Der deutsche Wohnungsbau steht vor einer ernsthaften Krise. Laut dem Statistischen Bundesamt wurden im ersten Halbjahr 2024 nur 106.700 Wohnungen genehmigt – ein dramatischer Rückgang von rund 21 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Besonders betroffen sind Einfamilienhäuser, bei denen die Genehmigungen um fast 31 Prozent zurückgingen.
"Das aktuelle Niveau der Baugenehmigungen entspricht nur etwas mehr als 200.000 neu gebauten Wohnungen pro Jahr," erklärte Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung. Die Bundesregierung hatte ursprünglich das Ziel, jährlich 400.000 neue Wohnungen zu schaffen. "Dieses Ziel liegt für diese Legislaturperiode in unerreichbarer Ferne," so Dullien weiter.
Der Hauptgrund für den Einbruch im Wohnungsbau sind die massiv gestiegenen Zinsen, die durch die Erhöhungen der Europäischen Zentralbank (EZB) in den letzten zwei Jahren bedingt sind. "Die Zinsen für zehnjährige Immobilienkredite hatten sich zeitweise von rund einem Prozent fast vervierfacht," erklärte Dullien. Auch wenn die EZB im Juni 2024 die Zinsen leicht senkte, bleibe die Situation angespannt.
Einige Experten erwarten eine Erholung des Wohnungsbaus frühestens im späteren Verlauf des Jahres 2025, wenn die EZB die Zinsen weiter senkt und sich dies positiv auf die Baunachfrage auswirkt.
Branchenverbände fordern die Politik auf, mehr gegen die Krise im Wohnungsbau zu unternehmen. "Die Ampel unterstreicht ihren Willen, günstigen Wohnraum zu schaffen. Der politische Wille allein baut aber noch keine einzige Wohnung," sagte Tim Oliver Müller, Geschäftsführer des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie. Immer neue staatliche Anforderungen würden die Lage verschärfen. Als positives Beispiel nannte er die "entschlackte" Landesbauordnung Niedersachsens.
Auch Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands Deutsches Baugewerbe, betonte die Wichtigkeit von Landesbauordnungen. "Könnten wir in allen 16 Bundesländern so bauen, würden auch wieder mehr bezahlbare Wohnungen entstehen," erklärte er.
Der Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) fordert zudem ein Zinsprogramm für den bezahlbaren Wohnungsbau. "Ein Zinssatz von einem Prozent könnte die Bautätigkeit enorm ankurbeln und wieder garantierte, bezahlbare Mieten ermöglichen," so der GdW.
Kommentar:
Wohnungsbau in der Krise – Zinswende als Schlüssel?Der dramatische Rückgang bei den Baugenehmigungen ist ein Weckruf für die Politik. Die hohen Zinsen haben den Wohnungsbau nahezu zum Erliegen gebracht. Doch während die EZB zögert, könnte ein proaktives Handeln der Bundesregierung helfen. Insbesondere die Forderung nach einem Zinsprogramm für den bezahlbaren Wohnungsbau klingt vielversprechend. Doch reichen solche Maßnahmen aus? Wahrscheinlich nicht, wenn die strukturellen Probleme wie hohe Baukosten und Bürokratie nicht ebenfalls angegangen werden. Die Politik muss jetzt handeln, um die wohnungspolitische Krise zu entschärfen.
Die OZD-Prognose:
In den kommenden Monaten dürften die Forderungen nach staatlichen Eingriffen im Wohnungsbau weiter zunehmen. Ob die EZB tatsächlich weitere Zinssenkungen vornimmt, bleibt jedoch unsicher. Gleichzeitig könnten weitere Landesbauordnungen reformiert werden, um den Wohnungsbau zu vereinfachen.
OZD-Wissen to go:
Wer ist Sebastian Dullien?
Sebastian Dullien ist der wissenschaftliche Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung. Er ist Experte für wirtschaftspolitische Fragestellungen, insbesondere in den Bereichen Arbeitsmarkt, Konjunkturpolitik und Wohnungsbau.
Was ist das Statistische Bundesamt?
Das Statistische Bundesamt (Destatis) ist die zentrale Behörde für amtliche Statistiken in Deutschland. Es erfasst und analysiert Daten zu verschiedenen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Themen, darunter auch zum Wohnungsbau.
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