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Zwischen Tradition und Wandel: Emily Haber über die Zukunft der USA und ihre Rolle in der Welt

Im exklusiven Gespräch mit Stephan Detjen gibt Emily Haber, ehemalige deutsche Botschafterin in den USA, tiefgehende Einblicke in die turbulente amerikanische Politiklandschaft und die Auswirkungen auf die globale Außenpolitik. Ein Gespräch voller spannender Perspektiven und emotionaler Momente.

Äußerungen der Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder.

Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Detjen: Das Interview der Woche, am Mikrofon ist Stephan Detjen. Ich freue mich, dass wir das Interview machen können mit der Diplomatin Emely Haber. Sie war als Diplomatin unter anderem an den deutschen Botschaften in Moskau, in Ankara und in Washington tätig.

Sie war an vielen internationalen Verhandlungen, unter anderem über das iranische Atomprogramm, beteiligt, Staatssekretärin im Auswärtigen Amt, auch im Bundesinnenministerium. Am Ende ihrer Karriere war sie von 2018 bis Mitte letzten Jahres deutsche Botschafterin in Washington, hat dort also sowohl Donald Trump als auch Joe Biden und als Vizepräsidentin Kamala Harris im Weißen Haus erlebt. Frau Haber, vielen Dank, dass Sie sich Zeit für dieses Gespräch nehmen.

Haber: Danke Ihnen.

Detjen: Wir haben jetzt über viele Wochen, fast Monate, auf diese Wahl vorausgeschaut und viele sind geradezu selbstverständlich davon ausgegangen, man muss sich jetzt darauf einstellen, dass Donald Trump ins Weiße Haus zurückkehrt. Das sieht jetzt wieder anders aus. Die Stimmung hat sich verändert, seitdem Joe Biden sich von der Präsidentschaft zurückgezogen hat und Kamala Harris de facto Präsidentschaftskandidatin der Demokraten ist. Aber aus Ihrer Sicht: wie offen ist diese Wahl? Oder welche Tendenzen kann man da zum jetzigen Zeitpunkt vielleicht erkennen?

Haber: Ich wäre auch jetzt noch sehr vorsichtig, klare Vorhersagen für den Wahlabend zu treffen. Das liegt daran, sehen Sie, wir haben – Sie haben es angedeutet – über viele Wochen, sogar Monate, den Weg Donald Trumps zur Präsidentschaft als eine Promenade in den Wahlsieg betrachtet und haben völlig außer Acht gelassen, dass es Ereignisse geben könnte, die wie schwarze Schwäne gewirkt haben. Ein solches Ereignis war natürlich der desaströse Verlauf der Präsidentschaftsdebatte Ende Juni.

Ein zweites solches Ereignis war der Attentatsversuch auf Donald Trump mitten in einem geradezu triumphalen Parteitag.

Und das dritte solche Ereignis war der Rückzug Bidens aus dem Wahlkampf. Und lassen Sie uns da nicht uns irgendetwas vormachen. Es wird noch weitere solche Ereignisse geben. Deswegen ist es falsch, in einer sehr unklaren und noch fluiden Datensituation Versuche zu unternehmen zu extrapolieren wie die Daten heute aussehen. Die Umfragen zeigen sehr unterschiedliche Tendenzen. In einigen ist Harris vorn, in anderen ist Trump vorn. Manchmal sogar jenseits der Zweifelsmargen. Aber insgesamt würde ich sagen, Datenbasis ist zu knapp. Es ist richtig, dass die Vizepräsidentin es geschafft hat, ungeheure Energie zu genieren, ungeheuren Enthusiasmus zu generieren. Gestern oder vorgestern waren in Georgia zwei Meilen Warteschlangen, um bei einer Wahlkampfveranstaltung von ihr zugegen zu sein. Das hat sie geschafft. Aber das betrifft die demokratische Basis.

