Nach einer verregneten Dressur zeigte sich der Schlosspark von Versailles am Geländetag der olympischen Vielseitigkeit von seiner besten Seite. Bei strahlendem Sonnenschein kam der von Parcourschef Pierre de Goupil konzipierte Geländekurs passend zur Geltung. Auf 5.149 Metern verteilten sich 28 optisch wunderschöne Hindernisse beziehungsweise Hinderniskomplexe, die idealerweise in einer Zeit von 9:02 Minuten zu bewältigen waren.
Für die deutschen Teilnehmer, Betreuer und Fans wurde
der Geländetag allerdings zu einer Achterbahn der Gefühle. Los ging es
mit einer sicheren Runde von Julia Krajewski (Warendorf) und Nickel, die
als allererste Starter bewiesen, dass sich der Kurs gut reiten lässt.
Der zweite deutsche Teamreiter Christoph Wahler (Bad Bevensen) musste
mit Carjatan S nach einem guten Anfang jedoch ausscheiden, was das zuvor
gut platzierte Team im Ranking deutlich zurückwarf. Für dennoch gute
Laune sorgte am Ende des Tages Michael Jung (Horb), der sich dank einer
souveränen Nullrunde mit Chipmunk FRH die vorläufige Spitzenposition in
der Einzelwertung vor der Britin Laura Collett mit London und dem
Australier Christopher Burton mit Shadow Man sichern konnte. In der
Teamwertung behaupteten die Briten mit 82,5 Minuspunkten ihre
Spitzenposition aus der Dressur vor Gastgeber Frankreich (87,2). Auf den
dritten Platz rückte etwas überraschend das japanische Team (93,80)
vor.
„Es fing super an, Julia und Nickel hatten
eine tolle Runde, genau wie geplant. Doch die Mannschaft ist geplatzt,
die 200 Strafpunkte werden uns aus den Medaillen rauswerfen und deswegen
kann ich nicht nur strahlen“, fasste Bundestrainer Peter Thomsen den
Tag zusammen. „Die Medaille ist futsch. Aber Michi und Chipmunk haben
hier wie immer brilliert, eine Traumrunde! Chipmunk ist mit gespitzten
Ohren über die Hindernisse geflogen und jetzt wollen wir mal hoffen,
dass uns das Glück wieder hold wird.“
Tatsächlich
war Jung und seinem Hannoveraner Chipmunk FRH (v. Contendro I) eine
souveräne Nullrunde gelungen. Nur 8:55 Minuten benötigen sie für den
Ritt um und über den Grand Canal und über die Hindernisse. „Unglaublich.
Es hat einfach nur Spaß gemacht“, sagte Jung, auch begeistert über die
rund 40.000 Zuschauer (mehr waren nicht zugelassen), die die Strecke
säumten und jedes Paar bejubelten. „Das war eine unglaubliche Kulisse
heute", so Michael Jung. Schon während seines Rittes zeigte er einmal
die Siegerfaust – nachdem er den Tiefsprung mit Graben dahinter
(Hindernis 16) bewältigt hatte. „Das war so ein bisschen die Klippe.
Chipmunk ist normalerweise ein Pferd mit viel Energie, der gerne nach
vorne galoppiert und nach vorne springt. Ich kenne ihn mittlerweile gut
und wusste, ich muss ganz vorsichtig an die Kante ran, habe versucht,
die Balance zu halten. […] Wir sind super über den Graben gesprungen und
das so zu fühlen, mit dem ganzen Druck von außen, das war nur Freude
pur", erklärte Jung diese Reaktion.
Genau
an diesem Sprung hatte es zuvor Christoph Wahler „erwischt“. Was genau
passiert war, konnte er selbst kaum erklären: „Es ist schwer zu sagen,
um ehrlich zu sein. Er springt eigentlich die Kante genauso runter, wie
ich es erhofft hatte - und ich muss sagen, dass er vorher fantastisch
ging. Ich hatte an keinem Sprung das Gefühl gehabt, das heute etwas
‚schiefgehen‘ kann. Und dann kommen wir die Stufe runter, eigentlich
auch genau mit der Distanz, die ich erhofft hatte, dass es drei kurze
Galoppsprünge werden, dann ist er irgendwie mit dem Hinterbein in den
Graben gekommen und das hat den Galoppsprung dann so unterbrochen, dass
ich aus dem Sattel geschubst wurde.“ Beide kamen jedoch mit dem
Schrecken davon. "Er ist zum Glück nicht gefallen, hat sich nicht weh
getan, ist gut drauf. Das ist das Wichtigste und dem gilt unsere erste
Sorge. Ich selbst habe es kaum gemerkt – der schlimmste Knacks ist jetzt
eher der mentale", sagte Wahler. Aufgrund des olympischen
Sonderreglements können Wahler und Carjatan S weiter am Wettkampf
teilnehmen - allerdings müssen sie die Verfassungsprüfung bestehen und
starten auch nur noch fürs Team.
Für
einen gelungenen Auftakt hatte am Vormittag Julia Krajewski als erste
Starterin gesorgt. Die Titelverteidigerin war ganz kurzfristig mit ihrem
Aachen-Sieger Nickel ins Team nachgerückt und musste als erste deutsche
Teamreiterin nicht nur als Erste auf dem Viereck, sondern auch ins
Gelände. Mit ihrer sicheren Runde bewies sie allen nachfolgenden
Reitern, wie gut sich der Kurs reiten lässt. Lediglich 4,8 Strafpunkte
gab es zum Dressurergebnis für die Zeitüberschreitung: 31,7 Minuspunkte –
Platz 14. „Ich bin abnormal stolz auf Nickel. Mal wieder ein Step mehr,
und er hat einfach gemacht!“, sagte sie. „Er war fit bis zum Schluss,
wir waren nur ein paar Sekunden drüber. Allerdings, wenn ich vorher mehr
Tempo draufgepackt hätte, wäre er am Ende vielleicht müder gewesen und
ich hätte das nicht so durchgaloppieren können.“
„Julia
war atemberaubend gut. Sie hat hier auch einen Stilgeländeritt
zelebriert mit einem jungen Pferd. Sie hat die Sprünge perfekt geritten.
Sie hat die Kräfte des Pferdes super eingeteilt. Ich bin mega stolz auf
die beiden. Das Pferd hat es herausragend gelöst“, schwärmte
Bundestrainer Thomsen über die Nachrücker.
Und
wie geht es jetzt weiter? Thomsen: „Am Ende sind wir im Wettkampf. Das
heißt, wir gucken uns die Pferde an, wir werden das Thema Springen
besprechen, wir werden uns auf die verschiedenen Szenarien vorbereiten.
Wir werden auch nochmal den Tag Revue passieren lassen, aber am Ende
geht es weiter bis morgen Abend. Und es ist immer das Gleiche: Nicht
nachlassen, voll nach vorne gucken. Was passiert ist, das steht auf dem
Zettel, aber morgen sieht der Zettel wieder anders aus und morgen Abend
nochmal anders aus. Und das ist unsere Aufgabe, da das bestmögliche
Ergebnis zu präsentieren.“
Foto: (c) Stefan Lafrentz / Michael Jung und Chipmunk FRH übernehmen die Führung.
fn-press/Hb