Münster (ukm/lwi) Es ist die größte Kooperation der Rettungsdienste in der Region: Anfang Juni startete in Münster sowie den Kreisen Borken, Coesfeld, Steinfurt, Warendorf und Recklinghausen ein Pilotprojekt, bei dem Notärztinnen und Notärzte nicht mehr gemeinsam mit dem Rettungsdienst ausrücken, sondern per Videotechnik zu den Einsatzorten geschaltet werden.
Die Zahlen variieren stark, doch in rund einem Drittel aller Rettungsdiensteinsätze wird zur Sicherheit auch ein Notarzt angefordert. Vor Ort stellt dieser dann in knapp der Hälfte der Fälle fest, dass sein Eingreifen gar nicht notwendig ist – und fährt unverrichteter Dinge wieder ab. Um die Expertise besser zu nutzen und dahin zu bringen, wo sie wirklich gebraucht wird, kommen seit Juni dieses Jahres in der Region so genannte Telenotärzte zum Einsatz. Sie können sich audio-visuell mit dem Rettungsdienst verbinden, mit Notfallsanitätern und Betroffenen kommunizieren, anleiten und unterstützen – und damit wesentlich schneller, häufiger und weiträumiger helfen als im klassischen Notarzt-Dienst.
Einer, der dieses System gerade erprobt, ist Dr. Till Würdemann, der in der Klinik für Anästhesiologie, operative Intensivmedizin und Schmerztherapie am UKM (Universitätsklinikum Münster) beschäftigt ist, und zu 50 Prozent als Telenotarzt in der Feuerwehrleitstelle am York-Ring in Münster arbeitet. „Bei einem Einsatz bekomme ich sämtliche Vitaldaten übertragen“, sagt Würdemann, „von der Sauerstoffsättigung über den Blutdruck bis hin zu EKG-Kurven, dazu ein Videostreaming aus dem RTW, Fotos, die vom Personal im RTW gemacht werden und direkt auf meinem Bildschirm landen sowie GPS-Daten, um zu bestimmen, welche Wege gegebenenfalls sinnvoll sind“.
In der Feuerwehr-Leitstelle ist Würdemann derzeit wochenweise werktags im Einsatz für das Pilotprojekt, das in ganz Nordrhein-Westfalen läuft. Aus Münster wird die größte der insgesamt elf Trägergemeinschaften abgedeckt: Von der Telenotarztzentrale am York-Ring werden derzeit testweise zwölf Rettungswagen (je zwei in Münster, den Kreisen Borken, Coesfeld, Steinfurt, Warendorf und Recklinghausen) betreut – eine Region mit 2,3 Millionen Bürgerinnen und Bürgern. Perspektivisch sollen es ab dem kommenden Jahr 150 bis 180 Fahrzeuge sein, und die Dienste dann nach und nach auf eine 24/7-Versorgung ausgeweitet werden. „Es ist ein extrem spannendes neues Feld, in dem ich jeden Tag neue Dinge dazulerne“, sagt Würdemann und sieht vor allem die Vorteile des Systems: „Ohne das Drumherum des Einsatzes vor Ort ist das ein Arbeiten, in dem ich mich noch besser auf die medizinischen Aspekte fokussieren kann.“
Hinter dem Projekt des NRW-Gesundheitsministeriums stehen vor allem zwei Überlegungen: Zum einen soll der Rettungsdienst entlastet werden; statt eines Notarztes können häufiger Notfallsanitäter zunächst alleine zum Einsatz fahren. Sollten dann vor Ort Fragen aufkommen oder Kompetenzgrenzen für die Sanitäter erreicht werden, kann ein erfahrener Telenotarzt schnell hinzugeschaltet werden, zum Beispiel um grünes Licht für das Verabreichen eines Medikamentes zu geben – das spart Wege und damit Zeit. Zum anderen sollen unnötige Transporte in die Notaufnahmen vermeiden werden, indem schon vorab – und ohne dass ein Notarzt physisch vor Ort sein muss – geklärt werden kann, dass etwa eine Patientin zuhause bleiben darf und nicht (umsonst) zunächst in ein Krankenhaus gefahren werden muss.
Perspektivisch könnten die Telenotärztinnen und -notärzte aber auch andere Notärzte vor Ort beraten, etwa bei seltenen Situationen wie Vergiftungen, um bei größeren Schadenslagen auszuhelfen, oder die Verlegung in ein Krankenhaus zu besprechen, für die der Notarzt während des Einsatzes noch keine Zeit hat und für die dem Leitstellen-Personal unter Umständen das spezifische ärztliche Spezialwissen fehlt. „Wir haben dann von außen vielleicht einen anderen Blick auf die Situation und haben in der Zentrale medizinische Datenbanken zur Hand, die dem Notarzt vor Ort nicht so schnell nicht zur Verfügung stehen“, sagt Würdemann. „Da gibt es sehr viele Feinheiten, die durch Telenotärzte durchaus verbessert werden können. Aber klar ist auch: Das ist ein System, das wachsen muss, und in dem wir schauen müssen, was gut klappt und was nicht.“
Eine weitere wichtige Rolle könnte Telenotärztinnen und -notärzten künftig im Rahmen von Patienten-Verlegungen zukommen, bei denen sie häufig auch anwesend sein müssen. Funktioniert das auch digital, gäbe es – im Sinne der Krankenhausreform – auch Maximalversorgern wie dem UKM die Möglichkeit, stabile Patienten schneller in andere Krankenhäuser zu verlegen, um selbst wieder Kapazitäten für die dann schwereren Fälle zu haben.
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Foto: UKM