FDP-Präsidiumsmitglied und Bundesministerin für Bildung und Forschung Bettina Stark-Watzinger schrieb für das „Handelsblatt“ und für „Handelsblatt Online“ den folgenden Gastbeitrag:
Im vergangenen Jahr konnten 570.000 Stellen für Fachkräfte nicht besetzt werden. Um die Dimension dieser Fachkräftelücke vor Augen zu führen: Uns fehlen Fachkräfte in einer Größenordnung der gesamten Einwohnerzahl Dresdens.
Wie eine aktuelle Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) Köln zeigt, geht aufgrund des Fachkräftemangels in Deutschland allein in diesem Jahr Produktionspotenzial von 49 Milliarden Euro verloren. Die Bekämpfung des Fachkräftemangels ist damit neben Bürokratieabbau und Entlastungen von hohen Steuern, Abgaben und Energiekosten ein wesentliches Instrument dafür, die dringend notwendige Wirtschaftswende einzuleiten.
Selbstverständlich müssen alle Anstrengungen fortgesetzt werden, das inländische Fachkräftepotenzial noch erfolgreicher zu heben. Fest steht aber auch, dass wir die Fachkräftelücke nicht ohne mehr Fachkräfteeinwanderung schließen können. Diese Herausforderung ist seit vielen Jahren bekannt und von Vorgängerregierungen verschleppt worden. Nun ist der Handlungsdruck umso größer.
Dass die Zuständigkeit über verschiedene Stellen und föderale Ebenen verteilt ist, macht es nicht einfacher. Der Bund hat bereits geliefert: etwa durch das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz und die Fachkräftestrategie. Die Umsetzung wird nun beschleunigt, gerade mit Blick auf die Visavergabe. Diesen Einsatz müssen nun auch die Länder zeigen. Die bisher gemachten Vorschläge sind bei Weitem nicht ausreichend. Wir brauchen mehr Mut und Handeln.
Vieles muss passieren – aber diese fünf Maßnahmen sind entscheidend:
Erstens: Anerkennungsstellen reduzieren und bündeln. Wir brauchen Tempo bei der Anerkennung. Die zuständigen Stellen halten jedoch die vorgegebenen Zeiträume von zwei bis vier Monaten ab Vorlage aller erforderlichen Unterlagen zu häufig noch nicht ein. Wir konkurrieren aber mit anderen Ländern um die besten Talente der Welt! Deshalb sollten die zahlreichen zuständigen Stellen gebündelt werden. Unser Ziel sollte eine Stelle pro bundesrechtlich geregeltem Berufsbereich sein. Nutzen wir die Bündelung von Kompetenz, Digitalisierung und KI, um erheblich schneller zu werden.
Zweitens: Anerkennungsverfahren vereinfachen und digitalisieren. Die Anerkennungsverfahren sollten standardisiert und digitalisiert werden. Bisher gelten für unterschiedliche Berufe völlig unterschiedliche Regeln. Es gibt weder einheitliche Vorgaben noch Standards. Deshalb mein Vorschlag: weitestmöglich standardisieren und medienbruchfrei digitalisieren! Der Einsatz von KI kann bei Übersetzungen, Überprüfungen und Zuordnungen zu Berufsbildern helfen. Digitale Muster können die Antragstellung und die Erstellung der Bescheide deutlich beschleunigen. Ziel sollte sein, dass mindestens unproblematische Fälle, etwa die automatische Anerkennung nach EU-Recht, in deutlich weniger als einem Monat entschieden werden.
Drittens: Englisch als weitere Verwaltungssprache etablieren. Die Möglichkeit für ausländische Fachkräfte, ohne große Sprachbarrieren mit deutschen Behörden in Kontakt zu treten, darf in ihrer Bedeutung nicht unterschätzt werden. Das gilt auch für alle Fragen rund um die Anerkennung von Berufsabschlüssen. Die Notwendigkeit geht aber darüber hinaus. Von der Anmeldung eines Autos bis zu Fragen rund um das Steuersystem: Viele Menschen aus dem Ausland würden sich erheblich schneller und besser zurechtfinden, wenn sie mit deutschen Behörden auf Englisch kommunizieren könnten. Aber natürlich – für die Integration bleiben Deutschkenntnisse der Schlüssel.
Viertens: Das dauerhafte Ankommen erleichtern. Wir müssen ausländische Fachkräfte nicht nur willkommen heißen, sondern auch dauerhaft halten. Ganz praktische, aber sehr relevante Fragen müssen dafür geklärt werden: Welche Schule können die Kinder besuchen? Wie finde ich eine geeignete Wohnung? Welche Weiterbildungsmöglichkeiten gibt es? Wie sieht es mit Kinderbetreuung aus? Hier könnten die Kommunen ihre Stärken ausspielen. Bund, Länder und Kommunen sollten gemeinsam ein Konzept für standardisierte Unterstützungszentren für ausländische Fachkräfte entwickeln, die dann vor Ort ausgerollt werden. Hier wäre eine Kooperation mit Kammern, Verbänden und Unternehmen sinnvoll.
Fünftens: FachkräfteeinwAanderung in Zeitarbeit ermöglichen. Eine starke Wirtschaft und ein attraktiver Arbeitsmarkt benötigen Flexibilität. Zeitarbeit ermöglicht sie. Auch hier herrscht Fachkräftemangel, sodass Einwanderung ausländischer Arbeitnehmer in die Zeitarbeit ein echter Beitrag zur Beschleunigung der Fachkräfteeinwanderung wäre. Diese Chance müssen wir ergreifen.
Der Fachkräftemangel ist eines der größten Wachstumshemmnisse Deutschlands. Auch hier müssen wir eine Trendwende erreichen.
Michael Lindner
Leiter Kommunikation und Kampagne
Freie Demokratische Partei
Foto: Bettina Stark-Watzinger, FDP