Detjen: Und da können noch viele schwarze Schwäne dahergeschwommen kommen, sowohl innerhalb Amerikas, aber in der Welt, so wie sie ist, so unruhig wie die Welt ist, natürlich auch an allen Brandherden dieser Welt, die wir zurzeit im Blick haben. Und ich würde mit Ihnen gern ganz besonders über die Außenpolitik und die Rolle der USA in der internationalen Politik in der Welt sprechen. Wenn man das in den Blick nimmt, kann man sich eigentlich in irgendeiner Weise darauf einstellen, dass irgendwas in der amerikanischen Außenpolitik so bleibt wie wir es kennen, wie es war?

Haber: Also zunächst einmal ist sie Vizepräsidentin gewesen in der Biden Administration. Und wir können grundsätzlich von einem gewissen Maß an Kontinuität ausgehen. Aber sie ist natürlich ganz anders geprägt worden in ihrem Leben. Sie wird nicht die sozusagen die starke Werte-Demokratie- vs. Autokratie-DNA haben, die Präsident Biden geprägt hat und die aus seiner Erfahrung des amerikanischen, wenn ich das sagen darf, Exzeptionalismus kommt, das heißt aus der Vorstellung eines missionarischen Auftrags der Vereinigten Staaten in einer Welt, in der eine der größten Demokratien der Welt vielen Autokratien gegenübersteht. Kamala Harris, die Vizepräsidentin, ist Generalstaatsanwältin gewesen. Sie wird sehr stark kommen aus der Vorstellung von Recht, Normen, rechtlichen Prozessen. Sie wird eine Institutionalistin sein. Sie wird wahrscheinlich sehr viel pragmatischer schauen auf den missionarischen Auftrag der Vereinigten Staaten. Als Vizepräsidentin wird sie wahrscheinlich nun als Kandidatin mit einer größeren außenpolitischen Erfahrung in den Wahlkampf gehen als viele ihrer Vorgänger – also ihre Vorgänger, andere Präsidentschaftskandidaten – das getan haben. Aber sie hat gleichwohl unter einem Präsidenten gedient, der Außenpolitik als seine Prärogative betrachtet hat, der starke außenpolitische Erfahrungen hatte, der Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Senates war und dafür gesorgt hat, dass dies sein Sprengel war. Natürlich hat sie viele Reisen unternommen nach Asien, nach Afrika, in den Mittleren Osten. Sie war immer wieder bei der Münchener Sicherheitskonferenz. Aber in der Außenpolitik selbst mit eigenen Vorstellungen ist sie noch ein weitgehend unbeschriebenes Blatt. Es gibt eine Ausnahme.

Detjen: Und zwar?

Haber: Sie ist deutlicher als der Präsident gewesen, was die Beendigung des Krieges in Gaza angeht. Da war sie wahrscheinlich die Erste innerhalb der Administration, die nach einem Waffenstillstand gerufen hat und die den Blick gerichtet hat, sehr deutlich gerichtet hat auf die Leiden der Zivilbevölkerung. Und das hat sie auch getan, als jüngst der israelische Premierminister nach Washington reiste.

Detjen: Und da wird ja auch ein Dilemma, ein Zwiespalt angesprochen, der die demokratische Kampagne, diese Präsidentschaftskampagne, geprägt hat schon in der Gestalt von Joe Biden, der insofern ja auch ein traditioneller amerikanischer Außenpolitiker war, als dass er eben die Loyalität zu Israel betont und auch in seiner eigenen Biografie ganz stark betont hat in einer Zeit, in der der Riss, die Polarisierung gerade durch die demokratische Partei auch durchgeht zwischen traditionalistischen Milieus, auch einem liberalen amerikanischen Judentum, das überwiegend demokratisch gewählt hat und einer jüngeren Generation, die da in der Partei auch ganz stark vertreten ist, jünger, linker, propalästinensischer. Also, ist das für Sie denkbar? Können Sie da was absehen, dass sich mit Blick auf den Nahostkonflikt – so wie wir ihn jetzt auch in diesen Tagen, in diesen Stunden, muss man ja sagen, sehen – an der amerikanischen Politik fundamental etwas verändert?

