Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat vor den anstehenden Bund-Länder-Gesprächen zur Migrationspolitik deutliche Kritik an den Plänen der Bundesregierung geäußert. Im Interview mit der "Welt am Sonntag" forderte Söder eine grundlegende Reform des Asylrechts, das seiner Ansicht nach "nicht mehr zeitgemäß" sei. "Das individuelle subjektive Recht auf Asyl muss umgewandelt werden," erklärte er. Seiner Vorstellung nach sollte Deutschland künftig selbst entscheiden, wer ins Land kommen dürfe. "Nicht jeder Einzelne hat ein Recht dazu," fügte er hinzu.
Die Debatte um eine Reform des Asylrechts wurde erneut befeuert durch den tödlichen Messerangriff in Solingen, bei dem vor einer Woche drei Menschen getötet und mehrere verletzt wurden. Der mutmaßliche Täter, ein 26-jähriger Syrer, befindet sich in Untersuchungshaft. Die Bundesanwaltschaft ermittelt wegen eines möglichen islamistischen Hintergrunds.
In Reaktion auf die Tat schlug die Bundesregierung ein Sicherheitspaket vor, das unter anderem Verschärfungen im Waffenrecht und zusätzliche Maßnahmen gegen gewaltbereiten Islamismus beinhaltet. Auch das Aufenthalts- und Asylrecht soll deutlich verschärft werden. Die Maßnahmen sollen am Dienstag bei einem Treffen zwischen der Bundesregierung, den Ländern und der Union weiter diskutiert werden.
Trotz dieser Schritte betonte Söder, dass die bisherigen Beschlüsse "bei weitem nicht ausreichen." Nötig sei ein "effektives Gesamtpaket," das auch Zurückweisungen an den Grenzen und Rückführungsabkommen mit Herkunftsländern umfasse. "Leistungen für abgelehnte Asylbewerber müssen auf das Minimum reduziert werden," forderte der bayerische Ministerpräsident.
Kritik von SPD und Grünen
Die Forderungen Söders stießen umgehend auf Kritik. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert zeigte sich irritiert darüber, dass Söder am Grundgesetz "herumschrauben" wolle. "Maß und Mitte" seien in der Debatte um Sicherheit und Asylpolitik gefragt, nicht populistische Forderungen, so Kühnert. Grünen-Fraktionsvize Andreas Audretsch nannte Söders Vorstoß "unverantwortlich" und warf ihm vor, sich nur um seine politische Karriere zu kümmern. "Wir arbeiten für Sicherheit in Deutschland, Markus Söder arbeitet an seiner persönlichen Zukunft," sagte Audretsch.
Auch FDP-Vizechef Wolfgang Kubicki äußerte sich skeptisch und sprach von einer "typisch bayerischen Illusion." Kubicki betonte, dass eine realistische und rechtsstaatliche Migrationspolitik nicht durch radikale Forderungen erreicht werden könne.
Mehr Mittel für die Polizei gefordert
Der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebunds, André Berghegger, sprach sich angesichts der jüngsten Ereignisse in Solingen für eine deutliche Aufstockung der Mittel für die Polizei aus. Es seien "jährlich mindestens 100 Millionen Euro zusätzlich" notwendig, um der Bundespolizei mehr Flexibilität und schnellere Reaktionen zu ermöglichen, sagte Berghegger den Funke-Zeitungen.
Zudem forderte Berghegger eine stärkere Nutzung der Videoüberwachung, um Straftäter schneller ausfindig zu machen. "In Solingen hätte Videoüberwachung geholfen," betonte er. Die Debatte um die Videoüberwachung wird seit langem kontrovers geführt, aber nach den jüngsten Vorfällen gewinnt sie erneut an Bedeutung.
Sorge um Schutzbedürftige
Die Caritas äußerte unterdessen Bedenken hinsichtlich der möglichen Auswirkungen der aktuellen Debatten auf Geflüchtete. "Die Ereignisse und Debatten der letzten Wochen verunsichern die Schutzbedürftigen massiv," sagte Caritas-Präsidentin Eva Welskop-Deffaa. Sie warnte vor einer möglichen Eskalation von Diskriminierung und rassistisch motivierter Gewalt in Deutschland. Es sei wichtig, den sozialen Frieden im Land zu bewahren und nicht durch die Taten Einzelner gefährden zu lassen.
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OZD-Kommentar:
Ein gefährlicher Balanceakt zwischen Sicherheit und Grundrechten
Die aktuellen Forderungen nach einer Reform des Asylrechts und verstärkten Sicherheitsmaßnahmen zeigen, wie tief die Verunsicherung in der Gesellschaft ist. Doch bei aller Notwendigkeit, die innere Sicherheit zu stärken, darf dies nicht auf Kosten der Grundrechte und humanitären Verpflichtungen geschehen. Die Debatte um die Videoüberwachung und die Reduzierung von Sozialleistungen für abgelehnte Asylbewerber spiegelt die Schwierigkeit wider, zwischen Sicherheit und den Prinzipien eines Rechtsstaates zu balancieren. Es ist zu hoffen, dass die politischen Entscheidungsträger besonnen agieren und keine voreiligen Schlüsse ziehen.
OZD-Prognose:
Die anstehenden Gespräche zwischen Bund, Ländern und der Union werden entscheidend sein für die Zukunft der Migrationspolitik in Deutschland. Es ist absehbar, dass die Debatte weiter an Schärfe gewinnen wird, insbesondere vor dem Hintergrund der Landtagswahlen im kommenden Jahr. Die Forderungen nach einer Reform des Asylrechts werden sicherlich weiter diskutiert werden, jedoch dürfte es schwierig sein, einen breiten Konsens zu finden. Die Gefahr besteht, dass die Diskussionen die gesellschaftlichen Gräben weiter vertiefen, anstatt sie zu überbrücken.
Biographien und Erklärungen:
Wer ist Markus Söder? Markus Söder ist seit 2018 Ministerpräsident des Freistaates Bayern und Vorsitzender der Christlich-Sozialen Union (CSU). Geboren 1967 in Nürnberg, war er zuvor unter anderem bayerischer Finanzminister und Umweltminister. Söder gilt als einflussreicher Politiker auf Bundesebene und ist bekannt für seine deutlichen Positionen in der Migrationspolitik.
Was ist der Städte- und Gemeindebund? Der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) ist ein kommunaler Spitzenverband, der die Interessen von Städten und Gemeinden in Deutschland vertritt. Der Verband setzt sich für die Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung ein und vertritt die Interessen seiner Mitglieder auf Landes-, Bundes- und europäischer Ebene.
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