Einen Tag nach dem größten Gefangenenaustausch zwischen Russland und dem Westen seit dem Kalten Krieg hat Moskau die Tätigkeit des freigelassenen Tiergarten-Mörders Vadim Krasikow für den russischen Geheimdienst FSB enthüllt. "Krasikow ist ein Mitglied des FSB", sagte der Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Freitag in Moskau. Der bislang in Deutschland inhaftierte Krasikow galt als "Schlüssel" für den Austausch, bei dem unter anderen der US-Reporter Evan Gershkovich und mehrere russische Oppositionspolitiker frei kamen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kam dabei nach US-Angaben eine entscheidende Rolle zu.
Russland und sein Verbündeter Belarus sowie auf der anderen Seite Deutschland, die USA und drei weitere Nato-Staaten hatten den Gefangenenaustausch am Donnerstagnachmittag in der türkischen Hauptstadt Ankara vollzogen. Die Beziehungen des Westens zu Russland sind seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 auf dem Tiefpunkt; die Regierung in Ankara bemüht sich um gute Kontakte sowohl zu Russland als auch der Ukraine.
Russland ließ 15 Inhaftierte frei, unter ihnen vier Gefangene mit deutschem Pass. Auch die Freilassung eines in Belarus zunächst zum Tode verurteilten und später begnadigten Deutschen konnte erreicht werden. Bei den Deutschen handelt es sich nach AFP-Informationen um Kevin Lick, Dieter Voronin, German Moyzhes, Patrick Schöbel und Rico Krieger.
Nach Angaben des russischen Geheimdienstes FSB konnten im Gegenzug acht russische Häftlinge und zwei Minderjährige nach Russland zurückkehren. Zu den Häftlingen zählte der sogenannte Tiergarten-Mörder Krasikow. Er war Ende 2021 zu lebenslanger Haft in Deutschland verurteilt worden, weil er im August 2019 einen tschetschenischstämmigen Georgier im Kleinen Tiergarten in der Hauptstadt erschossen hatte. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass Krasikow den Mord im Auftrag staatlicher russischer Stellen begangen hatte. Der Angeklagte hatte sich als unbescholtener Ingenieur ausgegeben.
Kreml-Sprecher Peskow sagte in Moskau, Krasikow sei ein Agent des FSB. Der 58-Jährige habe der Eliteeinheit "Alpha" des Geheimdienstes angehört. "Er hat mit mehreren (derzeitigen) Beschäftigten für den Sicherheitsdienst des Präsidenten gearbeitet", erklärte der Kreml-Sprecher weiter. Neben Krasikow waren ein in Slowenien inhaftiertes Spionage-Paar mit zwei Kindern, je ein Häftling in Polen und Norwegen und drei Gefangene in den USA freigelassen worden.
"Niemand hat sich die Entscheidung einfach
gemacht, einen zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten Mörder nur
nach wenigen Jahren der Haft abzuschieben", erklärte Bundeskanzler
Scholz am Flughafen Köln/Bonn, wo er in der Nacht zum Freitag einen
Großteil der Freigelassenen auf Seiten des Westens empfing. Für die
Bundesregierung sei entscheidend gewesen, "dass wir eine
Schutzverpflichtung haben gegenüber deutschen Staatsangehörigen sowie
auch die Solidarität mit den USA".
US-Präsident Joe Biden lobte die "kühnen und tapferen Entscheidungen" Deutschlands und anderer Verbündeter, die Inhaftierte freigelassen hätten. "Insbesondere dem Bundeskanzler schulde ich großen Dank", erklärte Biden. Um die russischen Bedingungen für einen Gefangenenaustausch zu erfüllen, seien "bedeutende Zugeständnisse von Deutschland" nötig gewesen, welche die Bundesregierung ursprünglich nicht habe machen wollen.
"Im Verlauf der Verhandlung sind wir zu dem Schluss gelangt, dass Krasikow ein Schlüssel war", sagte der Nationale Sicherheitsberater der US-Regierung, Jake Sullivan, in Washington. Grundlage der Gespräche mit der deutschen Bundesregierung sei die "aufrichtige Freundschaft" zwischen Scholz und Biden gewesen. Über den Gefangenenaustausch wurde demnach monatelang verhandelt, ursprünglich sollte auch der im Februar in russischer Lagerhaft gestorbene Kreml-Kritiker Alexej Nawalny in die Vereinbarung einbezogen werden.
Unter den am Donnerstag freigelassenen Häftlingen waren die russischen Oppositionspolitiker Wladimir Kara-Mursa, Ilja Jaschin und Andrej Piwowarow, die für Freitagabend eine gemeinsame Pressekonferenz in Bonn ankündigten. Der US-Reporter Gershkovich, die Journalistin Alsu Kurmasheva und der frühere US-Soldat Paul Whelan waren direkt in die USA geflogen und wurden dort auf dem Luftwaffenstützpunkt Joint Base Andrews von Präsident Biden sowie wartenden Familienangehörigen und Freunden begrüßt.
Am Flughafen
in Moskau empfing Präsident Wladimir Putin die freigelassenen Russen. Im
russischen Staatsfernsehen war zu sehen, wie Putin mehrere der
freigelassenen Häftlinge in den Arm nahm. Zu einem möglichen
Zusammenhang zwischen dem Gefangenenaustausch und Gesprächen über den
russischen Angriffskrieg in der Ukraine ließ der Kreml mitteilen, es
gehe dabei um "vollkommen unterschiedliche Grundsätze". Mit Blick auf
die Ukraine gehe es um "komplexere internationale Probleme" und um
"Grundsätze der nationalen Sicherheit", sagte Kreml-Sprecher Peskow. SID