Haber: Nein, fundamental ganz gewiss nicht. Sie hat ja ihre unverbrüchliche Solidarität mit Israel deutlich gemacht und die Unterstützung für Israel. Aber sie hat eben auch die anderen Akzente gesetzt. Das hängt möglicherweise auch damit zusammen, dass die demokratische Partei in dieser Frage – wie in vielen anderen auch – letztlich eine Koalition aus sehr unterschiedlichen Strömungen ist. Es ist nicht sehr stark aufgefallen, ist aber der Fall gewesen, dass die Vizepräsidenten in den letzten Monaten durch viele Universitäten, durch viele Universitäts-Campus getourt ist und damit sich gewissermaßen gewandt an das jüngere, das progressive und durchaus kritische Publikum, das in Gefahr stand, sich von der demokratischen Partei nicht abzuwenden, aber möglicherweise den Wahlen fernzubleiben. Dieser – wie soll ich sagen – „enthusiasm gap“, wie die Amerikaner sagten, war etwas, das sie beheben sollte und in diesem Zusammenhang waren Israel und der Gaza-Krieg und auch die Leiden der Zivilbevölkerung in Gaza immer ein Thema.

Detjen: Wir haben jetzt über biografische Prägungen gesprochen, den Figuren der Präsidenten oder jetzt der Präsidentschaftskandidatin. Da zeichnet sich Kamala Harris ja auch dadurch aus, dass sie durch ihre Herkunft eine andere Perspektive auf die Welt hat.

Haber: Ja.

Detjen: Tochter einer indischen Mutter. Und das verbindet sie interessanterweise ja mit Barack Obama, der auch durch seine Biografie einen anderen Blick auf die Welt hatte. Sohn eines kenianischen Vaters, aufgewachsen zum Teil in Indonesien, zum Teil in Hawaii. Muss man, wenn man sich diese Genealogie der Präsidenten anschaut, eigentlich sagen, dass sich sozusagen der Shift, diese Veränderung des Fokus amerikanischer Außenpolitik schon sehr lange zurückerstreckt und vielleicht mit Barack Obama angefangen hat, der eben eine pazifische Orientierung eingeführt hat?

Haber: Ganz richtig. Das ist eine längerfristige tektonische Verschiebung gewesen und sie wird andauern, ganz unabhängig davon, wer als Präsident in das Weiße Haus einzieht. Die unterschiedlichen biografischen Prägungen von dem sehr  transatlantisch geprägten Präsidenten Biden zu einer möglichen Präsidentin Harris, die mit einem jamaikanischen und einem asiatischen Erbe ein Amt antreten wird, reflektiert dies nun. Aber ich glaube, hier ist auch wichtig, Folgendes zu sehen. Im Moment spielen in dem Wahlkampf von der Vizepräsidentin - natürlich spielen Themen eine Rolle, aber nur in sehr allgemeiner Form. Es ist kein eigentlicher Themenwahlkampf.

Was im Mittelpunkt steht, ist das Phänomen dieser Kandidatin, einer Kandidatin mit asiatischen und jamaikanischen Wurzeln, eine Frau. In vielerlei Hinsicht sozusagen eine Durchbrecherin von gläsernen Decken. Und das ist auch zweifellos etwas, was viele Leute unter den Demokraten, insbesondere und den Jüngeren, so fasziniert. Ob das so bleibt und ob nicht Themen wie zum Beispiel Inflation oder die wirtschaftliche Entwicklung in den Mittelpunkt rücken und die Definition dieser Kandidatin        überlagern, können sie heute noch nicht sagen.

