Die Prüfer der gesetzlichen Krankenkassen haben im vergangenen Jahr 3160 Behandlungsfehler bestätigt, die Patienten vorübergehend oder dauerhaft geschädigt haben. Diese Zahl liegt nur geringfügig unter der des Vorjahres, wie der Medizinische Dienst in seiner Jahresstatistik für 2023 mitteilte. „Fachleute gehen davon aus, dass es in etwa einem Prozent aller stationären Behandlungen zu Fehlern und vermeidbaren Schäden kommt,“ erklärte Stefan Gronemeyer, Vorstandsvorsitzender des Medizinischen Diensts Bund. Die Dunkelziffer dürfte demnach erheblich höher liegen.
Insgesamt untersuchten die Gutachter des Medizinischen Dienstes im vergangenen Jahr 12.438 Patientenbeschwerden und Verdachtsfälle auf mögliche Behandlungsfehler. In etwa jedem vierten Fall wurde ein Behandlungsfehler mit Schaden nachgewiesen. In 2679 Fällen, also in etwa jedem fünften Fall, war der Fehler auch die Ursache des erlittenen Schadens – eine wichtige Erkenntnis für die Betroffenen, da nur dann Chancen auf Schadenersatz bestehen.
Die meisten Vorwürfe und Verdachtsfälle betrafen, wie auch in den Vorjahren, die Orthopädie und Unfallchirurgie, die rund 30 Prozent der Fälle ausmachten. Weitere häufig betroffene Fachgebiete waren die Innere Medizin und Allgemeinmedizin mit über elf Prozent, sowie die Zahnmedizin, Allgemein- und Viszeralchirurgie und Geburtshilfe mit jeweils etwa neun Prozent. Fast sechs Prozent der Vorwürfe entfielen auf die Pflege, während sich die restlichen 26 Prozent auf 29 andere Fachgebiete verteilten.
Zu den häufigsten Behandlungsfehlern zählen unter anderem fehlerhafte Behandlungen bei Hüft- und Kniegelenksverschleiß, Knochenbrüchen, Zahnwurzelbehandlungen oder Druckgeschwüren. Laut dem Medizinischen Dienst sagt eine Häufung von Vorwürfen in einem Fachgebiet jedoch nichts über die tatsächliche Fehlerquote oder die Sicherheit aus. Vielmehr könnten Patienten Fehler bei chirurgischen Eingriffen besser erkennen als in anderen Bereichen.
Von den begutachteten Fällen führten knapp zwei Drittel (65,5 Prozent) zu vorübergehenden Gesundheitsschäden bei den Patienten. Bei fast einem Drittel (29,7 Prozent) entstanden jedoch Dauerschäden. Zu leichten Dauerschäden zählen etwa geringe Bewegungseinschränkungen oder Narben, während mittlere Dauerschäden chronische Schmerzen oder Störungen von Organfunktionen umfassen. „Ein schwerer Schaden liegt vor, wenn Geschädigte pflegebedürftig wurden, aufgrund eines Fehlers erblinden oder dauerhafte Lähmungen erleiden,“ erklärte der Medizinische Dienst. In 2,8 Prozent der Fälle, insgesamt 75, führte ein Behandlungsfehler sogar zum Tod.
Die Dunkelziffer von Behandlungsfehlern liegt jedoch deutlich höher. Experten schätzen, dass es jährlich bei etwa einem Prozent aller Krankenhausfälle zu Fehlern und vermeidbaren Schäden kommt. Das entspräche rund 168.000 Patienten pro Jahr, von denen etwa 17.000 durch die Fehler ihr Leben verlieren könnten.
Angesichts dieser Zahlen erneuerte der Medizinische Dienst seine Forderung nach einer verpflichtenden Meldung schwerwiegender, aber gut vermeidbarer Vorfälle. International sei dies bereits Standard in der Patientensicherheit. Zu den sogenannten „Never Events“ gehören schwerwiegende Medikationsfehler, Patienten- und Seitenverwechslungen sowie unbeabsichtigt zurückgebliebene Fremdkörper nach Operationen. 2023 erfasste der Medizinische Dienst 151 solcher Fälle, 2022 waren es 165.
OZD / ©AFP
OZD-Kommentar:
Behandlungsfehler: Ein vermeidbares Risiko
Die Zahl der bestätigten Behandlungsfehler in Deutschland ist alarmierend, doch die Dunkelziffer dürfte noch weitaus höher sein. Dass jährlich Tausende Patienten durch vermeidbare Fehler im Gesundheitssystem geschädigt werden, ist ein Skandal, der dringend mehr Aufmerksamkeit und Reformen erfordert. Besonders erschreckend ist die Zahl der vermeidbaren Todesfälle, die auf Fehler in der Behandlung zurückzuführen sind. Die Forderung nach einer verpflichtenden Meldung von „Never Events“ ist mehr als gerechtfertigt und sollte endlich umgesetzt werden, um die Sicherheit im Gesundheitswesen zu erhöhen.
OZD-Prognose:
In den kommenden Jahren könnten strengere Regelungen und verstärkte Kontrollen durch den Medizinischen Dienst dazu führen, dass mehr Behandlungsfehler erkannt und gemeldet werden. Gleichzeitig besteht die Hoffnung, dass durch verbesserte Schulungen und strengere Vorschriften die Anzahl dieser vermeidbaren Vorfälle langfristig sinkt.
Biographien und Erklärungen:
Wer ist Stefan Gronemeyer?
Stefan Gronemeyer ist der Vorstandsvorsitzende des Medizinischen Diensts Bund. Er ist Experte für Patientensicherheit und setzt sich seit vielen Jahren für die Verbesserung der medizinischen Versorgung und die Reduzierung von Behandlungsfehlern in Deutschland ein. Offizielle Webseite des Medizinischen Diensts.
Was ist der Medizinische Dienst?
Der Medizinische Dienst ist eine unabhängige Organisation, die im Auftrag der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen in Deutschland tätig ist. Seine Hauptaufgabe besteht darin, die Qualität der medizinischen und pflegerischen Versorgung zu überprüfen und zu sichern. Der Dienst begutachtet unter anderem Patientenbeschwerden und Verdachtsfälle auf Behandlungsfehler. Wikipedia-Seite über den Medizinischen Dienst.
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Foto: ROMAIN PERROCHEAU / AFP