, um molekulare Signalkaskaden zu untersuchen, an denen Zuckerketten (Glykane) beteiligt sind, um mögliche neue Wirkstoffe zu identifizieren oder Impfstoffe zu entwickeln.
Universität Münster
Foto: © Gilmour Lab/Köhnke Lab
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