Detjen: Ich würde gern noch mal bei der Außenpolitik bleiben und auch bei dem Thema der Kontinuitäten und Diskontinuitäten. Also es entspricht da einer verbreiteten Wahrnehmung, dass wir die große Disruption, die Zäsur in der amerikanischen Außenpolitik in der Rolle der amerikanischen Welt sehr stark mit der Gestalt von Donald Trump verbinden. Und das gilt sicherlich, was den Stil seiner Außenpolitik, seinen Habitus, sein Auftreten, angeht. Aber die Frage an Sie ist, inwieweit das eigentlich für die Politik gilt. Wir haben jetzt gerade schon über Kontinuitäten, über eine größere Bewegung gesprochen, die sich bis zu Barack Obama zurückverfolgen lässt.

Wenn wir jetzt auch mit Blick auf die Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris auf den asiatischen, auf den indopazifischen Raum schauen, dann gibt es da ja möglicherweise auch viel stärkere Kontinuitäten zwischen Trump und Biden, als wir das wahrgenommen haben, etwa was das Verhältnis zu China angeht, das in den Vereinigten Staaten so eine große Rolle spielt.

Haber: Ja, aber Disruption ist nicht das verbindende Element. Ich finde, es ist oft in Deutschland missverstanden worden, dass Disruption nicht das Ziel des früheren Präsidenten war. Disruption war das Mittel.

Detjen: Des früheren Präsidenten Trump?

Haber: Ja, des früheren Präsidenten Trump war. Disruption war ein Mittel, um Ziele zu erreichen, um gewissermaßen größtmögliche Unsicherheit und Unberechenbarkeit zu schaffen, um dies zu instrumentalisieren für amerikanische Wünschbarkeiten.

Und diesen Ansatz hat Biden nicht geteilt. Aber sie haben trotzdem in einem Kontext beide agiert, der ihr Verhalten und ihre Ansätze informiert hat. Und dazu zählen ganz zweifellos die tektonischen, geopolitischen und geoökonomischen Verschiebungen zugunsten Asiens und vor allen Dingen zugunsten Chinas. Es ist wahrscheinlich das erste Mal in der amerikanischen Geschichte, dass sich die Vereinigten Staaten herausgefordert fühlen durch einen internationalen Akteur, der ihnen in Fähigkeiten und in Ressourcen ziemlich nahekommt. Und darauf haben beide Präsidenten reagiert, der frühere Präsident Trump und der jetzige Präsident Biden. Und darauf wird auch eine mögliche Präsidentin Harris reagieren.

Detjen: Trump und Biden haben beide mit ähnlichen Mitteln reagiert, mit Mitteln, die Trump besonders eingeführt hat, Zölle, protektionistische Politik, die Biden dann fortgesetzt hat. Und wenn ich Sie richtig verstehe, wäre Ihr Rat an die Europäer, gerade auch an die Deutschen: Stellt euch darauf ein, dass das auch unter einer Präsidentin Kamala Harris sich nicht ändern würde.

Haber: Ganz sicher.

Detjen: Einschließlich der Spannungen und der Herausforderungen, die das dann gerade für Deutschland etwa mit Blick auf die Chinapolitik und die Handelsbeziehungen zu China betrifft.

Haber: Also ich habe Vertreter aus dem Weißen Haus sagen hören vor gar nicht langer Zeit, zu mir, dass der Beginn dieser Entwicklung angesetzt hat unter Präsident Obama. Als man begann, sich darüber Gedanken zu machen, wie gehen wir    eigentlich mit einem China um, bei dem die Erwartung uns getrogen hat, dass die Einbindung in globale Strukturen China zu einem normalen internationalen Akteur machen würde. Diese Erwartung hat getrogen. Und darauf muss Amerika reagieren. Darauf muss nicht nur Amerika reagieren, darauf müssen auch amerikanische Verbündete reagieren. Wie wir das tun und wie wir uns absprechen, ist eine andere Frage. Aber das Phänomen an sich ist etwas, das uns beide gleichermaßen herausfordert. Die Amerikaner, weil sie wegen ihrer Geografie und ihren eigenen Vulnerabilitäten sozusagen besonders herausgefordert sind in anderer Weise vielleicht als wir. Aber das spielt sich nicht sozusagen in einem separaten Universum ab.

