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Fachmediziner warnen: Neue Asbestverordnung gefährdet Gesundheit von Bauarbeitern

Die Pläne der Bundesregierung zur neuen Asbestverordnung stoßen auf heftige Kritik von Fachmedizinern und dem Baugewerbe. Experten warnen, dass der Schutz von Bauarbeitern gefährlich vernachlässigt wird und fordern dringende Nachbesserungen.

An den Plänen der Bundesregierung für eine neue Asbestverordnung entzündet sich massiver Widerstand aus der Fachmedizin. "Arbeiter auf dem Bau sind kein Verbrauchsmaterial, sondern müssen angemessen vor Krebsgefahren geschützt werden," zitierte der "Spiegel" am Freitag aus einem gemeinsamen Vorstandsbeschluss der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin und der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie. Diese scharfe Kritik richtet sich gegen die vergangene Woche vom Kabinett beschlossene neue Gefahrstoffverordnung, die aus Sicht der Mediziner die Gesundheit der Bauarbeiter nicht ausreichend schützt.

Die neue Verordnung sieht vor, dass Bauherren vor einer Sanierung lediglich verpflichtet sind, alle ihnen vorliegenden Informationen zur Bau- oder Nutzungsgeschichte über mögliche Gefahrstoffe bereitzustellen. Die sogenannte Erkundungspflicht, die vorsieht, dass Auftraggeber bereits vor Beginn der Arbeiten erkunden, ob Handwerker auf Asbest und andere Gefahrenstoffe stoßen könnten, fällt damit weg. Diese Verantwortung wird nun auf die Baufirmen übertragen.

In dem Schreiben der Fachgesellschaften heißt es weiter, dass die neue Verordnung der Gesundheit von Bauarbeitern "keinen angemessenen Schutz" einräumt. Mit dem heutigen Wissen sei es "unverantwortlich, den Gesundheitsschutz als zweitrangig einzuordnen." Die Mediziner appellieren daher an den Bundesrat, der der Verordnung noch zustimmen muss, den Text "im Interesse der Gesundheit von Baubeschäftigten unbedingt nachzubessern."

Auch das deutsche Baugewerbe hatte im Vorfeld der Kabinettsbefassung einen Stopp der neuen Gefahrstoffverordnung gefordert. Der Branchenverband ZDB kritisierte, dass durch die Neuregelung die Untersuchung auf eine mögliche Asbestbelastung allein an den Baufirmen hängenbleiben würde. "So werden deren Beschäftigte einem unnötigen Gesundheitsrisiko ausgesetzt," monierte der Verband. Er warf der Regierung vor, dass sie offenbar fürchtet, Untersuchungspflichten für Bauherren könnten die energetische Sanierung behindern. Ähnliche Bedenken äußerte die Gewerkschaft IG BAU.

Asbest, ein gesundheitsschädliches und krebserregendes Material, ist in einem "erheblichen Teil" aller vor 1993 gebauten Häuser in Deutschland zu finden, so der ZDB. Jahrzehntelang wurde Asbest wegen seiner praktischen Eigenschaften in großen Mengen beim Bau verwendet, bis das Material aufgrund seiner nachweislich krebserzeugenden Wirkung im Oktober 1993 in Deutschland verboten wurde.

Laut Umweltbundesamt ist Asbest immer noch in vielen langlebigen Produkten wie Bodenbelägen oder Dachplatten enthalten. Auch in Fliesenkleber, Spachtelmassen und Putzen können die faserartigen Minerale weiterhin vorkommen. Dies verdeutlicht die potenzielle Gefährdung, der Bauarbeiter ohne adäquate Schutzmaßnahmen ausgesetzt sind.

OZD / ©AFP


OZD-Kommentar:

Gesundheitsschutz versus Sanierungsdruck – eine gefährliche Gratwanderung

Die Kritik der Fachmediziner an der neuen Asbestverordnung ist mehr als gerechtfertigt. Es ist besorgniserregend, dass die Bundesregierung den Schutz der Bauarbeiter scheinbar zugunsten einer beschleunigten energetischen Sanierung zurückstellt. Der Wegfall der Erkundungspflicht könnte fatale Folgen haben, insbesondere in einem Land, in dem Asbest noch in unzähligen Gebäuden schlummert. Eine mögliche Lösung wäre ein verbindliches und flächendeckendes Screening alter Bausubstanz – eine Maßnahme, die längst überfällig ist.

OZD-Prognose:

In den kommenden Wochen wird der Bundesrat unter zunehmendem Druck stehen, die Verordnung zu überarbeiten. Angesichts des breiten Widerstands aus der Fachwelt und der Bauindustrie ist es wahrscheinlich, dass Anpassungen vorgenommen werden. Sollte die Verordnung in ihrer jetzigen Form durchgewunken werden, drohen langwierige juristische Auseinandersetzungen und ein massiver Vertrauensverlust in den Arbeitsschutz.

Biographien und Erklärungen:

Wer ist Sigmar Gabriel?

Sigmar Gabriel ist ein deutscher Politiker der SPD und war von 2013 bis 2017 Bundeswirtschaftsminister sowie Vizekanzler. Er ist seit 2020 Aufsichtsratschef bei Thyssenkrupp und hat sich in der Vergangenheit für verschiedene Reformen im Konzern starkgemacht. Wikipedia-Seite von Sigmar Gabriel.

Was ist Asbest?

Asbest ist eine Gruppe natürlicher, faseriger Minerale, die aufgrund ihrer Widerstandsfähigkeit gegen Hitze und Chemikalien bis in die 1990er-Jahre häufig in Bau- und Industrieprodukten verwendet wurde. Wegen der starken Gesundheitsgefahren, insbesondere der Krebserzeugung, ist die Verwendung von Asbest heute weltweit in vielen Ländern verboten. Wikipedia-Seite über Asbest.

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Foto: Christof STACHE / AFP