Detjen: Was heißt alles das, Frau Haber, für die Vorstellung einer regelbasierten und auch international, auf Institutionen gründenden Weltordnung, die ja über Jahrzehnte jetzt, über Generationen seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges spätestens so stark durch die Vereinigten Staaten geprägt ist? Und wir sehen jetzt, Sie haben gesagt, eine tektonische Verschiebung, dass die USA unter wechselnden Präsidenten da    ihren Blick, ihre Rolle in der Welt neu definieren. Und wir haben das sozusagen gerade aus der Bundesregierung immer wieder im Ohr, gerade seit dem russischen Überfall auf die Ukraine: die regelbasierte Weltordnung, der Blick auf die Institutionen. Was verändert sich da, wenn wir auf die USA schauen?

Haber: Als Präsident Trump mit sehr disruptiven Mitteln versuchte, bisher anerkannte Regeln, Prozesse, Strukturen zu hinterfragen, zu unterminieren oder schlicht nicht mehr zu nutzen, tat er dies auch in der Wahrnehmung auch seiner Berater, dass diese Strukturen, und Prozesse, und Regeln nicht mehr passten zu den Machtverschiebungen, die wir in den letzten 30 Jahren gesehen hatten.

Detjen: Wenn ich da einhaken darf. Da würden Sie sagen, da hat er einen Punkt, da hat Recht?

Haber: Wie ein falsch zugeknöpftes Hemd, ja. Und darauf hat er reagiert, wie gesagt, mit disruptiven Mitteln und auch durchaus bereit, die Verbündeten zu antagonisieren, weil er nicht den Mehrwert sah, den Verbündete und Bündnisse boten, um amerikanische Macht angesichts dieser relativen Verschiebungen auszutarieren, also zu vergrößern. Das ist anders gewesen unter einem Präsidenten Biden und wäre wahrscheinlich auch so unter einer Präsidentin Harris. Aber die Reaktion auf die geopolitischen Verschiebungen, auf den ungeheuren Machtzuwachs Chinas, auf den Umstand, dass sowohl der Gaza-Krieg als auch der Russland-Krieg vielen Staaten im globalen Süden einen Raum gegeben hat, der ihnen erlaubt die Stimme lauter zu erheben, als das vorher der Fall war und das zu nutzen, darauf werden beide reagieren müssen.

Detjen: Und auch zu verbinden mit Vorhaltungen an den von den USA immer noch angeführten Westen, was Standards, was das Einhalten von Regeln, was die Geltung des Völkerrechts angeht. Das erlebt ja auch die deutsche Außenpolitik, dass sie seit dem russischen Überfall durch die Welt gezogen ist, gerade durch den globalen Süden, für die Einhaltung des Völkerrechts geworben hat und jetzt sich mit dem Vorwurf auseinandersetzen muss, dass sie andere Standards anlegt, wenn es um die entsprechenden Vorwürfe gegen Israel geht.

Haber: Das ist eine Gratwanderung. Aber ich glaube, wir sind uns vollkommen einig, dass jedenfalls für ein Land wie das unsere die Existenz von Regelwerken, der    Respekt für Regelwerke, für Prozesse, für Strukturen, für Institutionen enorm wichtig sind, weil wir eines der globalisiertesten Länder der Welt sind. Und da wir keine Großmacht sind, sondern eine Mittelmacht, sind wir darauf angewiesen, dass Regelwerke Transparenz, Berechenbarkeit sicherstellen, die uns Sicherheit geben.

Detjen: Und Sie haben das erlebt als deutsche Botschafterin in Washington, wie das ist, wenn dann da ein Präsident im Weißen Haus sitzt, der alles das infrage stellt, der Institutionen, der Regeln infrage stellt, aber auch selbst in seiner Politik extrem  unberechenbar gewesen ist. Wie haben Sie das erlebt? Wie sind Sie damit umgegangen? Und was kann man daraus lernen in einer Situation, wo wir ja nach wie vor Anlass haben, uns mit der Möglichkeit auseinanderzusetzen, dass Trump zurückkommen könnte ins Weiße Haus?

Haber: Also zunächst einmal war ein Leitsatz von mir immer, nicht eine Entwicklung zu bestärken, deren Verhinderung unser strategisches Ziel sein sollte. Die Vereinigten Staaten werden wiederum, egal, wer im Weißen Haus sitzt, einer unserer engsten Verbündeten bleiben. Und der Russland-Krieg hat uns daran erinnert, in welchem Umfang wir in unserer eigenen Sicherheit, in der europäischen Sicherheit, an die Amerikaner gebunden sind. Das bleibt ein Faktor und das ist ein Kontext, den wir einfach nicht ignorieren können. Ich würde immer empfehlen, den Blick darauf zu richten, was wir ohnehin machen müssen, nämlich dafür sorgen, dass wir genügend in unsere eigene Sicherheit, in unsere wirtschaftliche Resilienz, in unsere  Handlungsfähigkeit investieren. Das werden wir brauchen aus den Gründen, die Sie mit Ihrer Frage vorhin angedeutet haben. Der amerikanische Fokus verschiebt sich. Er verschiebt sich fort von Europa. Das wird der Fall sein, egal, wer als Präsident ins Weiße Haus einzieht. Der Fokus wird sehr viel stärker sein auf China wegen der Herausforderung auf den Indopazifik und auf den asiatischen Raum, übrigens auch, weil dort die größte Innovationsfähigkeit oder jedenfalls ungeheure Innovationsfähigkeit und Wachstumsmöglichkeiten gegeben sind. Wenn das der Fall ist, müssen wir dafür sorgen, dass wir das zumindest ausbalancieren. Und zumindest ausbalancieren heißt, dass die Europäer und wir Deutsche alles in unseren Kräften Stehende tun, damit wir unsere Sicherheit, unsere ökonomische Resilienz, unsere Durchsetzungsfähigkeit, idealerweise im Verbund mit den Amerikanern, sicherstellen. Das ist unsere Aufgabe.

Detjen: Und da würde ich jetzt schon fast raushören, dass Sie sagen, da reicht es nicht zu sagen, wir halten das 2-Prozent-Ziel ein.

Haber: Ich würde den Verteidigungsminister zitieren, der aus seiner Sicht dargestellt hat, was deutsche und europäische Sicherheit erfordern wird.

Detjen: Wer wird als Erstes spüren, dass die Präsidentschaft von Joe Biden jetzt in jedem Fall endet und damit – wir haben am Anfang des Gespräches darüber gesprochen – auch ein Typus des amerikanischen Präsidenten, der eben sehr traditionell in seinem Blick ist, auch in seinem Verhältnis zu Europa, dass damit sich dieser fundamentale Wandel in der amerikanischen Außenpolitik noch mal verstärken wird? Werden die Ersten sein, die es spüren, die Ukrainer auf ihren Schlachtfeldern, dass sich die Unterstützung der USA für den Krieg in der Ukraine, für den Abwehrkampf gegen Russland, so oder so verringern wird, ob es Trump oder ob es Kamala Harris sein wird, die ins Weiße Haus einzieht?

Haber: Der frühere Präsident hat deutlich gemacht, dass er bestrebt sein wird, den Krieg so rasch wie möglich zu beenden. Ich stelle mir selbst gelegentlich die Frage, woraus seine Sicherheit gründet, dass Russland darauf eingehen wird. Sollte Kamala Harris als Präsidentin im November gewählt werden und im Januar übernehmen, glaube ich, können wir von größerer Kontinuität ausgehen. Sie hat – das sagt man ihr nach – ein enges Verhältnis, ein herzliches Verhältnis zu Präsident Selenskyj aufgebaut. Sie hat als eine klare Anwältin von internationalem Recht sich mit großem Nachdruck eingesetzt für die Unterstützung der Ukraine, für die Unterstützung ihrer territorialen Integrität. Ich glaube nicht, dass sie in der Politik eine Verschiebung da sehen werden. Allerdings wird sie in einem Umfeld agieren – also ich meine damit den Kongress – in dem die Durchsetzung dieser Unterstützung schwierig geworden ist. Aber auch da ist sehr vieles noch offen. Vor ein paar Wochen bin ich noch davon ausgegangen, dass wir es mit einem gespaltenen Kongress zu tun haben werden. Dann ab Juni war deutlich, dass die Aussicht der Demokraten, das Haus wieder zu übernehmen, gesunken ist. Jetzt wiederum verschiebt sich das. Aber hochrechnen würde ich noch lange nicht. Sollte also der Kongress entweder gespalten sein oder ganz in der Hand der Republikaner sein, wird die Unterstützung für die Ukraine durch eine mögliche Präsidentin Harris sehr viel komplexer werden. Aber erwarten Sie nicht einen grundsätzlichen Politikwechsel aus strategischen Gründen von ihr. Da ist sie deutlich zu Protokoll gegangen.

Detjen: Das könnte man fast jetzt als Schlusswort so stehenlassen, aber eine Frage will ich noch anknüpfen. Wir haben jetzt über mögliche Wahlausgänge gesprochen. Inwieweit muss man die Sorge haben, dass wir zu diesem Punkt eigentlich gar nicht kommen, dass wir über klare Wahlausgänge sprechen, sondern dass die schwierigste Phase den USA möglicherweise in den Wochen, Monaten nach der Wahl bevorsteht, gerade, wenn es Kamala Harris sein sollte und wir das noch mal in möglicherweise verschärfter Form erleben werden, was wir am 06. Januar nach der Wahl von Joe Biden erlebt haben, nämlich massiven Widerstand, nicht akzeptieren der Wahlergebnisse von Trump und seinen Anhängern?

Haber: Das ist eine sehr treffende Beobachtung. Ich habe gedacht, bei dem triumphalen Parteitag der Republikaner, dass, sollte Trump nicht gewählt werden vor dem Hintergrund dieser triumphalen Erwartungen, die da geäußert worden sind, das Bestreiten der Legitimität eines anderen Wahlausgangs nur der Anfang für Gewalt sein wird. Wir sehen aber auch noch etwas anderes. Wir sehen jetzt, in welchem Umfang die Republikaner sich vorbereiten auf Gerichtsverfahren, die bestreiten sollen, dass der Name von Kamala Harris überhaupt auf die Wahlzettel, auf die Ballots gerät mit der Begründung, sie sei noch nicht nominiert. Es ist ein unsinniges Argument, aber es ist das Narrativ für die Verfahren, die jetzt angezettelt werden. Und das Ziel dieser Verfahren – davon bin ich überzeugt – ist nicht sich tatsächlich durchzusetzen und ihre Registrierung auf den Wahlzetteln zu verhindern, sondern das Ziel ist,  größtmögliche Ungewissheit zu schaffen, gewissermaßen eine Atmosphäre der Illegitimität oder der Delegitimierung. Und das wiederum ist auch der Auftakt für Gewalt, sollte Trump sich bei den Wahlen nicht durchsetzen.

Detjen: Also ein sehr durchaus beunruhigter Blick auf die Vereinigten Staaten. Frau Haber, vielen Dank für dieses Interview der Woche.

 

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